Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hisbollah im Visier der USA und Israels

Grenzscharmützel haben das Ziel, die Entwaffnung der schiitischen Miliz zu erzwingen

Von Jürgen Cain Külbel*

Washingtons Feldzug zur "Demokratisierung" des Nahen und Mittleren Ostens, zuletzt in Libanon erfolgreich, stachelt die Konfrontation in der Region aufs Neue an. Jüngste Grenzstreitigkeiten, die Israel mit Syrien und Libanon ausgefochten hat, sollen jedoch letztlich nur die vollständige Entwaffnung der schiitischen Hisbollah-Miliz erzwingen.

Der Ausgang der jüngsten Parlamentswahlen in Libanon entsprach nicht ganz dem Geschmack der Führungen der USA und Israels, obwohl die "amerikafreundliche", antisyrische Opposition den Sieg davontrug. Die "prosyrische" Hisbollah, politische Partei und bewaffnete Miliz zugleich, errang zusammen mit der schiitischen Amal-Bewegung immerhin 35 von 128 Mandaten im Beiruter Parlament. Die Hisbollah, "Partei Gottes", wird von den USA als Terrororganisation geächtet, die für einen Anschlag auf das Hauptquartier der US-Marines am Beiruter Flughafen mit 242 Toten im Jahre 1983 und für zahlreiche Entführungen verantwortlich ist. Außerdem habe sie die Vernichtung Israels zum Ziel.

Die 1982 während der israelischen Invasion Libanons gegründete Miliz, die von Syrien und Iran politisch, militärisch und finanziell unterstützt wird, drängte Israel im Jahre 2000 mit militärischem Druck zum Abzug aus Libanon. Seitdem ist sie die vorherrschende Kraft im Süden des Landes. Als der Beiruter Buschfunk am 27. Juni meldete, dass der "prosyrische" Abgeordnete Nabih Berri, Führer der Amal und seit 1992 libanesischer Parlamentspräsident, in diesem Amt bestätigt werden soll, ließ eine israelische Armeesprecherin noch am selben Abend wissen, auf den Golan-Höhen, südlich der Stadt Kuneitra, seien israelische Soldaten von syrischer Seite aus beschossen worden. Da niemand verletzt wurde, hätten "die israelischen Verteidigungskräfte das Feuer nicht erwidert, um eine Eskalation zu vermeiden". Israel, das die Golan-Höhen 1967 widerrechtlich okkupierte, hinterlegte jedoch sofort eine Protestnote bei den UNO-Friedenstruppen, die seit 1973 die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen beiden Ländern überwachen.

Umgehend schmetterte ein syrischer Regierungsvertreter den israelischen Vorwurf ab: "Das ist eine Lüge. Einige Jugendliche schossen Feuerwerkskörper ab, um den Jahrestag der Befreiung von Kuneitra von der israelischen Besetzung zu feiern." Die Israelis waren im Juni 1974 von dort abgezogen, nachdem sie die Stadt und etwa 122 syrische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht hatten.

Zeitgleich mit jenem Vorfall auf den Golan-Höhen hatte die russische Regierung Syrien Boden-Luft- Raketen im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar geliefert. Die Raketen sollen niedrig fliegende Flugzeuge und Helikopter bekämpfen. Hintergrund sind wiederholte Angriffe Israels auf »terroristische« Ziele in Syrien. Im vergangenen Jahr hatten israelische Militärflugzeuge sogar den Palast des syrischen Präsidenten überflogen.

Israel und die USA protestierten vergeblich gegen die russische Raketenlieferung. Sie befürchten, dass die Raketen, die von der Schulter abgeschossen werden, irgendwann der Hisbollah in Libanon oder Terrororganisationen in Irak in die Hände fallen könnten. Am 29. Juni, mit dem Glockenschlag der Ernennung Nabih Berris zum Präsidenten des libanesischen Parlaments, beschossen israelische Kampfjets und Hubschrauber Ziele im Grenzgebiet zwischen Israel und Libanon mit Raketen. Nach israelischer Deutung hatte die Hisbollah-Miliz zuvor mehrere Granaten auf einen Militärposten im Bereich der umstrittenen Scheba-Farmen im Länderdreieck Israel-Libanon-Syrien abgefeuert. Bei den Gefechten wurden ein israelischer Soldat und ein Hisbollah- Freischärler getötet. Israel warnte, die Hisbollah wolle im Grenzgebiet eine neue Front eröffnen, legte Protest beim UN-Sicherheitsrat ein, und der israelische UNBotschafter Dan Gillerman machte die libanesische Regierung für Zwischenfälle verantwortlich: "Die Regierung in Beirut muss die Hisbollah entwaffnen." Der Sicherheitsrat forderte Libanon denn auch prompt auf, "alle von seinem Gebiet ausgehenden Angriffe zu stoppen". Vertreter der Hisbollah im Beiruter Parlament warfen ihrerseits Israel vor, das Grenzgebiet verletzt zu haben. "Darum wurden sie angegriffen."

Israels Marschrichtung ist offensichtlich: Nachdem man die "internationale Gemeinschaft" mit der Nase auf die vorgeblich "terroristischen" Aktivitäten der Hisbollah und des Helfershelfers Syrien gedrückt hat, wird die demokratische Welt beim nächsten "Grenzfall", sei er auch konstruiert, die vollständige Entwaffnung der Miliz lautstark und zwingend fordern.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2005


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage