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Die Mühen der Bürgerbeteiligung

Südamerikas Linksregierungen besuchten erstmals Sozialgipfel der Zivilgesellschaft

Von Mareike Lühring und Hauke Lorenz, Foz de Iguazu *

Die südamerikanischen Linksregierungen haben sich mehr Bürgerbeteiligung verschrieben. Dennoch bleibt ein Spannungsverhältnis zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft normal. Beim 10. MERCOSUR- Sozialgipfel im brasilianischen Foz do Iguazu gab es Annäherungen.

Es war ein Zeichen der Wertschätzung: Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Fernando Lugo (Paraguay) und José Mujica (Uruguay) besuchten vor dem halbjährlich stattfindenden Präsidententreffen des Gemeinsamen Marktes des Südens (MERCOSUR) erstmals den zum zehnten Mal ausgetragenen regionalen Sozialgipfel. Dieser Besuch in Foz de Iguazu stellt eine bedeutsame Richtungsänderung im Dialog zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft dar, waren es doch in den letzten Jahren Delegierte der Zivilgesellschaft, die zu dem Gipfel der Präsidenten reisen mussten, um ihre Forderungen zu überreichen.

Die knapp 800 anwesenden Vertreter der Zivilgesellschaft waren aus den Ländern des MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela) und der assoziierten Staaten (Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador) angereist. Sie diskutierten vor allem über die Demokratisierung des MERCOSUR und über mögliche Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft auf öffentliche Politiken. »Es geht uns darum, Themen zu platzieren, damit darüber gesprochen wird und regionale Politiken entstehen«, sagte die paraguayische Bildungsaktivistin Johana Ramirez Verón. Lateinamerika ist weltweit die Region mit der höchsten sozialen Ungleichheit, so ist die Hoffnung groß, dass die regionale Integration im sozialen, politischen und kulturellen Bereich zu mehr Chancengleichheit führt. »Nur gemeinsam können wir erreichen, dass beispielsweise regionale Gesundheits- oder Bildungsreformen entstehen und sich somit etwas für die Menschen ändert« führte Ramirez weiter aus.

Zum ersten Mal fand während des Sozialgipfels Mitte Dezember auch ein Treffen von Vertretern der afroamerikanischen Bevölkerung der Mitgliedsländer statt, die ihre zukünftige Zusammenarbeit auf regionaler Ebene koordinierten. »Wir arbeiten nun auf regionaler Ebene gegen jegliche Art von Diskriminierung und vor allem Xenophobie« sagte Carlos Álvarez Nazareno von der argentinischen Organisation Africa y su Diáspora. Ähnliche Ziele formulierten auch bolivianische Auswanderer, die in Brasilien immer wieder mit Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen haben.

In seiner Rede bei der Abschlussveranstaltung am 17. Dezember würdigte der brasilianische Präsident Lula das Engagement der Zivilgesellschaft und erinnerte an seine Zeit als Gewerkschafter. »Noch immer fehlen Mechanismen, die Unterschiede zwischen den Ländern beseitigen können. Aber wir kommen außergewöhnlich gut voran.« Ziel sei der Wandel von wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu einem demokratischen und partizipativen südamerikanischem Bündnis.

Ignacio Arboleya von der uruguayischen Organisation Mercosur Social y Solidario ist ein wenig skeptischer als Lula: Jenseits von Wirtschaftsverträgen versuche der Sozialgipfel den Prozess der regionalen Integration thematisch zu erweitern, nehme jedoch keinen direkten Einfluss auf die regionale Politik, resümiert er. Beide Seiten sprächen zwar die gleiche Sprache und fordern eine Demokratisierung, doch bislang könne die Annäherung der Präsidenten nur als symbolisch gewertet werden. Der Sozialgipfel sei vielmehr für den Austausch und die Koordination zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen verschiedener Länder wichtig.

Die Präsidenten haben mit dem Besuch des Sozialgipfels eine gute Richtung eingeschlagen, nun müssen jedoch Instrumente und Strukturen geschaffen werden, die die Zivilgesellschaft als politische Subjekte in den Integrationsprozess miteinbeziehen. Die Etablierung des MERCOSUR-Parlaments (Parlasur) in Montevideo (Uruguay) könnte ein erster Schritt sein.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2010


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