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Störfeuer gegen Libanon-Tribunal

Neuer Verdächtiger für Mord an Expremier Hariri im Jahr 2005 präsentiert

Von Jürgen Cain Külbel *

Bo Åström, ein altgedienter schwedischer Polizeiermittler, der das Attentat auf Libanons Expremier Rafik Hariri mituntersuchte, hat die Akteure des Sondertribunals für den Libanon (STL) aufgeschreckt. Das vom UN-Sicherheitsrat in Leidschendam bei Den Haag installierte Tribunal teilte am Dienstag voriger Woche mit, es werde den Prozeß gegen die vermeintlichen Mörder des Multimilliardärs und früheren libanesischen Premiers Rafik Hariri am 16. Januar 2014 eröffnen. Das STL bezichtigt aufgrund von Indizien fünf Angehörige der schiitischen Hisbollah-Miliz der Bluttat. Hariris Fahrzeugkonvoi war am 14. Februar 2005, in Beirut mittels einer Autobombe in die Luft gejagt worden; 23 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt.

UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte im Mai 2005 den Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis mit der Erstuntersuchung des Verbrechens beauftragt. Der genierte sich nicht, dem UN-Sicherheitsrat im Oktober 2005 eine Münchhausiade, den berühmt-berüchtigen »Mehlis-Report«, vorzulegen, in dem vermöge der Aussagen nachweislich gekaufter »Kronzeugen« eine Verwicklung syrischer Politiker und Militärs in das Attentat konstruiert worden war. Der Syrer Mohammed Zuhair Al-Siddiq, ein mehrfach verurteilter Betrüger, auf dessen »Aussagen« entscheidende Teile der »Findungen« von Mehlis basierten, freute sich im Spätsommer 2005 diebisch; aus Paris teilte er seinen Brüdern mit: »Ich bin jetzt Millionär.« Mehlis trat am 15. Dezember 2005 als Chefuntersucher zurück; ein halbes Jahr später wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz dekoriert.

Kaum war am 10. Dezember der Prozeßstart für Januar 2014 verkündet, tauchte der schwedische Ermittler Bo Åström, seinerzeit Mitglied der Ermittlercrew um Mehlis, im libanesischen TV-Sender Al Dschadid auf. Åström, der im Mai 2011 dem Sender Sveriges Television 1 gestanden hatte, er sei der eigentliche Verfasser des mißglückten »Mehlis-Reports«, der Deutsche habe nur das Vorwort geschrieben, lenkte nun im jüngsten Interview mit Al Dschadid den Verdacht auf Hariris seinerzeitigen Chefbodyguard Wissam Al-Hassan: Der Sicherheitschef »fehlte« nämlich am Tage des Attentates; nie zuvor, so der Schwede, sei Hariri ohne Al-Hassan unterwegs gewesen. Åström, dem das »verdächtig« erscheint, ergänzte: »Al-Hassan informierte die Ermittler, er sei nicht im Konvoi gewesen, weil er eine Uni-Prüfung hatte«. Und fügte hinzu, »Hassan befahl der Person, die ihn an diesem Tag ersetzte, eine bestimmte Strecke von drei möglichen zu nehmen«. Der Chefbodyguard, so Åström, »war die einzige Person, die entscheidet, welche Route zu nehmen ist«. Und die von Al-Hassan vorgegebene Route führte exakt zu dem Ort, an dem die Attentäter lauerten. Al-Hassan, der vom Tode Hariris profitierte, zum Chef des libanesischen Polizeigeheimdienstes aufstieg, kann nicht mehr gehört werden; zurückgekehrt von einem Sicherheitstreffen in Berlin, wurde er im Oktober 2012 in Beirut per Autobombe exekutiert.

Das Büro des Staatsanwaltes beim STL schmetterte Åströms Darstellungen am Freitag per Twitter-Botschaft ab: Die Anklage »möchte betonen, daß Herr Bo Åströms nie für das Büro des Staatsanwalts beim STL gearbeitet hat. Die jüngst (von ihm) ausgedrückten persönlichen Ansichten spiegeln oder repräsentieren nicht die Position der Staatsanwaltschaft«. Für Anwalt An­toine Korkmaz, einer der Hauptverteidiger der Angeklagten, sind Åströms Vorwürfe »reichhaltiges Material«, um »Mängel in der internationalen Untersuchung« anprangern und die Tätertheorie der Anklage durchkreuzen zu können. Korkmaz erklärte am Montag in der Beiruter Gazette An Nahar, Åströms Steilvorlage »ohne Vorbehalte herauszustellen, wenn der Prozeß beginnt«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Dezember 2013


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