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Morales tanzt auf zwei Hochzeiten

Mercosur-Gipfel in Rio: Andenstaat Bolivien strebt Voll- und Doppelmitgliedschaft an

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Heute (18. Jan.) beginnt in Rio de Janeiro das zweitägige Gipfeltreffen der Mercosur-Staaten. Nach Venezuela streben auch Bolivien und Ecuador nach einer Vollmitgliedschaft im Wirtschaftsbündnis, dem ursprünglich Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay angehörten.

Er wird mit besonderer Spannung erwartet: Rafael Correa, Ecuadors frischgebackener Präsident hat auf dem Mercosur-Treffen in Rio de Janeiro seinen ersten internationalen Auftritt. Correa hatte angekündigt, er wolle Ecuador näher an den Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) heranführen, seine genauen Vorstellungen aber erst nach seinem Amtsantritt verkünden. Ecuador ist wie Chile, Peru, Kolumbien und Bolivien assoziiertes Mitglied der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Nun warten die Präsidenten der Vollmitglieder Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Venezuela auf Correas Rede.

Genau hinhören wird Boliviens Präsident Evo Morales. Der Antrag auf Vollmitgliedschaft seines Landes steht als wichtigster Punkt auf der Tagesordnung. Morales hatte dem brasilianischen Präsidenten Lula schriftlich mitgeteilt, dass er die Aufnahme seines Landes als Vollmitglied so schnell wie möglich erreichen möchte. Brasilien hat gegenwärtig den Vorsitz im Mercosur inne. Jedoch sickerte bereits durch, dass Morales lediglich mit einer Erklärung über den offiziellen Beginn der Beitrittsverhandlungen und der Bildung einer entsprechenden Arbeitsgruppe rechnen kann. Die Mitgliedstaaten zögern, denn Bolivien ist auch Mitglied in der Andengemeinschaft CAN, die es zusammen mit Peru, Kolumbien und Ecuador bildet. Nach Morales' Vorstellungen soll Bolivien zukünftig beiden Wirtschaftsblöcken angehören. Experten warnen jedoch vor der Unmöglichkeit, gleichzeitig zwei Zollvereinigungen mit unterschiedlichen Außentarifen anzugehören. Venezuela war 2006 vor seinem Beitritt als Vollmitglied in den Mercosur auch deshalb aus der Andengemeinschaft ausgestiegen.

Zahlen des bolivianischen Instituts für Außenhandel belegen, warum Morales auf beiden Hochzeiten tanzen will. 2005 exportierte Bolivien in die Andengemeinschaftsländer Agrarprodukte im Wert von 400 Millionen Dollar, importierte jedoch lediglich für 20 Millionen Dollar. Dagegen beliefen sich die Agrarverkäufe in den Mercosur nur auf 17 Millionen und die Importe auf 133 Millionen Dollar. Insgesamt erzielte Bolivien 2005 gegenüber dem Mercosur vor allem wegen seiner Gaslieferungen einen Handelsüberschuss von 361 Millionen Dollar. Der Mercosur ist als Absatzmarkt für Gas zentral, die CAN für Agrarprodukte. Das bolivianische Institut für Außenhandel hat vorgerechnet, dass ein Verlassen der CAN den Ruin tausender bolivianischer Bauern bedeuten würde. Die, die heute noch bevorzugt in die andinen Nachbarstaaten exportieren können, könnten bald der Konkurrenz innerhalb des Mercosur zum Opfer fallen, während gleichzeitig die Produzenten für den Binnenmarkt durch Nahrungsmitteleinfuhren aus Brasilien und Argentinien gefährdet wären. Und von der Landwirtschaft hängen erheblich mehr Arbeitsplätze ab als von den Gaslieferungen. Kein Wunder also, dass Evo Morales in Rio den Spagat proben wird. Ganz anders als 2006 sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chávez. Der war mit lautem Gepolter aus der Andengemeinschaft ausgetreten, nachdem Peru und Kolumbien jeweils ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnet hatten. In diesen Freihandelsabkommen sieht der brasilianische Außenminister indes einen politischen Lösungsweg. Von einer einheitlichen Zollunion könne im Falle der CAN wohl nicht mehr die Rede sein, wenn die bilateralen Freihandelsabkommen Perus und Kolumbiens mit den USA in Kraft treten, sagte Celso Amorim. Womit Boliviens Wunsch, in der CAN zu verbleiben und dem Mercosur beizutreten, doch erfüllt werden könne.

Dies wiederum werden die Kleinen des Mercosur, Uruguay und Paraguay, aufmerksam verfolgen. Die beiden Mitgliedstaaten wurden bisher nur durch Druck und die Vertragsstatuten daran gehindert, ihrerseits Freihandelsabkommen mit den USA auszuhandeln. Schon lange beklagen sich die beiden, dass sie innerhalb des Mercosur ökonomisch in die Ecke gedrängt werden. Während Brasilien 2005 mit seinem Bruttoinlandsprodukt 68 Prozent des Mercosur einschließlich Venezuelas ausmachte, kamen Uruguay und Paraguay nur auf jeweils ein Prozent. Argentinien kam auf 23 und Venezuela auf sieben Prozent.

Uruguay und Paraguay wurde deshalb auf dem letzten Treffen die Einrichtung eines Strukturausgleichsfonds zugesagt. Ausgestattet ist der Fonds mit 100 Millionen Dollar, von denen Brasilien 70, Argentinien 27, Uruguay 2 und Paraguay eine Million beitragen. Von den Geldern erhalten Paraguay 48 und Uruguay 32 Prozent für Projekte. Brasilien und Argentinien teilen sich den Rest. Das ist nicht viel und wird von Uruguay und Paraguay als Anfang gesehen. Weshalb beide in Rio eine Nachbesserung fordern.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2007


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