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Säbelrasseln im Andenraum

Lateinamerika zwischen Rohstoffsozialismus und US-Geostrategie

Von Stefan Schmalz *

Am 1. März überschritten kolumbianische Truppen die ecuadorianische Grenze. Das Ziel war ein Lager der kolumbianischen Guerillabewegung FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo), die auch im Grenzraum operiert. Die kolumbianische Luftwaffe griff das Camp mit Streubomben an. Das Ergebnis: 25 Tote, darunter Raúl Reyes, die Nr. 2 der Guerilla. Der Militärschlag hinterließ jedoch einen besonderen Kollateralschaden. Vier mexikanische und ein ecuadorianischer Staatsbürger wurden getötet. Es folgte die diplomatische Krise. Die venezolanische und ecuadorianische Armee machten mobil. Erst nach einer Woche konnte der Konflikt durch die Ansage Kolumbiens, auf weitere Militäraktionen verzichten zu wollen, beigelegt werden. Doch der Kampfeinsatz hat strukturelle Ursachen und spiegelt das veränderte politische Kräfteverhältnis in der Andenregion wider.

Schon seit längerem gilt der Andenraum unter Beobachtern aus den USA und der EU als Krisenregion. Düstere Szenarien werden heraufbeschworen: Staatsverfall, Drogenhandel, populistische Regierungen und der bewaffnete Konflikt in Kolumbien drohen die Andenregion zu destabilisieren, so die Argumentation verschiedener Think Tanks und Regierungsvertreter. Beim Andenraum handelt es sich allerdings um eine Region im Umbruch, in der keine einheitliche Entwicklungstendenz vorherrscht. Sie ist Teil eines größeren Wandels. Gestützt von starken sozialen Bewegungen zogen in Lateinamerika linksorientierte Regierungen in die Präsidentenpaläste ein. Sicherlich existieren Gemeinsamkeiten zwischen diesen Regierungen. Die meisten leiteten eine außenpolitische Reorientierung ein und lockerten ihre Beziehungen zu den USA. Neue Formen der demokratischen Partizipation werden erprobt. In beinahe allen Ländern wurden Sozialprogramme aufgelegt, die große Teile der Bevölkerung mit Transferleistungen und Basisdienstleistungen versorgen. Zuletzt lässt sich eine Re-Regulierung privatisierter Unternehmen beobachten. Doch es lassen sich auch klare Unterschiede zwischen den Projekten ausmachen. wobei man von drei Modellen sprechen kann.

A. Neoliberale Kontinuität

In diesen Ländern lässt sich eine große Nähe zu den USA ausmachen. Das neoliberale Lager reicht von Mexiko über weite Teile Mittelamerikas bis nach Kolumbien, Peru und evt. auch Chile. Die Länder sind in Freihandelsabkommen mit den USA eingebunden. Diese Abkommen sichern durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der weiteren Öffnung für den Handel mit Waren und Dienstleistungen die Vorherrschaft des Neoliberalismus ab. Die monetaristische Finanzpolitik wird fortgeführt, sodass wenig Spielraum für Sozialprogramme bleibt. Zusätzlich setzen die Regierungen auf weitere Marktöffnungen und Privatisierungen. Die Herrschaft der traditionellen herrschenden Klassen bleibt unangetastet. Flankiert wird der Kurs von einem Ausbau der repressiven Staatsapparate, um den bröckelnden Konsens zum Neoliberalismus mit Zwang zu panzern. Viele der linksorientierten sozialen Bewegungen bewegen sich lange im außerparlamentarischen Raum. Es kommt zu einer Militarisierung der Innenpolitik und einem Wiederaufleben verschiedener Aufstandsbewegungen wie der EPR (Ejército Popular Revolucionario) in Mexiko. Auch die Fortsetzung des blutigen Bürgerkriegs in Kolumbien folgt einer vergleichbaren Dynamik. Im Kern handelt es sich dabei jedoch um soziale Konflikte.

B. Sozialliberalismus

Ein zweites Modell lässt sich in einer graduellen sozialdemokratischen Umorientierung etwa in Argentinien, Brasilien oder Uruguay, vorfinden. Hier lässt sich eine Reorientierung der Außenpolitik erkennen. Sie wird von einem Wachstum der Handelsverknüpfungen mit bedeutenden Schwellenländern – vor allem China und Indien – getragen. Dennoch wird ein offener Konflikt mit den USA um die regionale Vorherrschaft vermieden. Das zentrale Integrationsprojekt ist der Mercosur, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela als Vollmitglieder angehören. Das Bündnis soll von einem eher offenen Regionalismus ohne starke überstaatliche Institutionen zu einem sozial orientierten Integrationsmodell umgebaut werden. Das Vorhaben eines „Mercosur social“ wird jedoch durch interne Konflikte der Mitgliedstaaten immer wieder gebremst und blockiert. Die neuen Regierungen treiben innenpolitisch einen langsamen Umbau der staatlichen Institutionen voran. Auch die Wirtschaftspolitik wurde lediglich graduell verändert. Der Stopp der Privatisierungen und die teilweise Re- Verstaatlichung privatisierter Betriebe werden von einem eingeengten finanzpolitischen Spielraum begleitet. Deshalb bleiben die Sozialprogramme, etwa das Bolsa Família Programm in Brasilien, in dessen Rahmen Transferleistungen an 11,2 Mio. Familien geleistet werden, in ihrer Reichweite beschränkt. Um die Reformen durchzusetzen, bauen die sozialliberalen Regierungen auf einen Pakt mit den alten Eliten. Diese widersprüchliche Klassenallianz führt dazu, dass ein Teil der sozialen Bewegungen in das Regierungsprojekt eingebunden wird und ein anderer Teil sich enttäuscht abwendet.

C. Rohstoffsozialismus

Der dritte Transformationspfad setzt auf den radikalen Bruch und basiert im Kern auf die Re-Verstaatlichungen und Re-Regulierungen im Energiesektor und die hohen Erdöl- und Erdgaspreise. In Bolivien, Venezuela und Ecuador greifen die Regierungen auf diese Weise auf die Petrorente zu und nutzen diese, um umfangreiche Sozialprogramme zu finanzieren. Auch Kuba profitiert vom Tauschhandel von Dienstleistungen gegen Energieressourcen mit den rohstoffsozialistischen Ländern. Diese Politik geht mit einer „Neugründung des Staates“ einher. Verfassungsgebende Versammlungen in Ecuador, Bolivien und Venezuela legen die Grundlage für ein neues institutionelles Gerüst. Dieser Prozess geht freilich nicht ohne soziale Konflikte einher. Die traditionellen Sektoren antworten mit einem „Klassenkampf von oben“. Außenpolitisch herrscht ein widersprüchliches Verhältnis zwischen raschem Wandel und Kontinuität vor. Mit der ALBA wurde ein viel versprechendes Integrationsprojekt eingeleitet, dem mittlerweile außer Venezuela als treibender Kraft Bolivien, Kuba, Nicaragua und die Inselrepublik Domenica beigetreten sind. Außerdem zogen sich Venezuela und Ecuador vor einem Jahr aus dem IWF zurück. Doch die Absage an das „US-Imperium“ konnte auf der Ebene der Weltmarkteinbindung bisher keine wegweisenden Veränderungen erzeugen: Gerade Venezuela bleibt weiterhin zu über 90% Erdölexport abhängig, wovon rund zwei Drittel in die Vereinigten Staaten gehen.

Kolumbien als Teil der US-Geostrategie

Im Andenraum schließlich prallen die beiden gegensätzlichen Projekte der neoliberalen Kontinuität und des Rohstoffsozialismus aufeinander. Mit Ecuador, Bolivien und Venezuela sind hier einige der radikalsten Linksregierungen vertreten. Als Gegenpol sind mit Alvaro Uribe Vélez in Kolumbien und mit Alan García in Peru neoliberale Präsidenten im Amt. Die regionalen Ordnungsvorstellungen gehen weit auseinander. So trat die venezolanische Regierung im Jahr 2006 aus der Andengemeinschaft (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela) aus, da Kolumbien ein Freihandelsabkommen mit den USA abschließen will. Umgekehrt fürchtet die kolumbianische Regierung eine Kooperation der FARC-EP mit den sozialistischen Anrainerstaaten.

Vor diesem Hintergrund entstanden Spannungen, die im März eskalierten. Kolumbien wird von den Nachbarn schon lange Zeit als regionale Plattform der US-amerikanischen Geostrategie wahrgenommen. Im Rahmen des Plan Colombia seit dem Jahr 2001 haben die USA bereits über 5 Mrd. US $ für die Aufstandsbekämpfung und den Anti-Drogenkrieg in Kolumbien beigesteuert. Militärberater und private Sicherheitsfirmen aus den USA sind in dem Land aktiv. Besprühungen von Kokaplanzungen aus der Luft mit dem Herbizid Glyphosat sind an der Regel. Offen bleibt die Frage, wie sich die Situation weiter entwickelt. Der Konflikt ist nicht beendet. Die ecuadorianische Regierung hat auf die kolumbianischen Provokationen reagiert. Sie reichte eine Klage gegen Kolumbien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein. Denn durch die Besprühungen im Grenzgebiet werden nicht nur Kokaanbauflächen, sondern auch Nutzpflanzen und damit die Lebensgrundlage vieler ecuadorianischer Kleinbauern vernichtet. Das Grundwasser ist verseucht – Fehlgeburten, Missbildungen und Krankheiten sind Normalität.

Die jüngste Militäraktion Kolumbiens war nicht Gegenstand der Klage. Viele Umstände sind noch ungeklärt. Jüngste Indizien weisen darauf hin, dass US-amerikanische Flugzeuge beteiligt waren. Diese könnten vom US-Militärstützpunkt in Manta in Ecuador gestartet sein. Die Verfassungsgebende Versammlung Ecuadors beschloss im April mit 89 von 130 Stimmen, dass Ecuador zum Friedensterritorium wird. Ausländische Militärbasen sollen verboten werden. Der Vertrag über den Stützpunkt in Manta läuft im Jahr 2009 aus. Damit ergibt sich eine weitere tiefgreifende Veränderung in der Andenregion: Der Ausstieg des Nachbarlands aus der von Washington betriebenen Regionalisierung des kolumbianischen Bürgerkriegs.

Gewählte Iinke Präsidenten

Land Regierung
Venezuela Hugo Chávez (1998)
Brasilien Luiz Inácio „Lula“ da Silva (2002)
Argentinien Néstor Kirchner (2003)
Uruguay Tabaré Vázquez (2004)
Bolivien Evo Morales (2005)
Chile Michelle Bachelet (2006)
Haiti René Préval (2006)
Nicaragua Daniel Ortega (2006)
Ecuador Rafael Correa (2007)
Guatemala Álvaro Colom (2007)
Paraguay Fernando Lugo (2008)


* Dr. Stefan Schmalz, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 3, Mai 2008

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