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USA fördern Bürgerkrieg

Russland kritisiert Waffenhilfe an Libanon. Journalist Seymour Hersh: Islamistische Gruppe Fatah Al Islam wird von Washington indirekt ausgerüstet

Von Norman Griebel und Rüdiger Göbel *

Washingtons Waffenlieferungen an die prowestliche libanenische Regierung haben beim jüngsten G-8-Außenministertreffen fast zum Eklat geführt. Rußlands Außenamtschef Sergej Lawrow kritisierte am Mittwoch abend in Potsdam vor dem Hintergrund der jüngsten Kämpfe in dem Zedernland die milliardenteure Militärhilfe an Beirut. Die Lieferstaaten wüßten genau, so Lawrow, was zur Destabilisierung der Lage beitrage. Seine amerikanische Amtskollegin Condo­leezza Rice wies die Vorwürfe zurück, konterte, die Lieferungen – auch von Frankreich – unterstützten lediglich die libanesische Armee. Diese könne so ihrem Auftrag nachkommen, die Grenzen des Libanons zu verteidigen und in den von der Hisbollah beherrschten Süden des Zedernlandes vorzudringen. Die Waffenhilfe diene nicht dazu, von außen etwas anstelle der libanesischen Institutionen zu erreichen.

Schön gelogen, Frau Rice. Der Reporter Seymour Hersh hatte bereits im März im New Yorker berichtet, die US-Regierung habe ihre Strategie für den Nahen Osten verändert und unterstütze nun Sunniten in der Region, um so letztlich den Iran – und andere Schiiten, namentlich die Hisbollah im Libanon – zu schwächen. In der CNN-Sendung »Your World Today« stellte der Enthüllungsjournalist am vergangenen Wochenende eine direkte Verbindung her zwischen diesem Strategiewechsel und den derzeit im Libanon stattfindenden Kämpfen von Regierungstruppen mit der Fatah Al Islam. Die islamistische Gruppe werde indirekt – über den Umweg der libanesischen Regierung und Saudi-Arabien – von Washington unterstützt. Grundlage, so Hersh, sei ein geheimes Abkommen zwischen US-Vizepräsidenten Richard »Dick« Cheney, Elliott Abrams, stellvertretender »Berater für Nationale Sicherheit« der USA, und dem saudischen Prinzen Bandar bin Sultan, der den Titel »Berater für Nationale Sicherheit« trägt. Demzufolge unterstützen die Saudis insgeheim die Fatah Al Islam, um ein Gegengewicht zur Hisbollah Hassan Nasrallahs zu schaffen. Die USA ihrerseits unterstützen die libanesische Regierung mit Geldern und Militärhilfe im Gesamtwert von rund einer Milliarde US-Dollar. Laut Hersh fließt davon ein Teil der Fatah Al Islam zu, da auch die Regierung von Premierminister Fouad Al Siniora daran interessiert ist, die Hisbollah zu schwächen.

Ein derartiges Vorgehen der USA ist keineswegs neu. Hier sei nur an die Unterstützung – beziehungsweise den Aufbau – der Mudschaheddin und späteren Taliban zur Bekämpfung der sowjetischen Armee in Afghanistan erinnert.

»Der Feind unseres Feindes ist unser Freund, die Dschihadisten-Gruppen im Libanon sind auch dazu da, gegen Hisbollah-Chef Nasrallah vorzugehen«, führte Hersh aus. »Wir sind jetzt damit beschäftigt, Sunniten wo immer möglich gegen die Schiiten zu unterstützen – gegen die Schiiten im Iran, gegen die Schiiten im Libanon.« Und weiter: »Wir sind jetzt damit beschäftigt, an einigen Orten, insbesondere im Libanon, religiöse Gewalt zu erzeugen.«

Die übliche Behauptung, Syrien stecke hinter der nun im Libanon ausgebrochenen Gewalt, wies der international geachtete US-Reporter entschieden zurück. Es mache keinen Sinn und sei vollkommen unlogisch, daß die Führung in Damaskus, die politisch der Hisbollah nahesteht und deswegen von der Bush-Regierung scharf kritisiert wird, auch Gruppen wie die Fatah Al Islam unterstützt, die wiederum der Hisbollah äußerst feindlich begegnen.

CNN-Moderatorin Hala Gorani fragte Hersh daraufhin, warum es logischer wäre, wenn die USA zumindest indirekt eine derart extremistische Organisation unterstützen, wenn dies für Syrien so widersinnig wäre. Hersh: »Nun, Sie erwarten Logik von der Regierung der Vereinigten Staaten. Aber das ist in Ordnung. Wir vergessen das jetzt mal.« Hochrangige Beamte in Beirut hätten ihm gegenüber zugegeben, daß die Siniora-Regierung radikale dschihadistische Gruppen wie jene, die in Tripoli kämpft, tolerierte, weil sie in ihnen einen Schutz vor der Hizbollah gesehen hätte. »Die Angst vor der Hisbollah ist in Washington, insbesondere im Weißen Haus, überwältigend«, so Hersh. Die Bush-Regierung glaube, Hassan Nasrallah plane, in den USA Krieg zu führen und sei dazu auch in der Lage. »Ob daß wahr ist, ist eine andere Frage.« Wa­shington wolle nicht, daß die Hisbollah eine aktive Rolle in der libanesischen Regierung spiele und unterstütze daher Siniora.

Der Preis: Mehr als 100 Menschen wurden bei den jüngsten Kämpfen getötet, Zehntausende palästinensische Flüchtlinge im Lager Nahr Al Bared zur Flucht gezwungen – wieder einmal.

* Aus: junge Welt, 1. Juni 2007


"In der Fatah Al Islam sind keine Palästinenser"

Fundamentalisten im Libanon werden finanziell und militärisch von außen untersützt. Gespräch mit Marwan Al Abdul Dayan *

* Marwan Al Abdul Dayan gehört der linken Organisation "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) an. Das Interview erschien zuerst in der von der Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI) herausgegebenen Wochenzeitung "La Rinascita della Sinistra"

Weltweit wird über die Kämpfe zwischen der Fatah Al Islam und der libanesischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr Al Bared berichtet. Wie ist die Lage bei Ihnen?

Die gravierendsten Konsequenzen der Gefechte zwischen der fundamentalistischen Gruppe Fatah Al Islam und der libanesischen Armee tragen im Augenblick die Palästinenser, weil sie unter den Einschlägen der jeweiligen Artillerien die meisten Opfer zu beklagen haben. Wir werden praktisch von der libanesischen Armee belagert. Am 22. Mai wurde sogar ein Lastwagen der UNO, der humanitäre Hilfe brachte, daran gehindert ins Lager hineinzufahren. Als er es endlich durfte, schossen einige Heckenschützen auf die Palästinenser, die sich ihm näherten, um die Hilfen in Empfang zu nehmen.

In den Medien wird die Fatah Al Islam als palästinensische Gruppierung bezeichnet. Was meinen Sie dazu?

Fatah Al Islam ist weder eine Partei noch eine palästinensische politische Gruppe. Unter den Angehörigen der Fatah Al Islam gibt es keine Palästinenser und auch nicht unter ihren führenden Leuten. Sie kommen in den meisten Fällen aus verschiedenen arabischen Staaten wie dem Jemen, Syrien, Saudi-Arabien und Algerien. Einige von denen, die getötet wurden, waren Inder und Pakistanis. Unter ihnen sind auch einige Al-Qaida-Mitglieder. Wer behauptet, daß Fatah Al Islam eine palästinensische Gruppe ist, sagt nicht die Wahrheit. Ich möchte daran erinnern, daß es bereits im Dezember Spannungen in Nahr Al Bared gab und zwar gerade deshalb, weil die Palästinenser gegen die Anwesenheit dieser Gruppe in ihrem Lager protestierten, die, seit sie aufgetaucht ist, nichts als Probleme verursacht hat. Sie hat das Lager praktisch in Beschlag genommen.

Woher kamen diese Leute?

Es ist bekannt, daß viele kommen, um im Irak zu kämpfen. Diese Milizionäre hatten ihre Basen an den Grenzen zwischen Syrien und dem Irak. Jetzt, wo es für sie aber nicht mehr möglich ist, dort zu bleiben, haben sie Zuflucht im Libanon gesucht. Einer nach dem anderen kam ins palästinensische Flüchtlingslager von Nahr Al Bared. Wir Palästinenser sind für das, was innerhalb des Lagers geschieht, verantwortlich. Wir können allerdings keine Verantwortung dafür übernehmen, daß es diesen Leuten gelungen ist, hierher zu kommen. Ich weiß nicht, ob sie die Unterstützung der Geheimdienste irgendwelcher Staaten oder terroristischer Organisationen hatten, die zu Al Qaida gehören, aber es ist faktisch so, daß diese Milizionäre mit Sicherheit Unterstützung von außen bekommen haben. Eine Unterstützung, die es ihnen ermöglicht hat, in das Lager zu gelangen und sich zu bewaffnen. Sie müssen finanziell und militärisch von außen unterstützt werden. Anders ist ihre Stärke nicht zu erklären. Die Palästinenser tragen für all das keine Verantwortung, aber wie so oft leiden sie unter den Folgen.

Im Libanon gibt es verschiedene Palästinenserlager, und viele davon beherbergen Personen und Gruppen unterschiedlicher Nationalität. In welcher Situation befinden sie sich?

In den anderen Lagern ist alles ziemlich ruhig. In einigen gibt es kleinere Zwischenfälle, aber nichts, was mit dem vergleichbar wäre, was in Nahr Al Bared geschieht. In jedem Fall ist es eine schwierige Situation. Die Risiken sind groß, denn, während die Palästinenser die Autorität der libanesischen Armee anerkennen, wollen die Gruppen, die Verbindungen zur Fatah Al Islam haben, die Verhältnisse destabilisieren wollen und drohen damit, sich gegen die libanesische Armee zu erheben.

Die Rolle, die Fatah Al Islam spielt, scheint auch für Israel und die USA von Vorteil zu sein. Oder nicht?

Ich glaube nicht, daß es direkte Kontakte zwischen diesen beiden Staaten und Fatah Al Islam gibt. Aber zweifellos gibt es indirekte Verbindungen zwischen ihnen. Die Präsenz dieser Fundamentalisten in den Palästinenserlagern hilft Israel zum Beispiel bei seiner Weigerung, den Flüchtlingen das Rückkehrrecht nach Palästina zuzuerkennen.

Übersetzung: Andreas Schuchardt

Interview: Domenico Giovinazzo

Aus: junge Welt, 1. Juni 2007




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