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Die Tücken des Rohstoffbooms

Das Jahrbuch Lateinamerika beleuchtet neue Chancen und Risiken auf dem Subkontinent

Von Martin Ling *

Weite Teile Lateinamerikas verzeichnen seit Jahren hohe Wachstumsraten. Der Grund: hohe Rohstoffpreise, die den rohstoffexportierenden Ländern zugute kommen. Der Boom weckt Hoffnungen, hat aber nicht wenige Schattenseiten. Das Jahrbuch Lateinamerika »Rohstoffboom mit Risiken« zeichnet ein differenziertes Bild von Chancen und Gefahren der aktuellen Rohstoffhausse.

»Wir haben Öl für 200 Jahre«, blickt Hugo Chávez optimistisch in die Zukunft - für Venezuela und für Lateinamerika. Auch für Elmar Altvater, emeritierter Politikprofessor und Lateinamerika-experte steht fest, dass der Energiereichtum »neue Perspektiven der lateinamerikanischen Entwicklung und Integration« eröffnet. In seinem Überblicksbeitrag im Jahrbuch Lateinamerika »Rohstoffboom mit Risiken« geht er aus historischer Sicht der Frage nach, ob aus dem Subkontinent ein »Elpetrolado», quasi ein Ölparadies werden könnte, dass im Gegensatz zum »Eldorado« der Kolonialzeit den Reichtum für die Allgemeinheit fruchtbar machen kann - so wie es sich Hugo Chávez und sein bolivianischer Kollege Evo Morales explizit auf die Fahnen geschrieben haben. Das größte Potenzial misst er dabei dem von Hugo Chávez ins Leben gerufenen Integrationsprojekt ALBA bei, auch »Handelsvertrag der Völker« genannt, das einen Ausbau der lateinamerikanischen Infrastruktur, aber auch die länderübergreifende Zusammenarbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren von Bildung über Gesundheit bis hin zu Ressourcenschutz vorsieht. Doch ein »Elpetrolado« hält Altvater für eine gefährliche Illusion, da selbst Venezuelas Ölvorräte endlich sind. »Zukunft hat nur ein Projekt, das auf einer solaren und solidarischen Wirtschaft und Gesellschaft gründet.« Und die Weichen dafür seien noch zu stellen.

Neben Venezuela gehört Brasilien zu den Energiegroßmächten des Subkontinents. Dabei ist es vor allem sein Potenzial und seine Erfahrung als Agrotreibstoffproduzent, das das Land für die globale Debatte über die Rolle von Agrotreibstoffen in der Debatte um den Klimawandel so interessant macht, so Thomas Fatheuer in seinem Beitrag. Schon die brasilianische Militärdiktatur ersetzte Benzin teilweise durch aus vom reichlich vorhandenen Zuckerrohr gewonnenen Alkohol. Nun steht Brasilien angesichts des hohen Erdölpreises vor einem neuen Zuckerboom. Angesichts der auch vom linken Präsidenten Lula beibehaltenen »konservativen Modernisierung« des Agrarsektors mit Fokus auf dem Agrobusiness und seines traditionellen Entwicklungsmodells, das auf Megaprojekte und selbst den Ausbau der Atomenergie setzt, ist auch Brasilien weit davon entfernt, die Weichen in Richtung auf ein solar-solidarisches Entwicklungsmodell zu stellen.

Einem solar-solidarischen Entwicklungsmodell scheint Kuba am nächsten, das aus ökonomischer und erst aus zweiter Linie ökologischer Notwendigkeit in der Sonderperiode eine Energierevolution einleitete, die Fidel Castro 2005 offen verkündete. Bisher »ist der Karibikstaat das weltweit einzige Land, in dem ein hoher Index für menschliche Entwicklung nicht mit der Regeneration der Ökosysteme im Konflikt steht«, zitiert die Autorin Silke Helfrich einen vom World Wildlife Fund herausgegebenen Bericht. Insgesamt, so machen Beiträge über den Bergbau in Peru, den Vormarsch der transgenen Landwirtschaft oder die Zellstoffproduktion klar, kommen ökologische und soziale Aspekte nicht selten unter die Räder des Fortschrittsglaubens.

Hintergründige Länderbeiträge über die Bilanz der ersten chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet, Boliviens Aufbruch unter Evo Morales, Nicaraguas Rückkehr der Sandinisten an die Macht, Mexikos zerstrittene Linke sowie die relative Stabilisierung in Haiti bis zu den jüngsten Hungerrevolten, runden den informativen und lesenswerten Sammelband ab.

Karin Gabbert et al. (Hg.): Jahrbuch Lateinamerika 31: Rohstoffboom mit Risiken. Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2008, 222 Seiten, 24,90 Euro.

* Aus: Neues Deutschland, 29. April 2008


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