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Ein Baum führt fast zu Krieg

In Israel und Libanon liegen die Nerven blank

Von Karin Leukefeld *

An der umstrittenen »Blauen Linie«, der Grenze zwischen Israel und Libanon, kam es am Dienstag (3. Aug.) zu einem stundenlangen Feuergefecht zwischen den Streitkräften beider Staaten. Der Vorfall ereignete sich bei Kafr Killa im Südosten Libanons, wo der Grenzverlauf um eine israelische Enklave umstritten ist.

Der jetzige Grenzverlauf wurde 2000 nach dem Rückzug Israels aus Südlibanon von den UNIFIL-Truppen festgelegt. Seit dem Ende des israelisch-libanesischen Krieges im Sommer 2006 war der Vorfall am Dienstag der folgenschwerste. Auf libanesischer Seite kamen bei dem Feuergefecht drei Soldaten und ein Journalist ums Leben, auf israelischer Seite ein Offizier.

Vorausgegangen waren nach Angaben der israelischen Armee »routinemäßige Wartungsarbeiten«. Bilder der Nachrichtenagentur Reuters zeigen, wie ein Soldat auf einer Hebebühne von einem Kran über den nördlichen der zwei Grenzzäune gehoben wird, die eine israelische Militärstraße einrahmen. Offenbar sollten jenseits des Zaunes Bäume gefällt werden, vermutlich um dem israelischen Militär freie Sicht nach Libanon zu verschaffen. Die nahe postierte libanesische Armee (LAF), die offenbar nicht über die »Wartungsarbeiten« informiert war, hatte die Israelis aufgefordert, die Aktivitäten einzustellen, was nicht geschah. Daraufhin feuerte die LAF, die Israelis schossen zurück.

Der Vorfall löste einen Sturm der Entrüstung in Libanon aus, wo die Nerven ohnehin wegen anhaltender israelischer Provokationen blank liegen. Fast täglich kommt es zu Überflügen israelischer Kampfjets, was die Waffenstillstandsresolution 1701 seit dem Krieg 2006 verbietet. Seit Anfang 2009 wurden mehr als 150 Personen eines israelischen Spionagenetzes festgenommen. In seltener Einheit stellten sich alle politischen Lager in Libanon hinter die Armee, die von Präsident Michel Suleiman beauftragt wurde, in Südlibanon »jeden Angriff gegen unser Territorium, gegen die Armee oder die Bevölkerung mit allen vorhandenen Mitteln abzuwehren«.

Die Hisbollah war an dem Vorfall nicht beteiligt, erklärte aber ihre Bereitschaft, jederzeit das Land zu verteidigen. Das sagte deren Vorsitzender Hassan Nasrallah in einer Rede zur Erinnerung an die Opfer des Krieges von 2006, der am 14. August vor vier Jahren zu Ende ging. Gleichzeitig kündigte Nasrallah Informationen an, wonach Israel Drahtzieher des Mordes an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri war. Details werde er in der kommenden Woche vorlegen.

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak warnte derweil Libanon vor »weiteren Provokationen«. Israel wolle einen Vorstoß starten, um Frankreich und die USA davon abzubringen, die libanesische Armee weiter mit Waffen zu versorgen.

Inzwischen erklärte UNIFIL-Militärsprecher Oberstleutnant Naresh Bhatt, der umstrittene Baum und weitere Bäume in dem kleinen Tal südlich von Kafr Killa gehöre nach UNIFIL-Recherchen zu Israel, womit die Verantwortung für den tödlichen Schusswechsel offiziell Libanon übertragen und das Fällen der Bäume sanktioniert wurde. Während in Libanon am Mittwoch die Toten des Grenzgefechts beerdigt wurden, beendete die israelische Armee unter massivem Feuerschutz ihre »Wartungsarbeiten« und fällte Bäume.

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2010


Israels Botschaft

Arabische Staaten verurteilen Angriff auf libanesisches Staatsgebiet

Von Karin Leukefeld **


Während am Mittwoch (4. Aug.) im Libanon die Toten des Grenzgefechts vom Vortag beerdigt wurden, beendete die israelische Armee unter massivem Feuerschutz ihre »Wartungsarbeiten« und fällte Bäume im umstrittenen libanesisch-israelischen Grenzgebiet bei Adaysseh (Kfar Kila) im Südosten des Libanon. Die Arbeiten jenseits der martialischen Grenzbefestigungen Israels zu seinem nördlichen Nachbarn hatten am Dienstag (3. Aug.) zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen den Streitkräften beider Seiten geführt, bei der drei libanesische Soldaten und ein Journalist der Tageszeitung Al Akhbar sowie ein israelischer Offizier getötet worden waren. Ein weiterer libanesischer Journalist wurde verletzt.

Der libanesische Parlamentssprecher Nabi Berri bezeichnete den Vorfall als »klare Botschaft (Israels) gegen die Bemühungen Syriens und Saudi-Arabiens, die Stabilität des Libanon zu garantieren«. Der saudische König Abdullah und Syriens Präsident Baschar Al-Assad hatten zuvor in Beirut für die Einheit des Landes geworben sowie ihre Unterstützung gegen israelische Drohungen bekräftigt. Assad verurteilte den Vorfall als »hinterhältige Aggression«, die einmal mehr zeige, daß Israel alles tue, um Sicherheit und Stabilität des Libanon und der Region zu unterlaufen. Der Libanesische Verteidigungsrat befahl den Truppen im Süden des Landes, »jedem Angriff gegen unser Territorium, gegen die Armee oder die Bevölkerung mit allen vorhanden Mitteln zu begegnen«.

Nicht beteiligt an dem Vorfall vom Dienstag war die Hisbollah, deren Vorsitzender Hassan Nasrallah sich am Dienstag abend aus Anlaß des Kriegsendes vor vier Jahren in einer Videoübertragung an die Libanesen wandte. Nasrallah erklärte, seiner Organisation lägen Informationen vor, wonach Israel Drahtzieher des Mordes an Staatschef Rafik Hariri vor fünf Jahren gewesen sei. Israel habe die »politische Rivalität« zwischen Hariri und Hisbollah ausgenutzt, Details werde er in der kommenden Woche vorlegen. Das tödliche Feuergefecht an der Grenze verurteilte Nasrallah und sagte, seine Organisation sei jederzeit bereit, das Land zu verteidigen.

Für die israelischen Medien ist der Zwischenfall hingegen durch einen Hinterhalt der libanesischen Armee verursacht worden, dem die Soldaten bei »routinemäßigen Wartungsarbeiten« zum Opfer gefallen seien. Dafür spreche die Anwesenheit von offenbar vorher über die Absicht der libanesischen Armee informierten Kameraleuten und Journalisten, ist in der Onlineausgabe der Yedioth Ahronoth, Ynetnews, zu lesen. Verteidigungsminister Ehud Barak warnte den Libanon vor »weiteren Provokationen«. Israel habe alle Staaten kontaktiert, die Soldaten bei den knapp 13000 Mann starken UNIFIL-Schutztruppen hätten, um klar zu machen, daß der Libanon absichtlich israelisches Territorium angegriffen habe, berichtete die Jerusalem Post.

Israel will offenbar auch die USA und Frankreich davon abbringen, die libanesische Armee weiter mit Waffen zu versorgen, berichtet die israelische Tageszeitung Haaretz. »Anstatt diese Waffen gegen die Hisbollah einzusetzen, greift die libanesische Armee unsere Soldaten an«, wird ein namentlich nicht genannter »hoher Beamter« zitiert. Israel wolle den US-Kongreß dazu bringen, dem Libanon keine weitere Militärhilfe zu gewähren. Im vergangenen Jahr hatten die USA das arabische Land mit etwa 400 Millionen US-Dollar zum Ankauf neuer Waffen unterstützt, obwohl Israel Einspruch erhoben habe, schreibt Haaretz. Frankreich habe sogar Panzerabwehrraketen an den Zedernstaat geliefert.

Inzwischen erklärte UNIFIL-Militärsprecher Oberstleutnant Naresh Bhatt, der umstrittene Baum und weitere Bäume in dem kleinen Tal südlich von Kfar Kila gehörten nach Recherchen seiner Truppen zu Israel. Damit wies er die Verantwortung für den tödlichen Schußwechsel dem Libanon zu. Die als »Blaue Linie« bezeichnete Grenze wurde nach dem Rückzug Israels aus dem Südlibanon im Jahr 2000 von den UNIFIL-Truppen festgelegt, ist aber an mehreren Stellen umstritten. Obwohl in der Waffenstillstandsresolution 1701 nach dem Krieg 2006 beide Seiten aufgefordert werden, Grenzstreitigkeiten zu klären, ist dies bis heute nicht geschehen. Zu den umstrittenen Gebieten gehört auch die israelische Enklave bei Kfar Kila, wo sich der Vorfall ereignete.

** Aus: junge Welt, 5. August 2010

Dokumentiert: Israelische Stellungnahmen zum Grenzvorfall

Ministerpräsident Binyamin Netanyahu:

„Israel betrachtet diesen Angriff auf israelische Soldaten mit allergrößtem Ernst. Dies war ein krasser Verstoß gegen die UN-Sicherheitsratsresolution 1701. Ich sehe die libanesische Regierung als direkt verantwortlich für diese gewaltsame Provokation gegen Israel an. Israel hat aggressiv geantwortet und wird dies auch in Zukunft bei jedem Versuch tun, die Ruhe an der Nordgrenze zu stören und Einwohner Nordisraelis sowie die Soldaten, die sie beschützen, anzugreifen.“


Verteidigungsminister Ehud Barak:

„Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte werden weiter energisch und entschlossen handeln, um Israels Bewohner und seine souveränen Grenzen zu schützen. Israel strebt nach Frieden und hat dies beweisen, als es seine Truppen im Jahr 2000 hinter die internationale Grenze zurückzog. Jedoch wird Israel keinerlei Angriffe auf Soldaten und Bürger auf seinem Territorium billigen.“

Quelle: Außenministerium d es Staates Israel, 03.08.10


Botschafter Yoram Ben-Zeev (Berlin):

„Der gestrige Vorfall an der israelisch-libanesischen Grenze wurde ausgelöst durch eine schwere Provokation des Libanon gegenüber Israel und stellt eine eindeutige Verletzung der UNO-Resolution 1701 dar.

Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) waren am 3. August 2010 mit Instandhaltungsarbeiten, die sie routinemäßig an dieser Stelle ausführen, beschäftigt. Die IDF agierten dabei auf der israelischen Seite der „Blue Line“ auf dem Gebiet des Staates Israel und hatten ihr Vorgehen wie üblich im Vorfeld mit der UNIFIL abgestimmt. Die libanesische Armee wurde von der UNIFIL drei Stunden vor Beginn der Arbeiten informiert. Trotzdem wurden die Soldaten der IDF von libanesischen Scharfschützen beschossen.

Israel sieht die libanesische Regierung als verantwortlich für den Vorfall an. Israel fordert die Weltgemeinschaft auf, das Vorgehen des Libanon zu verurteilen und den Libanon als den Verantwortlichen für die Eskalation der Lage zu benennen.“

Quelle: Botschaft des Staates Israel Berlin, 04.08.10




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