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Leerstellen nach Linksruck

Vor allem die Ausgrenzung Kubas belastete den 6. Amerikagipfel in Cartagena

Von Gerhard Dilger, Añatuya *

In Cartagena ist erneut die Nord-Süd-Kluft deutlich geworden, die den Kontinent seit dem Linksruck der vergangenen Jahre spaltet.

Am Sonntag endete an der kolumbianischen Karibikküste der sechste Amerikagipfel ohne gemeinsame Abschlusserklärung - nach 2005 und 2009 bereits zum dritten Mal. Bei drei Themen zeigte sich der Dissens besonders krass: Kuba, Malwinen/Falkland-Inseln und Drogenpolitik.

Die von den USA und Kanada bekräftigte Ausgrenzung Kubas sei »ein Anachronismus, der uns an eine längst überwundene Ära des Kalten Kriegs gekettet hält«, sagte Gastgeber Juan Manuel Santos in seiner Eröffnungsrede. »Die Isolierung, das Embargo, die Gleichgültigkeit, das Wegschauen haben bereits ihre Wirkungslosigkeit unter Beweis gestellt«, erklärte Kolumbiens Staatschef.

Zum Ärger von Cristina Fernández de Kirchner unterließ er jedoch einen ausdrücklichen Hinweis auf den Anspruch Argentiniens auf die Malwinen (Falkland-Inseln), doch schließlich schlugen sich alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik auf die Seite von Buenos Aires. US-Präsident Barack Obama erklärte seine »Neutralität«, die Latinos verurteilten die »kolonialistische Haltung« Londons im Südatlantik. Cartagena sei ein guter Ort, um über die Malwinen zu reden, denn die Stadtmauern wurden »seinerzeit just zum Schutz gegen englische Piraten errichtet«, sagte Argentiniens Präsidentin während des nicht öffentlichen Teils des Gipfels.

Auch eine von Santos und seinem guatemaltekischen Kollegen Otto Pérez Molina geforderte Wende in der Drogenpolitik schloss Obama aus. Er sei gegen die Legalisierung von Drogen, erklärte er vor Unternehmern. Wenn die großen Drogenhändler »legal, ohne jede Behinderung agieren« könnten, wäre das womöglich »noch korrumpierender als der Status quo«.

Eine völlige Legalisierung fordert freilich kein einziger prominenter Politiker Lateinamerikas, sehr wohl aber eine Bestandsaufnahme und eine Abkehr von der fast ausschließlich auf Repression setzenden Strategie der »Drogenkriege«. Einer solchen Debatte wolle er sich natürlich nicht verschließen, sagte Obama. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) darf nun ganz offiziell Arbeitspapiere erstellen.

Auf dem Gruppenfoto von Cartagena ist der Erosionsprozess der in den 90er Jahren von den USA initiierten Amerikagipfel zu erkennen. Neben dem Ecuadorianer Rafael Correa, der aus Solidarität mit Kuba fernblieb, fehlten Daniel Ortega aus Nicaragua und der krebskranke Hugo Chávez aus Venezuela. Michel Martelly aus Haiti ließ sich ebenfalls mit Gesundheitsgründen entschuldigen, der Peruaner Ollanta Humala reiste vorzeitig ab.

Die acht Staaten des Linksbündnisses ALBA, angeführt vom bolivianischen Präsidenten Evo Morales, kündigten an, den Gipfel in drei Jahren zu ignorieren, sollte Kuba weiter ausgegrenzt werden. »Wir Lateinamerikaner haben einen schlechten Partner«, sagte Morales mit Blick auf den US-Präsidenten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. April 2012


Obamas "Kugelfänge" ließen's krachen

Vor dem Amerika-Gipfel: Sex-Skandal mit Secret-Service-Agenten

Von René Heilig **


Angehörige des Secret Service haben es beim Amerika-Gipfel in Cartagena offenbar so richtig krachen lassen. Ihr Boss, der US-Präsident, dem die Agenten als »Kugelfang« dienen, lässt prüfen, ob er verärgert sein muss.

So einen Typen nennt man wohl »Kameradenschwein«! Erst eine Dame der käuflichen Liebe ordern und sie dann nicht bezahlen, das ist schon übel genug. Doch dadurch die etwas sehr lockere Freizeitbeschäftigung einer ganzen Agenten-Crew auffliegen zu lassen, das ist der Gipfel!

Seit Gründung der US-amerikanischen Präsidenten-Sicherheitstruppe im Jahre 1865 versehen die Agenten des United States Secret Service ihre Arbeit zumeist unauffällig, geräuschlos und effektiv. Doch vor dem Amerika-Gipfel in Cartagena schlug ein gutes Dutzend dieser drahtigen Jungs mit Sonnenbrille, Kanone und Knopf im Ohr über die Stränge. Während ihrer einwöchigen Abordnung als Vorauskommando im Gipfelteilnehmer-Luxus-Hotel »Caribe« haben sie nicht nur unmäßig gesoffen. Nach einem Bericht der »Washington Post« ist noch nicht klar, wie viele Agenten Frauen mit auf ihr Zimmer genommen hatten und ob alle Prostituierte waren. Zwar sei Prostitution in Kolumbien teilweise legal, aber nach dem Verhaltenskodex des Dienstes sind derartige Kontakte tabu.

Weil sich eine der Damen um den ortsüblichen Lohn von 47 Dollar geprellt sah, kam die Polizei ins Spiel und unterrichtete die US-Botschaft. Elf »Special Agents« wurden noch vor Obamas Eintreffen in Kolumbien zurück nach Washington beordert, stundenlang vernommen und wegen grober Verstöße gegen den Ehrenkodex des Dienstes von eben diesem suspendiert. Damit nicht genug: Fünf US-Soldaten, die den Agenten zugeteilt waren, wurden in Kolumbien festgesetzt. Ihnen drohen Disziplinarverfahren.

Der Vorsitzende des Ausschusses für Heimatschutz im US-Repräsentantenhaus, Peter T. King, ein Republikaner, betonte zwar, dass zu keiner Zeit eine Gefahr für den von den Demokraten gestellten Präsidenten bestanden habe, doch im anhebenden Wahlkampf kann alles, was es aus dem Umfeld des Präsidenten zu vermelden gibt, Stimmung machen, die Stimmen bringt.

Rund 4500 Spezialagenten, uniformierte Bedienstete und 2000 technische Helfer in 150 Büros (darunter auch in Frankfurt am Main) sind Angestellte des Dienstes. Sie erwarten nun »ein großes Reinemachen«. Denn so sehr die Elitetruppe in Krimis gelobt wird, sie hat auch Schattenseiten. 2009 ließ der »Secret Service« zwei dubiose Autogrammjäger unerkannt ins Weiße Haus hinein. Im vergangenen Jahr erwischte man einen Agenten betrunken am Steuer, ein weiterer war in Honolulu in eine tödliche Schießerei verwickelt.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. April 2012

Letzte Meldung:

In der Sex- und Prostitutionsaffäre um mehrere Leibwächter hat US-Präsident Barack Obama dem Chef des Secret Service den Rücken gestärkt. Obama habe weiter Vertrauen in Mark Sullivan, erklärte das Weiße Haus. Der Secret Service habe "schnell" auf die Vorfälle beim Amerika-Gipfel am Wochenende in Kolumbien reagiert. Obama hatte am Sonntag eine vollständige Aufklärung der Affäre gefordert.
Aus einer meldung der Nachrichtenagentur AFP vom 17. April.



Die K-Frage

Von Olaf Standke ***

Es war kein gutes Wochenende für Barack Obama. Gleich elf seiner Personenschützer vom Secret Service mussten wegen eines Sauf- und Sex-Skandals vom Amerikagipfel in Kolumbien abgezogen werden. Und auch politisch lief es in Cartagena de Indias alles andere als befriedigend für den USA-Präsidenten. Im Unterschied zu seinem ersten Kontinentalgipfel vor drei Jahren war er nicht mehr der strahlende Wahlsieger und Hoffnungsträger. Die Gräben unter den 31 Staats- und Regierungschef sind unübersehbar.

Vor allem die K-Frage sorgte wieder einmal für Spannungen: An Kuba und seiner Teilnahme am »Gipfel der Amerikas« scheiden sich nach wie vor die Geister, nur war ein USA-Präsident in dieser Frage wohl noch nie isolierter als bei diesem Treffen. Für Kolumbiens Staatschef und Gipfelgastgeber Juan Manuel Santos wie für fast alle Gäste aus Amerika war klar: Ein weiterer OAS-Gipfel ohne die rote Karibik-Insel ist undenkbar. So wie das Embargo gegen Kuba als Anachronismus des Kalten Krieges endlich fallen müsse. Ecuadors Präsident Rafael Correa war dem Gipfel aus Protest gegen Havannas Ausschluss gleich ganz ferngeblieben. Das Veto der USA sei inakzeptabel, ihr Embargo unmenschlich. Kein Wunder also, dass es am Ende keine gemeinsame Abschlusserklärung gab, was allerdings auch an den deutlichen Meinungsverschiedenheiten mit Washington beim Thema Drogenlegalisierung lag. Bewegen sich die USA nicht, könnten die Lücken auf dem »Familienfoto« beim nächsten Gipfel größer werden.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. April 2012 (Kommentar)


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