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Libanon-Krise: Moskau auf der Seite des Westens?

Das Regierung von Fuad Siniora musste im Konflikt mit der Hisbollah nachgeben

Von Andrej Murtasin *

Die libanesische Regierung hob alle Beschlüsse in Bezug auf die schiitische Bewegung auf, die die jüngsten Zusammenstöße in Beirut provoziert hatten. Dabei wurden bekanntlich über 80 Personen getötet und rund 200 weitere verletzt.

Bekanntlich hatte das Kabinett zuvor das Telekommunikationsnetz der Hisbollah für gesetzwidrig erklärt und versucht, es zu schließen. Gleichzeitig wurde der Sicherheitschef des Beiruter Flughafens abgesetzt, der ein Hisbollah-Mitglied ist.

Den Zugeständnissen der Regierung waren Konsultationen mit einer Delegation der Arabischen Liga vorausgegangen, die nach Beirut gekommen war, um die Krise zu regeln, in der die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges steckte.

Die meisten Beobachter bewerteten die Zugeständnisse der Regierung als eine Kapitulation vor dem stärkeren Rivalen. Fuad Siniora schien keine andere Wahl zu haben, wenn er einen Bürgerkrieg vermeiden wollte. Dabei war die Arabische Liga ein recht schwacher Vermittler, der nur Konsultationen führen, jedoch keinesfalls zum Frieden zwingen kann.

Bei seiner Suche nach Hilfe rief Siniora auch den russischen Außenminister Sergej Lawrow an und teilte mit: Die oppositionellen Schiitenbewegungen Amal und Hisbollah haben einen bewaffneten Staatsstreich im Libanon im Interesse Syriens und Irans unternommen. Der Libanon brauche Russlands Hilfe bei der Wiederherstellung von Frieden und Ruhe.

Kann aber Moskau den Libanon wirklich vor der aufdringlichen Fürsorge Syriens und Irans schützen? Dies ist keine einfache Aufgabe, wenn man berücksichtigt, dass die Beziehungen Russlands mit Damaskus und Teheran heute keinesfalls ungetrübt sind. Warum ruft dann die prowestlich orientierte Regierung Moskau auf? Wahrscheinlich muss Moskau nun doch weiterhin gewisse Hebel haben, um Damaskus und Teheran beeinflussen zu können.

Syriens Staatschef Bashar Assad hatte im Januar 2005 und im Dezember 2006 Moskau besucht. Bei seinem ersten Besuch schrieb Russland 70 Prozent der syrischen Schulden gegenüber der UdSSR ab. Damaskus verpflichtete sich, den restlichen Teil innerhalb von zehn Jahren abzuschreiben. Beim zweiten Besuch ging es um die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Wie die Zeitung "Kommersant" schrieb, vereinbarten Russland und Syrien Lieferungen der neuesten russischen Jagdflugzeuge des Typs MiG-29SMT. Außerdem rechnet Damaskus mit Lieferungen der Raketenkomplexe vom Typ Strelez und Iskander, von Flugzeugen des Typs Jak-130 sowie von zwei U-Booten Amur-1650.

Es muss betont werden, dass diese Waffen ohne Recht auf Weiterverkauf geliefert werden. Insofern kann Russland mit gutem Recht Garantien dafür fordern, dass diese Waffen nicht in die Hände der Hisbollah gelangen.

Was Iran anbelangt, so hat sich Russland verpflichtet, das Atomkraftwerk im iranischen Bushehr fertig zu bauen. Russland ist auch an einer konstruktiven Kooperation mit Iran im Öl- und im Gasbereich, bei der Erschließung der Öl- und Gasvorkommen im Raum des Kaspischen Meeres und auf anderen Gebieten interessiert. Zugleich ist Moskau in den Fragen der Nuklearsicherheit mit dem Westen solidarisch und will es verhindern, dass Iran in den Besitz von Kernwaffen kommt.

Bei der Regelung der Krise im Libanon könnte Moskau faktisch auf der Seite von Washington, London und Paris spielen. Gerade das wird von Assad und Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad befürchtet: im Libanon-Konflikt ist Syrien heute faktisch in eine Isolation in der arabischen Welt geraten. Damaskus wird lediglich von der Hisbollah im Libanon und von der Hamas in Palästina unterstützt. Als regionaler Verbündeter könnte nur Iran gelten.

Gleichzeitig bemüht sich der syrische Präsident um eine Annäherung mit Washington, bei dem, so Assad, die Schlüssel zum Frieden im Nahen Osten liegen. Gerade die USA könnten nach Ansicht des syrischen Staatschefs dem Land helfen, die Golanhöhen zurückzubekommen, die Israel seit 1967 besetzt.

Aber auch Israel sucht nach einem Schlüssel zum Frieden mit Syrien. Tel Aviv wäre bereit, die Golanhöhen zu opfern, um Ruhe an den Nordgrenzen und im Südlibanon zu haben, dem Hauptstützpunkt der Hisbollah. In dieser Situation könnte der Westen den Syrern eine Rückgabe der Golanhöhen im Tausch gegen einen Verzicht auf die Unterstützung der Hisbollah anbieten.

Teheran würde aber einer solchen Friedensformel niemals zustimmen. Iran ist bereits eine einflussreiche regionale Macht geworden, die sowohl Assad als auch den Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah als ihre Vasallen betrachtet, die es nicht wagen würden, ihrem geistlichen und finanziellen Patron zu widersprechen.

Es gibt allerdings noch einen Ausweg aus der nicht enden wollenden Libanon-Krise: Eine Revision des in der Verfassung des Landes verankerten Quotensystems in der Staatsmacht, laut der nur ein Christ zum Präsidenten, nur ein Sunnit zum Regierungschef und nur ein Schiit zum Parlamentschef gemacht werden darf. In der Regierung sollen dabei die Christen und die Moslems gleichermaßen vertreten sein.

Dieses Modell war 1943 bei der Erlangung der Unabhängigkeit von Frankreich festgelegt worden. In der Zwischenzeit hat sich aber die moslemische Bevölkerung des Landes nahezu verdoppelt. Das bedeutet, dass die Hisbollah bei jedem anderen Wahlsystem ihre Positionen nur festigen würde, und zwar nicht mehr mit Gewalt, wie sie das bisher versucht hat, sondern auf einem durchaus legalen parlamentarischen Weg.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. Mai 2008



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