"Syrien wird unsere Forderung erfüllen"
Walid Dschumblat, Führer der Drusen in Libanon, in einem Interview
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die Tageszeitung "Neues Deutschland" mit einem der einflussreichsten Oppositionspolitiker im Libanon, Walid Dschumblat (auch Schreibweise mit zwei tt möglich), geführt wurde. Darin äußert er sich über die Chancen auf einen Machtwechsel im Libanon und auf den vollständigen Abzug der syrischen Truppen. Doch zunächst zum besseren Verständnis Biografisches zu Walid Dschumblat.
Walid Dschumblatt gilt als Galionsfigur der libanesischen Opposition. Der heute 57-jährige übernahm 1977 das Erbe seines Vaters Kamal, der als Führer der muslimischen Religionsgemeinschaft der Drusen zu den Gründern der Libanesischen Republik gehörte und 1948 die Progressive Sozialistische Partei ins Leben gerufen hatte. Wie sein Vater kämpfte der Sohn stets für eine Änderung des im Nationalpakt von 1943 festgelegten Machtproporzes zwischen den Religionsgruppen, der die christlichen Maroniten gegenüber den Muslimen (Schiiten, Sunniten, Drusen) bevorteilte. Während des 16-jährigen libanesischen Bürgerkriegs (1975-90) schloss Dschumblatt wiederholt Bündnisse, die syrische Unterstützung genossen. Er war Mitglied mehrerer Regierungen, unter anderem als Minister für Flüchtlingsfragen, auch als Syriens Truppen nach Kriegsende in Libanon eine Schutzfunktion ausübten. Erst Ende 2000 rückte Dschumblatt von seinem prosyrischen Kurs ab. Das schlossähnliche Anwesen des Drusenführers liegt etwa eine Autostunde von Beirut entfernt. Die Wächter am großen Tor der Residenz sind schwer bewaffnet, aber freundlich. In den Tagen, da Tausende von Menschen im Zentrum von Beirut demonstrierten, hatte sich Dschumblatt in die noch schneebedeckten Chouf-Berge zurückgezogen. Dort befragte ihn Alfred Hackensberger.
ND: Man wird Sie bei den Feierlichkeiten in Beirut nach dem Regierungsrücktritt vermisst haben.
Dschumblat: Das glaube ich kaum. Der Rücktritt der Regierung war ein Erfolg des Volkes, weniger von Führerpersönlichkeiten. Ich bin aus Sicherheitsgründen hier in den Bergen
Sie fürchten um Ihr Leben?
Dschumblatt: Natürlich. Die Gefahr eines Attentats war noch nie so groß wie jetzt.
Sie meinen, der libanesische oder der syrische Geheimdienst plant, Sie zu ermorden?
Die Möglichkeit besteht immer, solange die alteingesessenen Geheimdienstchefs weiter im Amt bleiben. Deshalb fordern wir den sofortigen Rücktritt des gesamten Sicherheitsapparats…
…den Sie auch für den Tod des ehemaligen Regierungschefs Rafik Hariri verantwortlich machen?
Ja, alle darin verwickelten Offiziellen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wollen auch, dass bis nach ganz oben ermittelt wird. Nicht nur die Führung der Sicherheitskräfte muss befragt werden, sondern auch Innenminister Suleiman Franjieh und Justizminister Adnan Addoum.
Noch gibt es aber keinerlei Beweise für die Beteiligung libanesischer Behörden oder auch Syriens.
Sehen Sie, seit Emile Lahoud, ein ehemaliger General, 1998 zum Präsidenten gewählt wurde, entwickelte sich Libanon immer mehr zum Polizeistaat. Ich habe damals bereits vor der Militarisierung der Gesellschaft gewarnt, die dann tatsächlich eingetreten ist. Der Geheimdienst spielte in vielen Aspekten eine immer größere Rolle. Manchmal spionierte jeder jeden aus. Libanon war auf dem besten Wege, ein Klon der anderen autoritären arabischen Regimes zu werden. In einem Land, das von Geheimdienst und Militär regiert wird, legt man keine 300-Kilogrammbombe unbemerkt an einer Hauptverkehrsstraße der Hauptstadt.
Sie haben nun verhindert, dass Libanon eine neuer Klon wird.
Es sieht momentan so aus, aber man muss erst sehen, wie es weitergeht. Noch ist es ein langer Weg. Die Existenz Libanons basiert auf kultureller Vielfalt, auf Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit. Für die arabische Welt ist das auch ein Gewinn. Mittlerweile tut sich etwas in der ganzen Region. In Irak gab es Wahlen, auch in Palästina und selbst in Saudi-Arabien tut sich etwas. Und nun die Ereignisse in Libanon. Es weht der Wind der Veränderung durch den Nahen Osten.
Die Regierung ist zurückgetreten. Wie soll es nun weitergehen?
Wir wollen ein neutrales Übergangskabinett, an dem alle gesellschaftlichen Kräfte beteiligt sind. Auch die Hisbollah natürlich, die ein wichtiger Faktor in Libanon ist. Nach den Parlamentswahlen im Mai ergibt sich dann eine legitime Regierung.
Hisbollah könnte auch als Vermittler zu Syrien fungieren, um eine Eskalation mit dem Nachbarn auszuschließen.
Natürlich könnte (Hisbollah-Generalsekretär) Hassan Nasrallah eine entscheidende Rolle im Dialog mit Syrien spielen. Wir setzen in ihn großes Vertrauen.
Es scheint so, als wären die Syrer das neue Feindbild in Libanon?
Wir haben prinzipiell keine Probleme mit den politischen Positionen Syriens, was beispielsweise den palästinensisch-israelischen Konflikt oder auch die Rolle der Hisbollah betrifft. Aber Syrien darf sich nicht weiter in die internen Angelegenheiten Libanons einmischen. Das geht einfach nicht.
Sie meinen da insbesondere die Verfassungsänderung, die von Syrien durchgesetzt wurde, um die Amtszeit von Präsident Emile Lahoud zu verlängern?
Viele Parlamentsabgeordnete wurden von Syrien beeinflusst, von den Geheimdiensten überzeugt oder einfach mit Geld bestochen, um für Lahoud zu stimmen. Und genau das war der Fehler Syriens, der die ganze Katastrophe jetzt ausgelöst hat.
Im Forderungskatalog der Opposition steht aber nicht der Rücktritt von Präsident Lahoud, der Ihrer Meinung nach zu Unrecht amtiert. Der maronitische Erzbischof Butros Sfeir hat sein Veto eingelegt.
Das stimmt. Aus Gründen der Einheit der Opposition wurde darauf verzichtet. Ich würde Emile Lahoud natürlich empfehlen zurückzutreten. Das wäre das Beste. Danach bestimmt das Parlament einen neuen Präsidenten und ein neues Kabinett.
Damaskus hat den Abzug seiner Truppen seit Jahren immer wieder verzögert. Glauben Sie, dass Syrien Ihrem Wunsch nach einem sofortigen Abzug jetzt nachkommt?
Ich denke, Syrien wird unsere Forderung erfüllen. Wir werden keinerlei Verzögerungen mehr akzeptieren. Die jungen Menschen in Libanon werden keinen Zeitaufschub mehr dulden.
* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2005
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