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"Ich hoffe jedes Mal, dass es nicht meinen Laden trifft" - "Sie gönnen uns nicht einmal das nackte Leben"

Israel und Libanon nach vier Wochen Krieg - Stimmungsbilder kontrovers

Vier Wochen nach dem Beginn des israelischen Feldzugs im Libanon wird die Situation für die Bevölkerung in dem Land immer unerträglicher. Die Menschen brauchen daher nichts dringender als einen sofortigen Waffenstillstand (der auch von beiden Seiten eingehalten wird). Nur so könnten zumindest die Hilfstransporte wieder ungehindert in das Land und an die bedürftigen Menschen gebracht werden.
Zunehmend leidet auch die israelische Zivilbevölkerung unter dem Krieg. Das hat mit der ständigen Angst zu tun, irgendwann von einer der vielen Raketen getroffen zu werden, die täglich zu Dutzenden von Hisbollah-Stellungen im Süden Libanons abgefeuert werden.
Die folgenden beiden Artikel beschreiben ausschnittsweise die Situation, unter der die Menschen im Libanon und in Israel leben. Was aber auch deutlich wird: Wie immer in Kriegszeiten scharen sich die Menschen hinter der jeweiligen Machtzusammen: Im Libanon hinter der Hisbollah und in Israel hinter der Regierung. Selbst die israelische Friedensorganisation "Frieden jetzt" hat ihren Frieden mit der Kriegspolitik gemacht, auch wenn sie die Art des Feldzugs und die vielen zivilen Opfer kritisiert.



"Und bleibt keine Wahl"

Libanon treibt in eine humanitäre Katastrophe - Ruf nach Waffenstillstand und Rückzug der Israelis wir immer lauter Von Karin Leukefeld *

„Uns bleibt keine Wahl, als den Umfang unserer Zeitung zu reduzieren“, schreibt die englischsprachige Daily Star in einer „Mitteilung an die Leserschaft“. Man könne nur noch 4 Seiten täglich drucken, „weitere Artikel lesen Sie bitte im Internet“. Der Beiruter Tageszeitung (seit 1952) geht die Druckerfarbe aus. Grund: Israel blockiert und/ oder bombardiert seit dem 12. Juli alle Land-, Luft- und Seewege in den Libanon. Nicht nur Druckerfarbe wird rar im Zedernstaat, es fehlt auch an Benzin. Die Autoschlangen vor den Tankstellen erinnern an den Irak, Benzin wird rationiert. Statt täglich 5 Millionen Liter werden von der Regierung nur noch 2 Millionen Liter freigegeben. „10 Liter für 10 US-Dollar werden pro Wagen verkauft“, erklärt Raschid, der bei einer lokalen Hilfsorganisation als Fahrer arbeitet. Seit Beginn des Krieges ankern zwei Öltanker vor Zypern, deren Kapitäne sich weigern, den Hafen von Beirut anzusteuern. Grund: die israelische Marine weigert sich, den Schiffen eine sichere Passage zu garantieren. Ein Angebot der US-Marine, die Schiffe zu begleiten, wurde ausgeschlagen, stattdessen fordern die Lieferanten nun eine 15 Millionen US-Dollar teure Zusatzversicherung für die Ladung. Sollte das Öl nicht bis Mitte August in Beirut eingetroffen sein, wird die Stromversorgung nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, so die libanesische Regierung. 60% der Krankenhäuser dürften dann mit dem Ansturm von Verwundeten und zusätzlichen Patienten nicht mehr fertig werden.

Hartnäckig verhindert die israelische Regierung auch den Transport von Hilfsgütern in den Süden des Landes. Man werde auf alles schießen, was sich mit einem Fahrzeug auf den Straßen südlich des Flusses Litani bewege, war auf Flugblättern zu lesen, die in und um die Hafenstadt Tyros von der israelischen Luftwaffe abgeworfen wurden. Weder UN-Transporte, noch Fahrzeuge des Internationalen Roten Kreuzes sind vor israelischen Raketen sicher. Was Israel als „Verteidigung“ bezeichnet, stellt sich für die Libanesen anders dar: „Ein klarer Bruch des Völkerrechts“, so deren einhellige Meinung. „Was wollen die Israelis“, fragt Sultan Bidawi (75) in seinem Buchladen. „Wie können sie erwarten, dass wir ihre Freunde sind, wenn sie uns nicht einmal das nackte Leben gönnen!“ Während die Israelis in Bunkern Schutz vor den Katjuscha-Raketen der Hisbollah finden könnten, gäbe es für die Libanesen weder Schutzräume noch Sirenenalarm vor den tödlichen Geschossen der Nachbarn. „Wir haben nichts, außer dem hier“, sagt Herr Bidawi und zupft an seinem Hemd.

Der 7-Punkte-Plan der libanesischen Regierung ist nach einer Umfrage des Zentrums für Wissenschaft und Information (Beirut) für die überwältigende Mehrheit der Libanesen unverzichtbar. Auf die Frage, ob die UN-Resolution auch ohne diesen Plan angenommen werden solle, antworteten 88% der Befragten mit einem klaren Nein. Unter den Schiiten war die Ablehnung dabei mit 96,9% am höchsten. Bei den Sunniten stimmten 91,4% mit Nein, bei den Christen 80,4% und bei den Drusen 79,4%. Zentrale Forderungen des 7-Punkte-Plans ist der sofortige Waffenstillstand und der vollständige Rückzug der israelischen Truppen, die Rückgabe der Scheeba-Farmen, Freilassung der arabischen Gefangenen in Israel sowie der Einsatz der libanesischen Armee als einzige bewaffnete Kraft im Libanon. Bei einem Krisentreffen der libanesischen Regierung stimmten auch die zwei Minister der Hisbollah dem Regierungsvorschlag zu, zusätzlich zur gestärkten UNIFIL-Truppe 15.000 libanesische Soldaten im Süden des Landes zu stationieren, sofern die Israelis sich vollständig zurückziehen.

Die Hoffnung auf internationale Unterstützung für Libanon ist derweil gering. „Beirut: Nein zum Entwurf der UN-Resolution“ titelt das Montagsmagazin. „Gemeinsam sind wir stark“, so eine andere Zeitung. „Die UN ist doch völlig nutzlos“, sagt Hassan Hamadi, der vor den israelischen Bomben aus dem Dorf Froun bei Bint Jbail nahe der libanesisch-israelischen Grenze fliehen musste. „Die USA hat die UN doch völlig in der Hand“, meint der 68jährige Bauer. Herr Hamadi hat durch den Krieg seine gesamte Tabakernte verloren, 5 Mio Libanesische Pfund (ca. 3000 Euro). Seine Familie wohnt jetzt beim palästinensischen Schwiegersohn in Burj al Barajneh, dem Palästinensischen Flüchtlingslager im Süden Beiruts. Das Lager scheint heute selbst vielen Libanesen sicherer, als so manch anderer Ort im Land. Obwohl israelische Raketen die Umgebung schon in Schutt und Asche verwandelt hat: der Internationale Flughafen liegt westlich des Lagers und die Vororte Hret Hraik, Dareh und Chiyah östlich. Im Flüchtlingslager von Ain Hilwa (Sidon) wurden bei einem israelischen Luftangriff 8 Personen getötet. „Wir wollen nichts von den Israelis“, meint Hassan Hamadi. „Wir wollen nur unser Haus und unser Land, damit wir in Frieden leben können.“

* Dieser Artikel erschien - leicht gekürzt - unter dem Titel "Wir wollen nur eins: Frieden" am 10. August 2006 im "Neuen Deutschland".


Die Front gegen Hisbollah steht

Selbst »Frieden Jetzt« ist für den Krieg

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Entvölkerte Städte und Hunderte Opfer: Der Krieg in Libanon geht auch an den Menschen in Israel nicht spurlos vorbei. In der Öffentlichkeit wird derweil über den Sinn und Unsinn der Konfrontation gestritten – und dabei werden auch traditionelle ideologische Grenzen überschritten.


Kirjat Schmonah ist die letzte Stadt vor dem Ende des Staates Israel. Rund 20 Kilometer ist die Grenze zu Libanon entfernt, doch der Krieg ist schon hier. Immer und immer wieder schlagen in der Kleinstadt die Katjuscha-Raketen ein, die die Hisbollah aus Libanon abfeuert. »Es müssen schon Hunderte gewesen sein«, sagt Ofer, der im Zentrum der Stadt einen kleinen Laden betreibt. Immer öfter treffen die Raketen auch Menschen; eine Frage der Übung sei das, sagen Experten, mit der Praxis lernten die Schützen auch, wie sie mit den leicht zu handhabenden Boden-Boden-Raketen am besten zielen.

So haben die meisten der 25.000 Einwohner Kirjat Schmonahs ihre Sachen gepackt und sind ins Zentrum des Landes geflohen, dorthin, wo es ruhig ist. Geblieben sind die Armen, die Alten, die Kranken, diejenigen, die es sich nicht leisten können, wochen-, vielleicht monatelang ohne Arbeit im Hotel zu leben – und Ofer: »Auch die Armen brauchen Lebensmittel.« Ofer und selbst viele Israelis, die sich eigentlich der Friedensbewegung zurechnen, stehen hinter dem Krieg. Dagegen wird die Umsetzung der Militärkampagne heftig kritisiert: Zu viele Opfer auf beiden Seiten, zu wenig Plan für die Zeit nach dem Krieg gebe es, sagen viele, fügen aber meist hinzu, dass für Israel dennoch an der bewaffneten Konfrontation kein Weg vorbei führe. »Wir dürfen niemals vergessen, dass es die Hisbollah war, die Israel angegriffen hat und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Verhandlungen wären sinnlos gewesen; eine militärische Reaktion war also notwendig«, sagt ein Führungsmitglied der Friedensorganisation »Schalom Achschaw« (Frieden Jetzt). »Allerdings wünschte ich, dass das Ganze schonender, mit weniger Opfern durchgeführt werden würde.« »Tatsache ist doch, dass die Luftwaffe ohne Rücksicht auf Verluste alles bombardiert, was ihr als Ziel genannt wird«, sagt der »Frieden-Jetzt«-Mann. »Man sollte sich immer wieder fragen, ob die zivilen Opfer ein angemessener Preis für das jeweilige Ziel der Operation sind, und im Zweifelsfall lieber Bodentruppen reinschicken, die solche Aktionen schonender umsetzen könnten.« Dies allerdings birgt das Risiko höherer eigener Verluste, das vor allem der sozialdemokratische Verteidigungsminister Amir Peretz, seine eigene Karriere im Sinn, nicht in Kauf nehmen will.

Dennoch sehen sich die Friedensbewegten plötzlich vereint mit strammen Konservativen wie Ofer, der den Krieg ebenfalls gutheißt, ebenfalls die hohen Opferzahlen ablehnt und ebenfalls die Ziellosigkeit von Regierung und Militärführung kritisiert: »Wir können die Hisbollah nicht zerstören, weil es keine Armee, sondern eine Guerilla-Truppe ist, deren Kämpfer jederzeit ihre Waffen verstecken und in der Bevölkerung verschwinden können. Also muss sie von jemandem kontrolliert werden, und das kann nur die libanesische Regierung sein – eine neue Besetzung steht außer Frage. Der Krieg sollte nur dazu da sein, die Libanesen dazu zu zwingen, etwas zu unternehmen.« Draußen ertönt das markerschütternde Kreischen der Luftsirene. In einer Minute wird irgendwo in der Stadt eine Katjuscha-Rakete einschlagen. »Ich hoffe jedes Mal, dass es nicht meinen Laden trifft«, meint Ofer.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2006


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