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Bis jetzt baut nur die Hisbollah

Geberländer diskutieren Höhe der Mittel und mögliche politische Implikationen

Von Bernd Parusel, Stockholm *

Schwedens Ministerpräsident Göran Persson hat zu einer Konferenz über den Wiederaufbau in Libanon eingeladen. Kritiker meinen, dass die Hisbollah-Miliz der internationalen Gebergemeinschaft bereits zuvorgekommen ist und aus den Hilfen politisches Kapital schlagen könnte.

In der Stockholmer Luxusherberge »Grand Hotel« sollen heute (31. Aug.) Minister aus rund 50 Ländern und Vertreter internationaler Organisationen ihre Geldbeutel öffnen. Die schwedische Regierung hofft, auf ihrer »Geberkonferenz« für den Libanon rund 500 Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfen und »frühe Wiederaufbaumaßnahmen« locker machen zu können. Dieses Ziel nannte die sozialdemokratische Entwicklungshilfeministerin Carin Jämtin bei einer Pressekonferenz am Dienstag (29. Aug.). Jämtin zufolge ist es wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft schnell helfe, als dass große Summen zusammengetragen würden. »Die Menschen warten, sie wohnen in Schulen und improvisierten Unterkünften, und es gibt viele nicht detonierte Sprengkörper«, von denen Lebensgefahr ausgehe, sagte Jämtin.

Die EU versprach am Mittwoch (30. Aug.) eine zusätzliche Finanzspritze von 42 Millionen Euro, davon wohl mehr als zehn Millionen Euro aus deutscher Tasche. Die Vertreterin der Bundesregierung in Stockholm, Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), kann auch auf schon angelaufene Hilfsleistungen verweisen. Das Technische Hilfswerk baut die Wasserversorgung in Libanon mit auf, die Bundeswehr fliegt Decken und Babynahrung ein. Die libanesische Regierung, die in Stockholm von Premierminister Fuad Siniora repräsentiert wird, beschreibt in einem 44-seitigen Bericht den Bedarf an akuter Hilfe, von Unterkünften, Minenräumung, der Wiederherstellung von Brücken, Kraftwerken, Wasserversorgung und anderer Infrastruktur bis hin zu sozialen Diensten.

Insgesamt 60 Regierungen hat Schweden eingeladen, und mindestens 48 haben ihre Teilnahme zugesagt. Dazu gehören die USA, Großbritannien, aber auch Katar, Saudi-Arabien und Marokko. Nicht eingeladen wurden Iran, Syrien und Israel. »Israel ist kein traditioneller Geberstaat«, erklärte Carin Jämtin. Außenminister Jan Eliasson sagte im schwedischen Fernsehen, Schweden habe mit Israel über die Konferenz gesprochen, sei jedoch nicht auf Interesse gestoßen.

Verwundern dürfte dies kaum. Die Hisbollah-Miliz, Israels Gegner in dem rund einen Monat langen Krieg, sitzt im Grand Hotel zwar nicht mit am Tisch, ist jedoch an der libanesischen Regierung beteiligt, an die die internationalen Hilfen ausbezahlt werden. Die schwedischen Konferenzgastgeber scheinen sich daran nicht zu stören. »Es ist wichtig, dass die gesamte Regierung des Libanon, an der auch die Hisbollah mit einigen Ministern beteiligt ist, eine Möglichkeit bekommt, den Wiederaufbau in allen Teilen des Libanon zu steuern«, sagte Carin Jämtin im Radiosender SR.

Viele Kritiker sehen darin jedoch ein Problem. Der Generalsekretär der schwedischen Hilfsorganisation Diakonia, Bo Forsberg, sagte nach einer Libanon-Reise in einem SR-Interview, die Hisbollah habe nur wenige Tage nach dem Waffenstillstand bereits Geld für den Wiederaufbau verteilt, während die Regierung in Beirut »viel langsamer« und mit »Bürokratie und Administration« beschäftigt gewesen sei. Das Problem, dass die Hisbollah im Süden des Landes mit Hilfe Irans »ihre eigene Tagesordnung« betreibe, müsse gelöst werden. »Wenn man nur Geld in eine Katastrophensituation hineinpumpt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wohin die Mittel fließen, kann man neue Konflikte schaffen oder bereits bestehende verschlimmern.« Der Verteidigungsexperte Magnus Norell kritisierte, die Geberkonferenz komme zu spät. Außerdem befürchtet er, dass die Hisbollah-Miliz der einzige Akteur in Libanon ist, der stark genug ist, internationale Hilfen zu verteilen. Insofern trage die Geberkonferenz nicht zu einem dauerhaften Frieden bei, sondern drohe, die Hisbollah in ihrer Rolle als »Staat im Staate« weiter zu stärken.

Für den schwedischen Regierungschef Göran Persson und seine sozialdemokratische Partei ist die Geberkonferenz nicht nur als Zeichen der Solidarität mit Libanon, sondern auch innenpolitisch wichtig. Am 17. September wird in Schweden gewählt, und Perssons konservative Gegner führen in den Umfragen zur Zeit mit rund 3,5 Prozent. Sie betrachten die Konferenz als Wahlkampfmanöver. Das internationale Stelldichein gebe dem Premier die Chance, sich kurz vor der Wahl als »internationaler Staatsmann« zu präsentieren und damit bei den Wählern zu punkten, wurde auch in der Presse vermutet.

Am Freitag (1. Sept.) soll im Grand Hotel eine weitere, kleinere Konferenz über Hilfen für die palästinensischen Gebiete stattfinden, zu der Schweden gemeinsam mit Norwegen und Spanien einlädt. Persson will damit auf die Not in Gaza aufmerksam machen, die angesichts der Lage in Libanon fast in Vergessenheit geraten sei. Der Premier reagiert damit aber auch auf Druck aus seiner eigenen Partei und von seinen Partnern, der Linkspartei und den Grünen. Viele Linke, auch außerhalb des Parlaments, werfen Persson eine zu israelfreundliche Politik vor.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2006


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