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Gefahr vor der Küste

Die US-Marine reaktiviert ihre vierte Flotte. Kriegsschiffe sollen ständig vor Südamerika kreuzen. Proteste im Zielgebiet

Von Harald Neuber *

Die USA verstärken ihre militärische Präsenz in Lateinamerika. Ab dem 1. Juli wird die Vierte Flotte der US-Kriegsmarine ständig in internationalen Gewässern vor Südamerika kreuzen. Nach Angaben des Washingtoner Verteidigungsministeriums soll der Verband mit seinem Flagschiff, dem mit maximal 5500 Mann besetzten Flugzeugträger »George H. W. Washington«, den »Kampf gegen den Drogenhandel« und die »sicherheitspolitische Kooperation« mit »internationalen Partnern« unterstützen. Doch in der Zielregion glaubt das niemand. Die maritime Militarisierung auf hoher See wird in Südamerika eindeutig politisch interpretiert – als Reaktion auf die Loslösung der Region von der US-amerikanischen Dominanz.

Die Vierte Flotte der US-Navy war 1943 geschaffen worden, um die amerikanischen Gewässer vor U-Boot-Attacken Nazideutschlands zu schützen. Nach sieben Jahren wurde das Kommando 1950 wieder aufgelöst, während die Sechste Flotte im Mittelmeer und die Siebente Flotte in Asien stationiert blieben. Daß der lange inaktive Verband nun, nach 58 Jahren, im Rahmen des Südkommandos des US-Militärs wieder seinen Betrieb aufnimmt und gen Südamerika fährt, ist für viele Beobachter ein eindeutiges Signal an die linksgerichteten Staatsführungen der Region. Im Interview mit der britischen BBC sprach Alejandro Sánchez vom Washingtoner Think-Tank Council on Hemispheric Affairs von einer »mehr politischen als militärischen Entscheidung«. In den vergangenen Jahren hätten sich US-Militärstrategen auf Irak und Afghanistan konzentriert: »Nun versucht die US-Regierung, ihr Engagement in Lateinamerika wieder zu verstärken«.

Der uruguayische Journalist Raúl Zibechi formuliert es krasser. Die Mobilisierung des Marineverbandes sei der erste große Schritt »in einer lang angelegten Strategie Washingtons«. Auch den Angriff auf ein Lager der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) auf ecuadorianischem Territorium, der Anfang März für ein politischen Erdbeben in der Region gesorgt hat, sieht Zibechi als Teil dieser neuen Militärpolitik. Bei der Intervention der kolumbianischen Armee und Luftwaffe waren damals zwei Dutzend Menschen ermordet worden. In der Region wird vermutet, daß dieser Überfall von US-Militärbasen in Südamerika aus unterstützt wurde.

Auch vor diesem Hintergrund trifft die Entsendung der US-Kriegsmarine nach Südamerika auf Widerstand der dortigen Regierungen. Während ein Sprecher des US-Südkommandos die Entscheidung als »administrative Maßnahme« bagatellisiert, übte Venezuelas Präsident Hugo Chávez scharfe Kritik. Die Verlegung der Vierten Flotte diene der »Spionage und Provokation«, sagte er Ende vergangener Woche in Brasilia: »Sie werden uns aber keine Angst machen, noch werden sie uns von dem Weg abbringen, den wir eingeschlagen haben«, so Chávez, der den Grund für die Militarisierung im Erdölreichtum Südamerikas sieht. Ähnlich hatte sich der Journalist Zibechi geäußert, als er darauf verwies, daß ein Drittel der Erdölimporte der USA aus Mexiko, Venezuela und Ecuador stammen.

Nicht nur die linksregierten Staaten der Region beobachten die Stationierung des US-Marineverbandes mit Argwohn. Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim kündigte die Sperrung der Gewässer seines Landes für die US-Kriegsschiffe an. »Sie können internationale Seegebiete nutzen«, sagte Jobin, »aber hier kommen sie nicht rein«.

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2008


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