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Einigung in letzter Minute

Gipfel der Andengemeinschaft beschließt in Bolivien Wirtschaftsverhandlungen mit der EU

Von Benjamin Beutler, Cochabamba *

Die Andengemeinschaft Comunidad Andina (CAN) steht vor Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der EU. Das ist das Ergebnis des 17. Treffens des CAN-Präsidentenrates am Donnerstag im bolivianischen Tarija. Dort waren die Präsidenten Boliviens, Evo Morales, Chiles, Michelle Bachelet, Ecuadors, Rafael Correa, Kolumbiens, Álvaro Uribe, und Perus, Alan García, zu Gesprächen zusammengekommen. Nach 30jähriger Abwesenheit erfolgte die Rückkehr Chiles als assoziiertes Mitglied in das neben dem MERCOSUR zweitgrößte regionale Wirtschaftsbündnis Südamerikas, was bei den Teilnehmern des Treffens als eindeutiges Zeichen des Wiedererstarkens interpretiert wurde.

»Wie stark muß ein Bündnis sein, wenn ein Land nach 30 Jahren nun doch wieder eintreten will?«, so der ecuadorianische CAN-Generalsekretär Freddy Ehlers zur wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der 1969 gegründeten Organisation, die seit dem Austritt Venezuelas 2006 eine ihrer schwersten Krisen durchlebt. Venezuela hatte die CAN letztes Jahr verlassen, nachdem dessen Mitglieder Kolumbien und Peru in Eigenregie Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen hatten, was dem Andenbündnis laut Hugo Chávez einen tödlichen »Nagel ins Herz« gerammt hatte. Und auch das aktuelle Treffen der Präsidenten wäre beinahe an einer ähnlichen Frage gescheitert, da Peru und Kolumbien allein in Verhandlungen mit der Europäi­schen Union (EU) getreten waren, anstatt dieses im Rahmen der CAN und in Absprache mit den Vollmitgliedern Bolivien und Ecuador zu tun. Und so ist ein Ergebnis der Gespräche von Tarija die Verabschiedung der Resolution 667, welche die vier Vollmitglieder dazu verpflichtet, die untereinander und in Beziehung zur EU bestehenden Ungleichheiten in der wirtschaftlichen Entwicklung zu respektieren. Dies erlaubt nun Verhandlungen, welche die strukturellen Unterschiede und die verschiedenen Ziele der Blöcke Bolivien–Ecuador und Peru–Kolumbien anerkennt, die Einheit des CAN jedoch nicht in Frage stelle. Die Entscheidung gewähre »die Freiheit der Länder, ihrer jeweiligen Realität nach angemessen zu verhandeln«, so Freddy Ehlers. Der bolivianische Außenminister David Choquehuanca lobte die durch die Entscheidung hergestellte »Einigkeit durch die Verschiedenheit«.

Die beiden Erfolge der einjährigen Präsidentschaft Boliviens – Rückkehr Chiles und Verhinderung eines Auseinanderbrechens der CAN – täuschen jedoch nicht über die bestehende Zweiteilung hinweg. Während Bolivien und Ecuador zunehmend ihre schwachen Märkte vor ungleicher Konkurrenz zu schützen suchen, setzen Peru und Kolumbien auf althergebrachte neoliberale Konzepte wie Marktöffnung und Deregulierung. Und so fragte der ecuadorianische Präsident in bezug auf Umweltprobleme und die Rolle des Menschen in der Wirtschaft wachstumskritisch nach der Stoßrichtung von Entwicklung: »Wohin wollen wir überhaupt gelangen?«, während sein kolumbianischer Amtskollege die Unverzichtbarkeit von direkten Auslandsinvestitionen hervorhob: »Wir wollen uns nicht isolieren.« Bolivien und Ecuador lehnen u.a. die Privatisierung von öffentlichen Gütern wie Wasser sowie den sogenannten Schutz geistigen Eigentums in bezug auf Patentierung von Medikamenten oder Gencodes bei Pflanzensamen und Tierzüchtung ab, die durch ein in zwei bis drei Jahren mögliches Handelsabkommen mit der EU gefordert werden könnten. »Wir können nicht erlauben, daß das Leben zu einer Ware wird, daß es privatisiert wird. Wir müssen unsere Biodiversität verteidigen«, so der bolivianische Gastgeberpräsident Evo Morales. Nun allerdings übernimmt Kolumbien die einjährige CAN-Präsidentschaft.

* Aus: junge Welt, 16. Juni 2007


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