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Pokerspiel um "falsche Zeugen"

Libanon: Aufklärung des Hariri-Mords belastet von innerem Machtkampf

Von Jürgen Cain Külbel *

Der Mordfall Hariri bleibt auch nach mehr als fünf Jahren eine ungelöste Geschichte. Dass seine politische Tragweite über Libanon hinaus geht, macht die Suche nach den Schuldigen nicht einfacher – im Gegenteil.

Das Beiruter Kabinett hat sich in der Frage, wie es in der Angelegenheit Rafik Hariri weitergehen soll, erst einmal vertagt. Der als Politiker wie Unternehmer gleichermaßen erfolgreiche Spross einer sunnitischen Familie aus Saida war bis 2004 insgesamt zehn Jahre libanesischer Ministerpräsident und 2005 bei einem Attentat ums Leben gekommen. Seitdem wird ermittelt, auch im Rahmen eines vom UNO-Sicherheitsrat eingesetzten Tribunals, das allerdings selbst ins Zwielicht geriet. Demnächst will die libanesische Regierung über den nächsten Schritt in der juristischen Verfolgung sogenannter falscher Zeugen entscheiden, die die UN-Ermittlungen mittels wahrheitswidriger Auslassungen auf den Holzweg geführt haben sollen.

Die nächste Kabinettssitzung soll am 20. Oktober stattfinden; eine kurze Verschnaufpause nur für Ministerpräsident Saad Hariri, Sohn des Ermordeten, und das von ihm geführte »Bündnis 14. März«, das diesem Tag wohl mit gemischten Gefühlen entgegensieht.

Vergangene Woche berichtete die Beiruter Zeitung »Ad Diyar«, der Berliner Oberstaatsanwalt und ehemalige UN-Sonderermittler Detlev Mehlis habe Beirut eine »streng geheime« Blitzvisite abgestattet, um »Offizielle des Bündnisses 14. März zu treffen«. Das Blatt zeigte sich verwundert ob des Auftauchens des Mannes, »der einer Verschwörung gegen Libanon und dessen Menschen beschuldigt wird und bekannt ist für seine Korruption und enge Beziehung zum israelischen Geheimdienst«.

Mehlis war 2005 Sonderermittler der UN International Independent Investigation Commission, des Tribunals also. Der Deutsche arbeitete dann ganz im Sinne der Bush-Regierung, die der Regierung in Damaskus die Alleinschuld zuschob.

Mehlis zufolge habe es eine Verschwörung syrischer und libanesischer pro-syrischer Geheimdienstkräfte gegeben. Jetzt allerdings steht der Deutsche unter dem Verdacht, Falschaussagen von gekauften Zeugen benutzt zu haben, um vier libanesische Sicherheitschefs vier Jahre bar gerichtsfester Beweise und ohne Anklage hinter Gitter zu bringen.

Nunmehr steht Premier Saad Hariri unter enormem politischem Druck; räumte er doch im September ein, es sei ein Fehler gewesen, Syrien für den Mord an seinem Vater die Schuld zu geben. Das sei eine »politische Anklage« gewesen. General Jamil Sayyed, einst Chef des libanesischen Inlandgeheimdienstes und einer der Inhaftierten, klagte nach seiner Entlassung im Jahre 2009 in Damaskus gegen prominente libanesische Richter, Offiziere, Politiker und Journalisten – großteils enge Vertraute Saad Hariris – und wirft ihnen Falschaussagen vor.

Auch Mehlis steht unter Druck, denn Sayyed klagte auch gegen ihn und seinen Stellvertreter, den Ersten Kriminalhauptkommissar beim BKA Gerhard Lehmann. Syriens Justiz erließ daraufhin gegen 33 Personen, darunter die beiden Deutschen, Haftbefehle.

Gestritten wird nun ab 20. Oktober im Beiruter Kabinett, ob die reguläre libanesische Justiz oder der Justizrat, der für Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates zuständig ist, den Fall mit den falschen Zeugen weiter verfolgen soll. Die Opposition – die schiitische Hisbollah, General Michel Aouns Freie Patriotische Bewegung und die Amal-Bewegung unter Parlamentssprecher Nabih Berri – fordert die zügige Bearbeitung durch den Justizrat. Hariris Lager stellt sich dagegen.

Mit dem Fingerhakeln will das »Bündnis 14. März« Zeit schinden, denn angeblich will der derzeitige UN-Chefermittler Daniel Bellemare bis Ende dieses Jahres Mitglieder der Hisbollah des Mordes an Rafik Hariri anklagen. Saad Hariri, so die Gerüchteküche, habe Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah längst eine Liste mit Namen der Verdächtigen zukommen lassen. Anonymen Quellen zufolge ließ er mitteilen, Nasrallah könne mit denen nach Gutdünken verfahren: moralisch verurteilen, der Justiz übergeben, töten.

Ein Déjà-vu-Erlebnis? Ähnliches, doch unter anderem Vorzeichen, wurde General Sayyed angetragen: »Am 31. Mai 2005 … empfing ich in meiner Wohnung den Chefermittler der Internationalen Kommission, Gerhard Lehmann … (Er) bat mich, ihnen bei der Untersuchung in folgender Weise zu helfen: Ich sollte eine mündliche Mitteilung an den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad übermitteln und ihn überzeugen, eine unabhängige syrische Justizkommission zu bilden sowie ein ›substanzi-elles syrisches Opfer‹ auszuwählen, das gestehen würde, das Attentat ohne Wissen des syrischen Regimes verübt zu haben. Das besagte ›Opfer‹ würde dann durch einen Autounfall oder einen Suizid getötet aufgefunden werden und die Akte wäre damit geschlossen, sodass der Weg für eine politische Lösung bleibt, analog der, die von (Libyens) Präsident Muammar al-Gaddafi im Fall Lockerbie verwendet wurde.«

Bellemare verweigert bislang die Herausgabe der Aussagen der falschen Zeugen. Ammar Houri, Mitglied des Beiruter Parlaments und des »Bündnisses 14. März«, brachte die Strategie der Kreise um Saad Hariri am Mittwoch auf den Punkt: »Die libanesischen Autoritäten sollten einen Prozess gegen die falschen Zeugen erst nach einer Anklageerhebung durch das Sondertribunal eröffnen.«

* Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2010


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