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Falsche Freunde

UN-Sondertribunal im Libanon dient weniger der Aufklärung des Hariri-Mordes, sondern vielmehr den Interessen der USA und Frankreichs

Von Karin Leukefeld *

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, verkündet seine »volle Unterstützung« für das UN-Sondertribunal Libanon (SLT), das die Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri und 22 seiner Begleiter am 14. Februar 2005 aufklären soll. Ebenso US-Präsident Barack Obama und die Europäische Union. Die Bundesregierung sendet Geld und Ermittler. Chefankläger Daniel Bellemare, der sich selber als unabhängig bezeichnet, verspricht mit der in dieser Woche fertiggestellten Anklageschrift, dem Libanon Gerechtigkeit zu bringen und die Straflosigkeit zu beenden. Sollten sich die Libanesen nicht über so viel Unterstützung bei der Suche nach der Wahrheit über den Hariri-Mord freuen?

Die Freude hält sich in Grenzen. Die Übergangsregierung von Fouad Siniora, die im Dezember 2005 schriftlich den UN-Sicherheitsrat um die Einrichtung des Tribunals gebeten hatte, sei dazu nicht legitimiert gewesen, meint die politische Opposition. Vielmehr haben Siniora und die mit ihm verbundenen Parteien unter dem Druck der USA, Frankreichs und Saudi-Arabiens gehandelt, drei Staaten mit ausgeprägten politischen Interessen in der Region. Die Resolution für das Tribunal stammt aus französischer Feder und wurde vom UN-Sicherheitsrat, nicht aber von der UN-Vollversammlung beschlossen.

Das Sondertribunal hat sich auch durch manipulierte Ermittlungen selbst unglaubwürdig gemacht. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß der ursprünglich Beschuldigte, Syrien, aus politischen Gründen mit gefälschten Beweisen auf die Anklagebank gesetzt worden war, sollen nun offenbar Mitglieder der libanesischen Hisbollah dort Platz nehmen. So liegt die Vermutung nahe, daß das um Frankreich und die USA versammelte Lager seinen »Feind Nummer eins« in der Region, die Hisbollah, juristisch zur Strecke bringen will, nachdem dies Israel im Krieg 2006 militärisch nicht gelang. Die Wahrheit über den Mord an Hariri herauszufinden, ist nur noch ein Vorwand. So ist das Sondertribunal zu einem weiteren Instrument ausländischer Einmischung in der Region geworden. Schauplatz ist erneut der Libanon, der seit fast 100 Jahren politische Begehrlichkeiten des Westens in der Region mit Instabilität und Kriegen bezahlen muß.

Seit dem Ende des Osmanischen Reiches haben hier ausländische Interventen willkürliche Grenzen gezogen. Es wurden Kriege und Krisen entfacht, die mit der Gründung des Staates Israel in Palästina, wo bereits ein Volk lebte, 1948 einen ersten Höhepunkt erreichten. Die Folgen destabilisieren die Region bis heute. Die US-Invasion im Irak 2003 spaltete die arabische Welt zudem in Christen und Muslime, Sunniten und Schiiten, was inzwischen in Ägypten und Sudan Auswirkungen hat – und natürlich auch im Libanon, dessen politisches System auf den konfessionellen Zugehörigkeiten basiert.

Frankreich wurde nach dem Ende des Osmanischen Reichs, in dem es die heutigen Grenzen nicht gab, Protektoratsmacht in Syrien und Palästina und trieb die Abspaltung des Libanon von Syrien voran, weil es die große christliche Gemeinschaft der Maroniten im Land als eine Art Hausmacht für die eigenen Interessen in der Region stärken und instrumentalisieren wollte. Die USA kamen mit der Gründung des Staates Israel 1948 ins Spiel, auch wenn sich das Land bereits nach dem Ersten Weltkrieg intensiv mit den politischen Verhältnissen in der Region und möglichen Allianzen vertraut gemacht hatte. Saudi-Arabien hat widersprüchliche Interessen, die derzeit noch schwer zu durchschauen sind, weil offenbar ein Machtkampf um die Nachfolge von König Abdullah im Gange ist. Fakt ist, daß der Hariri-Clan saudische Staatsangehörigkeit hat und von Riad als Statthalter im Libanon finanziell unterstützt wird.

Die oppositionellen Kräfte im Libanon – Hisbollah, Amal, Freie Patriotische Union und die Kommunistische Partei – stellen sich der ausländischen Einflußnahme entgegen. Gleichzeitig wollen Syrien, Iran und die Türkei trotz nationaler Unterschiede wirtschaftlich, politisch und militärisch eine regionale Struktur bilden, weil auch sie die ausländische Einmischung ablehnen. Die Widerstandskräfte, im Libanon vor allem die Hisbollah, werden für diese Staaten dadurch zu natürlichen Bündnispartnern. Im Westen hingegen gelten sie wegen ihrer Haltung zum westlichen Bollwerk im Mittleren Osten, Israel, als »Terrororganisationen«.

* Aus: junge Welt, 21. Januar 2011

Hintergrund: Regierung der nationalen Einheit

Von Karin Leukefeld **

Durch Vermittlung des Emirs von Katar war 2008 im Libanon eine »Regierung der nationalen Einheit« gebildet worden, an der sowohl das Lager um Saad Hariri (Bündnis »14. März«) als auch die Opposition um Hisbollah (»8.März«) beteiligt waren. Hariri und sein Lager unterstützen das UN-Sondertribunal, Hisbollah und ihre Bündnispartner lehnen es ab. Dies führte dazu, daß sich die Minister des »8. März« Mitte Januar 2011 aus der Regierung zurückzogen.

Zuvor hatten Syrien und Saudi-Arabien durch intensive Vermittlungstätigkeit versucht, den Bruch der Regierung zu verhindern. Nachdem die Vermutung bekannt wurde, daß das Sondertribunal Mitglieder der Hisbollah des Hariri-Mordes verdächtigt, suchte man nach Wegen, den zerstörerischen Einfluß des Gerichts durch eine nationale libanesische Initiative zu verhindern. Der Versuch mißlang. Saudi-Arabien zog sich Anfang Januar zurück, weil der Einfluß der USA und Frankreichs auf Hariri alle Vermittlungsbemühungen ins Leere laufen ließ, hieß es.

Nun hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy einen neuen Vorschlag ins Spiel gebracht. Wie aus diplomatischen französischen Kreisen bekannt wurde, soll ähnlich wie beim »Balkan-Forum«, das in den 1990er Jahren die Zerschlagung Jugoslawiens als »Friedensprozeß« in die Wege leitete, nun aus Staaten, »deren Interessen im Libanon groß sind«, eine »Kontaktgruppe« gebildet werden. Genannt wurden in diesem Zusammenhang Syrien, Saudi-Arabien, Frankreich, die USA, Katar und die Türkei sowie »mögliche andere« Länder.

In welche Richtung die Initiative zielt, sprach auch der saudische Außenminister Prinz Feisal vor wenigen Tagen offen aus. Die Situation im Libanon sei sehr gefährlich, sagte er dem arabischen Nachrichtensender Al-Arabiya. Sollte es zu einer Spaltung und regionalen Aufteilung des Zedernstaates kommen, »bedeutet das das Ende des Libanon als Modell für das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen und Volksgruppen«

** Aus: junge Welt, 21. Januar 2011




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