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"Die Operation ist genehmigt"

Vor 25 Jahren ereignete sich das Massaker von Sabra und Schatila

Von Karin Leukefeld *

Zum 25. Mal jährt sich an diesem Wochenende ein Ereignis, das in die Geschichte des Nahen Ostens, die ohnehin Reich an Krieg und Gewalt ist, als Massaker von Sabra und Schatila eingegangen ist.

»Ja, ja, ich bin Palästinenserin, meine Großeltern kamen aus Haifa, sie haben mir alles über unsere Heimat erzählt.« Ayse Kayat (42) hat ihre palästinensische Heimat nie gesehen. Ihre Eltern wurden 1949 vertrieben und fanden Zuflucht im Flüchtlingslager Schatila, im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Dort wurde Ayse Kayat geboren. Sie erinnert sich genau an den 15. September 1982, als die israelische Armee die Flüchtlingslager Sabra und Schatila abriegelte. Damals war sie gerade 17 Jahre alt. »Die Israelis hatten unser Lager umzingelt. Dann fingen sie an, die Menschen abzuschlachten, direkt vor unserem Haus. Wir konnten zu unseren Großeltern fliehen.«

Sie, das waren Phalangisten, die christliche Miliz des damaligen Präsidenten Bashir Gemayel, der am 14. September 1982 bei einem Attentat auf das Hauptquartier seiner Partei getötet worden war. Phalangisten und Israelis machten die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO für das Attentat verantwortlich, obwohl Israel und seine christlichen Verbündeten in Libanon die Führung um Yasser Arafat bereits Ende August zum Abzug gezwungen hatten. Während die israelische Armee rund um die Lager Stellung bezog, marschierten die Phalangisten ein und nahmen Rache. Unterstützt wurden sie von der südlibanesischen Armee (SLA) unter Saad Haddad.

2000 palästinensische Terroristen wollte man ausschalten lautete die offizielle Sprachregelung der Israelis, die das Vorgehen mit den Phalangisten abstimmten. Ein Telefonat General Droris, des Oberkommandierenden der israelischen Armee, mit dem damaligen Verteidigungsminister Ariel Scharon dokumentiert die enge Zusammenarbeit: »Unsere Freunde gehen in die Lager. Ich habe den Einmarsch mit ihren Spitzenleuten koordiniert.« Die Antwort Scharons: »Glückwunsch! Die Operation der Freunde ist genehmigt.«

Das Morden begann am 16. September. Erst einen Tag später erreichten die ersten Berichte die Weltöffentlichkeit.

Verblichene Fotos aus jener Zeit zeigen den Boden mit Leichen übersät. Eine Frau in gemustertem Kleid hebt anklagend den linken Arm, als wolle sie sagen: »Seht!« Ihre rechte Hand hält das Kopftuch, das nach hinten rutscht, ihr Mund ist weit geöffnet, doch ihr Schrei bleibt stumm, als fehlten ihr die Worte für das Grauen. Die Bilder zeigen erstarrte Leichen, Männer, Frauen, Kinder über- und durcheinander gefallen, verbrannte Köpfe, aufgeschlitzte Bäuche, gespaltene Schädel ...

Die Zahl der Toten von Sabra und Schatila liegt zwischen 800 und 3500. Genaue Untersuchungen gab es nie. Ein Jahr später verurteilte ein israelisches Gericht Regierung und Militärführung Israels, weil sie das Morden geduldet hatten. Verteidigungsminister Scharon trat zurück. Ein von 24 Überlebenden der Massaker angestrengtes Verfahren gegen die verantwortlichen israelischen Staatsbürger wurde 2003 zurückgewiesen. Aufgrund massiven Drucks aus Israel hatte das belgische Parlament das entsprechende Gesetz, wonach Kriegsverbrecher in Belgien angeklagt werden konnten, geändert.

Die Palästinenserin Ayse Kayat überlebte, doch einige ihrer Verwandten sind seither verschwunden. »Die Israelis haben sie verschleppt, lebendig begraben, ermordet, abgeschlachtet, wie Schafe. Obwohl sie Schafe höflicher schlachten, als uns Palästinenser.«

* Aus Neues Deutschland, 15. September 2007


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