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UN-Sondertribunal für den Libanon zur Aufklärung des Hariri-Mordes will hochrangige Iraner, Syrer und Libanesen anklagen. Wichtige Spuren unberücksichtigt

Von Jürgen Cain Külbel *

Sechs Jahre nach dem mörderischen Bombenattentat auf den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri hat die Staatsanwaltschaft beim UN-Sondertribunal für den Libanon (STL) Anklage erhoben. Das geschah vor genau einer Woche am 17. Januar. Aus Leidschendam-Voorburg nahe Den Haag verlautete zudem, daß Chefankläger Daniel Bellemare, ein kanadischer Jurist, umfangreiches Beweismaterial eingereicht habe. Untersuchungsrichter Daniel Fransen werde in zehn Wochen entscheiden, ob die Beweise ausreichen, um den Prozeß zu eröffnen. Die Namen auf der Anklageliste blieben geheim, um die Lage im Libanon nicht weiter anzuheizen, hieß es.

Libanons Medien berichteten dagegen, daß die Anklage vom US-Außenministerium zuvor bereits an Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy, König Abdullah von Saudi-Arabien sowie an Saad Hariri, Sohn des am 14. Februar 2005 ermordeten libanesischen Expremiers, ausgehändigt worden sei. Zudem hatte der US-Neokonservative John Bolton, unter Präsident George W. Bush Botschafter bei der UNO, bereits Ende Dezember 2010 der panarabischen Tageszeitung Al-Hayat erzählt, »daß prominente syrische Offizielle und Mitglieder der Hisbollah des Verbrechens bezichtigt werden«. Dem US-Nachrichtenportal Newsmax zufolge werde das STL den obersten geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Khamenei, die Al-Quds-Brigade als Teil der iranischen Revolutionsgarde und die Hisbollah im Libanon der Tat bezichtigen.

Al-Quds-Chef Kassem Suleymani soll demnach den Mordauftrag dem militärischen Führer der Hisbollah, Imad Mugniyeh, angetragen haben, der 2008 vom israelischen Geheimdienst Mossad in Damaskus per Autobombe umgebracht wurde. Mugniyeh samt Schwager Mustapha Badr Al-Dine hätten das »Hit-Team« für das Attentat geformt. »Die Iraner betrachteten ­Hariri als einen Agenten Saudi-Arabiens. Seine Ermordung würde der Hisbollah den Weg zur (politischen) Übernahme des Libanon ebnen.« Auch Syriens »Präsident Baschar Al-Assad und dessen Schwager Assef Schawkat, Chef des Geheimdienstes, spielten eine Schlüsselrolle bei der Ermordung«.

Das STL läßt allerdings wichtige Spuren außer acht. Am 15. Januar 2010, zwei Tage vor Bellemares Anklage, strahlte Beiruts Fernsehsender New TV die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Saad Hariri, dem »falschen Zeugen« Zouheir Al-Siddiq, ehemals syrischer Geheimagent, sowie Gerhard Lehmann, dem deutschen Hauptkommissar des Bundeskriminalamts, und dem libanesischen Geheimdienstchef Wissam Al-Hassan aus, das vermutlich 2005 in Marbella stattgefunden hat. Siddiq gab an, »die ganze Wahrheit« über die Hintergründe des Attentats zu wissen. Er sagte, der Ermittlungsbericht der UN-Untersucher müsse die Namen von neun Syrern und vier Libanesen enthalten, da der Befehl zur Ermordung von Hariri durch Al-Assad und den libanesischen Präsidenten Emile Lahoud gegeben worden sei.

Auf Basis der »Aussagen« dieses »Kronzeugen« ließ der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, der seinerzeit die Morduntersuchung im Auftrag der Vereinten Nationen leitete, vier Chefs libanesischer Geheimdienste verhaften und nahezu vier Jahre hinter Gitter schmoren. Siddiqs Aussagen erwiesen sich im nachhinein jedoch als gekauft, Mehlis verlor seinen UN-Job. Siddiq selbst wurde zwar auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls in Frankreich festgenommen, doch gelang ihm eigenartigerweise die Flucht in die Vereinigten Arabischen Emirate. Auf einer späteren Pressekonferenz behauptete er, er hätte zu diesem Zweck von Sarkozy einen gefälschten tschechischen Paß erhalten.

Der Exgeneral des libanesischen Sicherheitsdienstes Al Sayyed, einer der ehemals Inhaftierten, warf dem STL vor, mit »falschen Zeugenaussagen« gearbeitet zu haben. Die Anklagevertretung weigerte sich indes, Ermittlungsakten an ihn herauszugeben. Bei einer Anhörung vor dem STL am 14. Januar erklärte ihm der Deutsche Ekkehard Withopf als Vertreter von STL-Chefankläger Daniel Bellemare, Sayyeds Vorhaltungen entbehrten jeder Grundlage. Zudem müßten die Akten zum Schutz von Zeugen in jener sensiblen Terrorismus-Ermittlung geheim bleiben. Sayyed dazu gegenüber jW: »Die Verschwörung um die falschen Zeugen ist Beweis für die Politisierung der internationalen Justiz zu jener Zeit, als Detlev Mehlis die UN-Untersuchung leitete. Das wird das STL weiter diskreditieren.«

Nachdem Mehlis’ »Zeugenkomplott« aufgeflogen und seine »Täter«, die libanesischen Generäle, im April 2009 aus der Haft entlassen werden mußten, sorgte der Spiegel dafür, daß das entstandene Untersuchungsvakuum gefüllt wurde. Am 25. Mai 2009 behauptete dessen Autor Erich Follath in dem Beitrag »Der zweite Kreis der Hölle«, Hariri sei von der Hisbollah ermordet worden. Papiere der internationalen Untersuchungskommission und umfassende Auswertungen eines Netzes an Mobiltelefonen in Tatortnähe würden dies nahelegen.

Abgesehen davor, daß zahlreiche israelische Agenten seinerzeit in der Zentrale der libanesischen Telekom plaziert waren und auch technische Manipulationen vornehmen konnten, scheint das STL auch die Beteiligung von Wissam Al-Hassan an den Handy­gesprächen nicht zu interessieren. Der Leiter der inneren Sicherheit des Libanon, der im übrigen den »Kronzeugen« Siddiq bei Lehmann und Mehlis einführte, war zum Zeitpunkt des Mordes an Rafik Hariri dessen Sicherheitschef. Kurz vor dem Attentat auf den Expräsidenten entschuldigte er sich kurzfristig und nahm eine Auszeit von der Bewachung seines Chefs. Ansonsten wäre er wohl ebenfalls getötet worden.

Das STL läßt viele andere Spuren ungeprüft: So befand sich zum Beispiel der israelische Agent Ghassan Jarjous Al-Jid einen Tag vor dem Attentat im St.-Georges-Yachtclub, dem späteren Tatort. Der ehemalige Oberst der libanesischen Armee, seit den 90er Jahren für den israelischen Geheimdienst tätig, lotste ab 2004 israelische Kommandoeinheiten in den Libanon. Im Dezember 2004 war er in Beirut am tödlichen Autobombenattentat auf den Hisbollah-Funktionär Ghalib Awali beteiligt, schleuste hernach die israelischen Mörder außer Landes. Al-Jid gelang 2009 die Flucht aus dem Libanon; wiederum hatte die französische Botschaft schnell ein Visum ausgestellt.

* Aus: junge Welt, 24. Januar 2011


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