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Geldtransfers lindern Armut

In Lateinamerika haben Devisenüberweisungen von Migranten große volkswirtschaftliche Bedeutung

Von Knut Henkel *

In vielen Ländern rund um den Globus zählen die Geldtransfers von Verwandten aus dem Ausland zu den wichtigsten Devisenquellen.

Auf dem Markt La Cancha in Cochabamba herrscht wie immer hektisches Treiben. Die kaufwilligen Hausfrauen schieben sich in großen Trauben durch die engen Gassen des weitläufigen Straßenmarktes, dem größten Lateinamerikas. Viele Familien aus Boliviens zweitgrößter Stadt geben auf dem Markt die US-Dollar und Euro aus, die ihnen ihre Verwandten geschickt haben.

»Die Abwanderung ist seit Langem Teil unserer Geschichte«, erklärt Francisco Alvis. »Allein in den letzten drei Jahren haben rund 50 000 Menschen Cochabamba verlassen, um woanders nach Perspektiven zu suchen«, so der knorrige Rechtsberater. Ein Stück Normalität, denn viele Bolivianer arbeiten in Argentinien als Hausangestellte, als Erntehelfer in den USA oder auf dem Bau in Spanien oder Italien. Aus diesen Ländern kommt denn auch das Gros der Millionen, die ins Andenland überwiesen werden. 2007 waren es vorläufigen Schätzungen der bolivianischen Zentralbank zufolge deutlich über 800 Millionen US- Dollar, die aus dem Ausland nach La Paz, Cochabamba und andere Städte überwiesen wurden. Ein erheblicher Devisenzufluss, der immerhin etwa acht bis neun Prozent des Bruttosozialprodukts des südamerikanischen Landes ausmacht.

Das ist in den Nachbarländern, ob Kolumbien oder Peru, nicht anders. Die »Remesas«, wie die Devisentransfers genannt werden, spielen eine wichtige Rolle für die Linderung der Armut, aber auch für die lokale Ökonomie. Kleine Geschäfte -- sei es der Kiosk an der Ecke, das Restaurant oder die Backstube -- werden mit Hilfe der sauer verdienten US-Dollar oder Euro aufgebaut.

Indes steigt -- nicht nur in den Ländern Südamerikas -- der Anteil der EU-Gemeinschaftswährung an den Überweisungen. Zentrale Ursache dafür ist nicht nur die Dollarschwäche, sondern auch die Hypothekenkrise in den USA und das rigide Vorgehen der dortigen Ordnungskräfte gegen Illegale. Inzwischen übersteigen die Transfers aus Spanien nach Bolivien diejenigen aus den USA bei Weitem. Auch in Ecuador und Kolumbien ist dieser Trend feststellbar.

Insgesamt steigt die Bedeutung der Geldtransfers kontinuierlich an. So haben 2007 laut Studien der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) die 30 Millionen Latinos, die außerhalb des Subkontinents leben, 66,5 Milliarden US-Dollar nach Hause geschickt -- dies ist deutlich mehr als die gesamte Entwicklungshilfe, die in diese Region floss. Im Schnitt sind das 2200 US-Dollar pro Auswanderer. In Ländern wie Guyana, Haiti oder Honduras tragen die Transfers mehr als 20 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Dort, aber auch in Mexiko, Bolivien und der Dominikanischen Republik sorgen die Transfers dafür, dass viele Familien über der Armutsgrenze leben. Die »Remesas«, so attestieren die IDB-Experten, sind eine wirksame Waffe gegen die Armut.

Im Blick haben die Banker auch deren Potenzial für das Finanzsystem. Würden die Milliarden nicht für den Konsum ausgegeben, so eine These, könnten sie die Grundlage für Kredite und Investitionsprogramme für Kleinunternehmen liefern. Doch in der Realität fehlt es am nötigen Vertrauen in die lokalen Finanzinstitute und oft auch in die Regierungen. Die mexikanische wirbt bereits bei den Auslandsmexikanern um Investitionen in ihren Heimatgemeinden -- bisher nur mit punktuellem Erfolg.

* Aus: Neues Deutschland, 9.August 2008


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