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"Wir akzeptieren kein staatliches Gewaltmonopol"

Interview mit dem libanesischen Hisbollah-Politiker Abdel Fadlallah *

Abdel Hakim Fadlallah ist Präsident des Beiruter Dokumentationszentrums der Hisbollah, das Lehrgänge in politischer Strategie, Stadtplanung und Ökonomie abhält. Das Büro des 40-Jährigen wirkt nüchtern und kahl, die ansonsten in schiitischen Quartieren üblichen Devotionalien des Führers der »Partei Gottes«, Hassan Nasrallah, fehlen. Stattdessen ziert ein Bild eines modernen libanesischen Malers die Wand hinter dem Schreibtisch. Hannes Hofbauer traf Abdel Fadlallah in Beirut.
Das Interview, das wir im Folgenden dokumentieren, wurde im "Neuen Deutschland" (ND) veröffentlicht.



ND: Seit Juni 2006 gilt die Hisbollah in der gesamten islamischen Welt als standhaftes Bollwerk gegen Israel. Welches Selbstverständnis hat die Partei Gottes?

Abdel Hakim Fadlallah: Wir haben uns in Reaktion auf die israelische Aggression 1982 als Widerstandsorganisation gegründet. Seit dem Abkommen von Taif 1989 (das die politischen Grundlagen für ein Ende des libanesischen Bürgerkriegs gelegt hat – HH) spielt Hisbollah eine doppelte Rolle: als kämpfende Widerstandsgruppe gegen die Besatzung und als oppositionelle politische Kraft, die sich gegen die fehlende Sozialpolitik im Land wendet und zudem die Regierung auffordert, den Widerstand stärker zu unterstützen.

Wie verhielt sich die Hisbollah zum von der Mehrheit der Christen und Sunniten betriebenen Rückzug Syriens aus Libanon? Damaskus war ja Ihrer Organisation freundlich gesinnt.

Und umgekehrt. Nach dem 11. September 2001 und dem anschließenden Krieg gegen Irak stellte sich die Hisbollah eindeutig gegen einen Rückzug der Syrer aus Libanon. Die UN-Resolution 1559 von 2004, die den syrischen Rückzug forderte und ihn mit der Entwaffnung der Milizen verband, zielte einseitig auf unsere schiitische Miliz. Wir lehnten die UN-Resolution ab. Die Ermordung Rafiq al-Hariris wurde von uns verurteilt. Für eine Schuldzuweisung an Syrien gibt es unserer Meinung nach keine Anhaltspunkte. Die Hisbollah hat dann am 8. März 2005 zu einer Demonstration aufgerufen, mit der wir Syrien dafür, was es für uns getan hat, für die Unterstützung des Widerstands und den staatlichen Zusammenhalt gedankt haben. Dass dafür eine Million auf die Straße gingen, hat uns selbst angenehm überrascht.

Seitdem bildet die Hisbollah so etwas wie einen Staat im Staate. Ist das für Libanon verkraftbar?

Unsere Position war und ist klar: Niemand darf die Waffen des Widerstands in Libanon angreifen, auch nicht die Regierung. Insofern akzeptieren wir das Gewaltmonopol des Staates nicht.

Aber der »Feind«, Israel, war im Jahr 2000 abgezogen.

Unsere Waffen dienten und dienen der Selbstverteidigung. Zu oft war Libanon Ziel israelischer Attacken. Außerdem hielt die israelische Armee auch nach 2000 die Shabaa-Farm auf libanesischem Territorium besetzt. Im Juli 2006 war es dann offenkundig: Die zionistische Aggression wollte den Widerstand in Libanon brechen.

Mit klammheimlicher Unterstützung christlicher und sunnitischer Kräfte im Land?

Nein. Israel hat diesen Krieg im Auftrag der USA geführt, nicht für Parteien oder Kräfte in Libanon. Freilich gab es vor allem von Seiten Walid Dschumblats, des Drusenführers, Druck auf die Hisbollah und auch Kampagnen, die uns zum Einlenken bewegen sollten. Wir hielten stand. Und eine Umfrage mitten im Krieg hat gezeigt, dass 77 Prozent aller Libanesen den von der Hisbollah geführten Widerstand unterstützt haben.

Gab es auch andere Kräfte, die gegen die israelische Aggression ins Feld zogen?

Mit uns waren Brigaden der Amal-Milizen, der Kommunisten und der Muslimbrüder. Aber die Mehrheit der Kämpfer kam aus den Reihen der Hisbollah.

Hisbollah gilt in Westeuropa als verlängerter Arm Irans im Nahen Osten. Was sagen Sie dazu?

Wir sind eine libanesische Kraft, die sich für die Lösung der sozialen Probleme hier einsetzt. Gleichzeitig haben wir eine tiefe politische und religiöse Allianz mit Iran, dessen Revolution uns alle beeinflusst hat. Finanzielle und militärische Unterstützung diskutieren wir nicht öffentlich.

Wie sind die Beziehungen der Hisbollah zu den Palästinensern, sowohl zu jenen, die als Flüchtlinge in Libanon leben, als auch zu den Gruppen Fatah und Hamas?

Für uns gibt es da kein Problem. In den Flüchtlingslagern genießt die Hisbollah große Popularität. Auf nationaler Ebene steht uns die Hamas näher als die Fatah, aber wir mischen uns in innerpalästinensische Belange nicht ein und stellen uns keineswegs gegen Präsident Mahmud Abbas.

In welcher Hinsicht ist Hisbollah auch eine soziale Organisation?

Wir haben ein Netzwerk sozialer Institutionen aufgebaut. Dieses ist nicht gratis verfügbar, je nach den Möglichkeiten des Einzelnen werden dafür Tarife erhoben. Wer keine Mittel hat, bekommt beispielsweise medizinische Hilfe entgeltlos. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Lebensverhältnisse in den armen Quartieren zu verbessern. Gleichzeitig wissen wir, dass das ohne staatliche Hilfe im großen Stil nicht machbar ist, weshalb unsere politische Forderung nach einer gerechteren Sozialpolitik bestehen bleibt.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2009


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