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"Nur die Farbe des Dollarscheins ist grün"

Valter Pomar über die "Green Economy" und Herausforderungen für die lateinamerikanische Linke *


Valter Pomar ist Mitglied im Vorstand der brasilianischen Arbeiterpartei PT, die seit 2003 an der Regierung ist. Pomar gehört zum linken Flügel der PT und ist außerdem Exekutivsekretär des Forums der lateinamerikanischen Linken, des sogenannten Foro São Paulo. Mit Valter Pomar sprach für "neues deutschland" (nd) Martin Ling.


nd: Mexiko stehen am 1. Juli Präsidentschaftswahlen bevor. Welche Bedeutung hat diese Abstimmung für die Linke in Lateinamerika?

Pomar: Wenn Andrés Manuel López Obrador (AMLO) für die mexikanische Linke gewinnt, hätte dies einen sehr positiven Effekt. Mexiko hat sich seit den 90er Jahren zum engsten Verbündeten der USA auf dem Subkontinent entwickelt, insbesondere durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, das 1994 in Kraft trat. Mit NAFTA wurden die USA, Kanada und Mexiko zu einem Wirtschaftsblock - zum Nachteil der mexikanischen Wirtschaft. Wenn AMLO gewinnt, wird Mexiko wieder das sein, was es in früheren Jahren war: Ein lateinamerikanisches Land mit Ausrichtung auf Lateinamerika und die Karibik, und das nicht nur formal, sondern als Impulsgeber für die lateinamerikanische Integration.

Welche Rolle spielt Mexiko gegenwärtig?

Mexiko stellt im Moment das extreme Beispiel dafür dar, was der Neoliberalismus in Lateinamerika bedeutet: bedingungslose Unterordnung unter die USA. Wenn AMLO gewinnt, wird sich die interne Wirtschaft mit einer anderen Politik Stück für Stück verändern und Räume für eine zentralamerikanische Integration eröffnen. Mexiko hat enormes wirtschaftliches Gewicht, ist nach Brasilien - der mit Abstand größten Wirtschaft - und noch vor Argentinien und Venezuela die zweitgrößte Volkswirtschaft. Wenn sich dort die Politik ändert, verschiebt das die Gewichte in der ganzen Region. Deswegen erhoffen wir AMLOs Sieg.

AMLO war 2006 offiziell dem jetzigen Präsidenten Felipe Calderón hauchdünn unterlegen. Er und viele Beobachter sprachen von Wahlbetrug. Ist der 2012 auszuschließen?

Keinesfalls. In Mexiko gab es schon 1988 Wahlbetrug, um den Sieg des linken Kandidaten Cuauhtémoc Cárdenas zu verhindern. Das hat sich 2006 wiederholt und das kann sich 2012 wiederholen. Die mexikanische Rechte, die USA und die Drogenkartelle werden versuchen, den Sieg von AMLO zu verhindern.

Wir werden alles tun, um eine Überprüfung der Wahlen zu erreichen.

Was in Mexiko noch Zukunftsmusik ist, ist in anderen lateinamerikanischen Ländern bereits Realität. Vielerorts gibt es Linksregierungen, die im vergangenen Jahrzehnt große soziale Fortschritte erreicht haben: Unter anderem wurden die Arbeitslosigkeit und die Armut stark reduziert. Welche Herausforderungen stellen sich für die kommende Dekade und gibt es die Gefahr eines neoliberalen Rückschlags?

Die Möglichkeit eines Rückschlags besteht immer. Insofern ist die grundlegende Herausforderung politisch: die Transformation abzusichern. Programmatisch und strategisch sind die sozioökonomischen Veränderungen fundamental. Um solche Veränderungen vorantreiben zu können, bedarf es der politischen Macht. Kurzfristig ist die Herausforderung, den politischen Wandel voranzutreiben. Das heißt auf die Instrumente einzuwirken, mit der die politische Bourgeoisie ihren Einfluss aufrechterhält und unseren Einfluss zu begrenzen versucht.

Welche Instrumente meinen Sie?

Das sind grundsätzlich zwei Instrumente: zum einen die Kommunikationsmedien und zum anderen die private Finanzierung der Wahlkampagnen. Wir setzen uns als Arbeiterpartei PT für die Demokratisierung der Kommunikationsmedien in Brasilien ein. Wir halten Kommunikation für ein Grundrecht und Grundrechte dürfen nicht dem Markt überlassen werden. Derzeit haben viele Sektoren der brasilianischen Bevölkerung weder guten Zugang zu hochwertigen Hintergrundinformationen noch haben sie die Möglichkeit, ihre Positionen in die Medien einzubringen. Eine Demokratisierung der Medien könnte das garantieren und benachteiligten Sektoren Geltung in den Medien verschaffen, zum Beispiel durch den Ausbau von Basisradios.

Was die Wahlkampffinanzierung angeht: Sie muss aus Steuermitteln erfolgen, denn die private Wahlkampffinanzierung führt zu Korruption. Ein Beispiel: Die Kosten einer Kandidatur für den Bürgermeisterposten einer mittelgroßen Stadt belaufen sich auf 3,5 Millionen Dollar. Das ist enorm. Die privaten Wahlkampffinanziers machen das nicht aus Gusto, sondern weil sie sich von dieser Investition Gegenleistungen nach den Wahlen versprechen. Das hilft den mit den Unternehmern verbundenen Kandidaten der Rechten und das untergräbt die Demokratie.

Wie sieht es mit ökonomischem Reformbedarf aus?

Der besteht zweifellos. Wir müssen den Staat stärken, damit er die Reichen stärker in die Pflicht nimmt, wir müssen die Diktatur der Finanzmärkte überwinden, wir müssen das Gewicht der multinationalen Agrarkonzerne verringern, strukturelle Reformen, wie eine Agrarreform, die Reform der Stadtentwicklung und andere angehen. Um alle diese grundlegenden Strukturreformen in Angriff zu nehmen, ist es allerdings unabdingbar, zuvor die politische Struktur wie ausgeführt zu verändern. Die politischen Voraussetzungen müssen geändert werden, damit die Bedingungen für einen grundlegenden Wandel überhaupt erst geschaffen werden.

Vor 20 Jahren wurde auf dem Rio-Gipfel eine globale nachhaltige Entwicklung propagiert. Bisher gibt es sie weder im Norden noch im Süden. Beim Folgegipfel diese Woche soll die »Green Economy« eine große Rolle spielen. Was halten Sie davon?

Die grüne Ökonomie ist ein Witz. Das Einzige was daran grün ist, ist die Farbe der Dollarscheine. Davon unbenommen: Nachhaltige Entwicklung ist ein sehr interessantes Konzept, wenn es in eine kohärente Form gegossen wird. Das kapitalistische System ist langfristig definitiv nicht nachhaltig. Um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, muss der Kapitalismus eingedämmt wenn nicht gar zerstört werden. Der Umweltschutz musste überall gegen die Profitinteressen der Kapitalisten durchgesetzt werden. Langfristig gibt es Nachhaltigkeit nur mit einem Wechsel der Produktionsweise. Der grüne Kapitalismus ist hingegen ein reines Täuschungsmanöver.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. Juni 2012


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