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Die libanesische Krise

Von Marie Nassif-Debs *



Das Abkommen von Ta'if, ein Dokument der nationalen Versöhnung, das den Bürgerkrieg beendete, beinhaltet eine Reihe von Maßnahmen, die das libanesische Herrschaftssystem reformieren sollten. Die Autorin behandelt die Machtverschiebungen innerhalb des konfessionalistischen Systems, die mittels des Verfassungsgesetzes vom 21. September 1990 umgesetzt wurden und macht zwei Konstanten libanesischer Politik fest: Die Flucht zu Schutzmächten und die abrupt wechselnden Allianzen. Dabei stellt sie fest, dass diese Politik nicht der Krisenbewältigung dient, sonder eher der Machterhaltung der Eliten. Ihre Kritik geißelt die neoliberale Politik Rafiq Hariris und seines Nachfolgers Fuad Siniora und die Interessen der US-Regierung eine neue geopolitische Karte zu zeichnen. Der EU-Politik bescheinigt sie Schwäche und Ambivalenz.

Zur Zeit herrscht herrscht im Libanon ein ständiges Kommen und Gehen der Delegationen politisch und militärisch Verantwortlicher, seien es US-amerikanische oder europäische, die seit drei Jahren durch Beirut und Umgebung flanieren, zuletzt David Walsh, Berater der US-Außenministerin Condoleezza Rice. Warum haben die USA und die europäischen Mächte immer noch ein derart lebendiges Interesse an diesem winzigen Land, dessen Fläche (die Sheba-Farmen und die von Israel besetzten Kfar-Shuba-Höhen eingerechnet) gerade einmal 10452 Quadratkilometer misst und dessen Einwohnerzahl -- hoch geschätzt -- bei 4,3 Millionen liegt, einschließlich der rund 300.000 Palästinenser?

Es lebe die Republik!

Der moderne Libanon entstand im Jahr 1860, nach einem blutigen dreijährigen Bürgerkrieg, in dem sich die Drusen und Christen des Landes bekämpft hatten, die einen unterstützt von Großbritannien, die anderen von Frankreich (die, jeder zu dessen Vorteil, die mittelöstlichen Gebiete des osmanischen Reiches zerstückeln wollten). Seither zählt der Libanon zu jenen kleinen Staaten, die immer wieder in die Instabilität geworfen sind, und dies aufgrund von Ursachen, die in der Entstehung des Staates begründet sind.

Der Libanon ist ein multikonfessionelles Gebilde, in dem jede religiöse Gemeinschaft den Status eines Mini-Staats im Staat innehat: dies, weil sie a) in Bezug auf das Personenstandsrecht über eigene Gerichtsbarkeit verfügt, b) sie Vertreter in der Legislative und Exekutive hat, und c) weil sie über Quoten in der Verwaltung und den öffentlichen Diensten vertreten ist. Dazu kommt noch, gemäß Artikel 10 der Verfassung, die absolute Freiheit, konfessionelle Schulen einzurichten (subventioniert vom Zentralstaat) und dort zu unterrichten, was man möchte, vor allem in Bezug auf die Geschichte des Landes.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die 18 Religionsgemeinschaften, die das Land zerstückeln, 18 Mini-Staaten gleichen, die jeweils über ihre Schulen, ihre Gesetze, ihre politischen Führer und Parteien, ihre Repräsentanten im Parlament und in der Regierung verfügen. Währenddessen wird die Spitze des Staats gebildet von einer Hydra mit drei Köpfen: ein Präsident der Republik, der zur christlich-maronitischen Gemeinschaft gehört, ein Premierminister, der zur muslimisch-sunnitischen Gemeinschaft gehört, und ein Parlamentspräsident, der zur muslimisch-schiitischen Gemeinschaft gehört. Es lebe die Republik!

Diese Situation ist wie immer bisher die Ursache der jüngsten Krise, die der Libanon durchlebt. Diese Krise unterscheidet sich in nichts von den Krisen, die das Land bereits in den Jahren 1952, 1958, 1967 und vor allem seit 1975 durchlebte.

Privilegien über alles

Eine Krise, die direkt das Herz der politischen Macht trifft. Eine Krise, in der die Interessen einer mächtigen Finanzoligarchie, welche im Gefolge des Öl-Booms in den 50er Jahren auf der arabischen Halbinsel auf die Bühne katapultiert wurde, sich überschneiden mit den Interessen der Nachkommen alter Feudalherren, die ihre ökonomischen Vorteile, die sie von den Osmanen erhalten hatten längst verloren haben, die aber immer noch ein Teil der politischen Landschaft sind. Dazu kommen dann noch die Interessen der Intelligentsia der verschiedenen Konfessionen.

Was die Streitigkeiten betrifft, die man zwischen den verschiedenen Elementen dieser Machtallianz über diese oder jene Probleme wahrnehmen kann oder auch die Auseinandersetzungen, welche in Gewalt ausarten: der gemeinsame Ausgangspunkt ist nicht der Willen, das von der Kolonialmacht geerbte politische System zu modernisieren, sondern die Ausdehnung der Privilegien dieser oder jener Gruppe oder die Erhaltung neu gewonnener Privilegien. Gleichzeitig aber vereinen sich alle kriegsführenden Gruppen und beenden ihre politischen Auseinandersetzungen, ja sogar Bürgerkriege, sobald sie Gefahr für das Regime wittern, das sie alle schützt.

In diesem Licht versteht man leichter den komplizierten Mechanismus, der das politische System des Libanons in Gang hält, so wie man besser versteht, wie eine bestimmte konfessionelle Gruppe immer wieder nach einem äußeren Beschützer ruft, international oder regional. Gleichzeitig, begreift man mit weniger Schwierigkeiten, was das Räderwerk antreibt, den Mechanismus der politischen Allianzen im Libanon, die in einem schwindelerregenden Tempo entstehen und vergehen, und die schon beim ersten Windhauch aus Ost oder West wechseln können. Haben wir nicht seit 1975 solche Allianzen kommen und gehen sehen: das «Dreierbündnis» zwischen Maroniten-Führern, der ebenfalls maronitischen «Libanesischen Front», dem die «Allianz der progressiven und muslimischen Kräfte» gegenüberstand. Danach kam das «Viererbündnis», dem im Jahr 2000 die vier wichtigsten muslimisch geprägten Parteien angehörten: Die Zukunftsbewegung von Rafik Hariri, die Hizbullah, die Amal-Bewegung von Nabih Berri, und die sozialistische Partei von Walid Jumblat. Die schlussendliche Spaltung der Viererallianz führte zur Bildung zweier neuer Gruppen: der sogenannte «8. März» (Opposition: Hizbullah und Michel Aoun) und die Allianz des «14. März» (Saad Hariri, Amin Gemayyel usw. oder auch Strömung al-Mustaqbal -- benannt nach der Zeitung Rafiq Hariris), in der die untereinander ebenfalls zersplitterten Christen Zuflucht gefunden haben.

Zwei Konstanten bestimmen demnach die politische Situation im Libanon: Die Flucht zu Schutzmächten und die abrupt wechselnden Allianzen. Dennoch muss man schnell hinzufügen: Weder der Rückgriff auf Schutzmächte (US-amerikanisch, saudisch, syrisch o.a.) und auch nicht der Wechsel der politischen Bündnisse haben zum Ziel, die Wirkungen der Krisen abzuschwächen, die die Region erlebt, oder das Land vor inhärenten Bürgerkriegen zu schützen, wie bereits erwähnt. Die Suche nach äußeren Beschützern zielt einzig darauf ab, dieser oder jener politischen «Familie» (alt oder neu) den Machterhalt zu sichern oder ihr zu helfen, an die Macht zu kommen. Das Bündnis mit äußeren Schutzherren hat vor allem den Zweck, Profite zu sichern, sowohl sozio-ökonomische wie auch politische.

Die aktuelle Krise -- eine allseitige Krise?

Die inhärente Krise des politischen Systems im Libanon ist deshalb nicht dabei zu kippen -- davon ist man weit entfernt. Die Krise wird sich verstärken und verschlimmern, selbst wenn die beiden gegenwärtigen Hauptakteure es schaffen, sich nach einem Dutzend Runden zu einigen: auf Präsidentschaftswahlen, auf eine Regierung der «Nationalen Einheit», und auf die Verteilung der vier wichtigsten Ministerämter (Verteidigung, Inneres, Außenpolitik und Finanzen).

Diese Feststellung basiert auf der Tatsache dass ein Teil der libanesischen Konfessionen, die Christen im Allgemeinen und die Maroniten im Besonderen, erkannt haben, dass die Vereinbarung von Ta'if sie enteignet hat.[1] Ta'if hat zwar den Bürgerkrieg beendet, aber es wurde auch ein neuer politischer Konsens installiert, demgemäß die Verfassung der zweiten Republik, die auf der Ta'if-Vereinbarung basiert, die wichtigsten Privilegien der Christen in die Hände der Sunniten überträgt. Der immer noch maronitische Präsident der Republik hat seine Macht an den Ministerpräsidenten übergeben. Dieser ist zum eigentlichen Regierungschef geworden, denn im ersten Kapitel der Ta'if-Vereinbarung, den «allgemeinen Prinzipien und Reformen», heißt es wörtlich:

«1-II (Der Präsident) sitzt dem Rat der Minister vor..., aber er kann nicht mit abstimmen."

3-II Er veröffentlicht die Dekrete und er hat das Recht, den Ministerrat aufzufordern, bereits getroffene Entscheidungen zu überdenken, innerhalb einer Frist von 15 Tagen. Wenn der Ministerrat auf der Entscheidung beharrt, oder wenn die Frist verstrichen ist, ohne dass das Dekret unterschrieben oder zurückgegeben worden ist, so wird das Dekret als rechtskräftig angesehen und muss in der ursprünglichen Form veröffentlicht werden."


Die weiteren Vorrechte des Präsidenten sind allesamt an die «Zustimmung» des Regierungschefs geknüpft. Während die Christen sich an den Rand gedrängt fühlen, was im Grunde an ihrer tiefgreifenden Zersplitterung liegt (zwischen Samir Geagea, Chef der neofaschistischen, proisraelischen «Forces libanaises», und Michel Aoun, ehemaliger Armeechef und aktuell mit Hizbullah verbündet), gewinnen die Muslime immer mehr Terrain, dank der internationalen und arabischen politischen Entwicklung, die wieder stärker Saudi-Arabien begünstigt. Der politische Aufstieg Rafiq Hariris -- ein Freund Frankreichs und ein Günstling der USA und der Saudis -- war der erste Schritt auf diesem Weg, vor allem weil es Washington darauf ankam, seine Projekte in der Region voranzutreiben, darunter das des «Greater Middle East». Den USA fiel es leichter als den arabischen Staaten und Saudi-Arabien, den Preis für diese neue Politik zu zahlen: sie haben von Saudi-Arabien verlangt, einen 10-Milliarden-Dollar-Vertrag zu unterzeichnen, für den Kauf von US-amerikanischen Waffen (die Saudi-Arabien aber nicht nutzen darf, außer mit Hilfe US-amerikanischer Experten, wie im Fall der Spionageflugzeuge AWACS), und das, während die USA gleichzeitig Waffen im selben Wert an die Israelis versprachen, damit sie leichter mit dem Palästinenseraufstand fertig würden?

Davon abgesehen besitzen die USA, die neue Schutzmacht im Libanon, nach dem Rückzug der Syrer, so viele Joker im Libanon, dass man nicht übermäßig erschüttert war durch die Ermordung von Rafiq Hariri: hat man doch rasch Fuad Siniora einsetzen können, der nun den gleichen Weg wie sein Vorgänger und persönlicher Freund geht.

Die Taten und die Missetaten der Regierung

Dieser neue Ministerpräsident ist dermaßen nützlich für G.W. Bush und sein Team, dass man in Erklärungen zum Libanon oftmals die Äußerung hört: «Die Regierung von Fuad Siniora ist ein integraler Bestandteil der nationalen Sicherheit der USA.» Warum ist Siniora so unerlässlich für die USA?

Unter Rafiq Hariri war er es, der die Pläne machte, und der den Ton angab in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Es war Siniora, der das Land dem ausländischen Großkapital unterstellte: der Zehnjahresplan, der Anfang 1993 begann, mit einer Reihe von Gesetzesinitiativen, hat dem Libanon einen Schuldenberg von 40 Milliarden Dollar beschert. Dazu kamen in den vergangenen zehn Jahren weitere 10 Milliarden, allesamt zu hohen Zinskonditionen. Das heißt, dass nahezu die Hälfte des aktuellen Staatshaushaltes für Zinsen zu bezahlen ist, während die produktiven Bereiche, wie Industrie und Landwirtschaft, dahinvegetieren und die Dienstleistungen, allen voran das Mobiltelefongeschäft (das «Schwarze Gold» des Libanons) zur Privatisierung freigegeben wurden, damit bestimmte Familienmitglieder einiger Minister und politischer Clanchefs sich bereichern konnten.

Es war auch die Regierung von Fuad Siniora, die die Vereinbarung mit der dritten Geberkonferenz in Paris unterschrieben hat. Danach sollten die Staatskassen mit zehn Milliarden Dollar aufgefüllt werden. Doch statt dessen sind die Privatisierungen noch weitergetrieben worden: nach dem Mobiltelefongeschäft nun auch Elektrizitäts- und Wasserversorgung, und nicht zu vergessen: es gibt sogar Projekte, die öffentliche Verwaltung zu privatisieren. Dazu soll ein Gesetz erlassen werden, das vertragliche Regelungen vorsieht. Die Verträge sollen bis zu fünf Jahre Laufzeit haben, danach soll es eine Bewertung der Beamten geben, danach können sie neu eingestellt oder entlassen werden. Angesichts des existierenden politischen Systems mit seinen konfessionellen Proporzmechanismen und angesichts der Untätigkeit des Rechnungshofes und der Minister können wir uns bereits jetzt gut vorstellen, wie ein solches System funktionieren wird. Welche Beamte weiterbeschäftigt werden und welche nicht, dürfte auch klar sein.

Berücksichtigt man die Aussagen der traditionellen Opposition (die in vieler Hinsicht nicht besser ist als diese Regierung, vor allem in Bezug auf die Verteilung des nationalen «Kuchens»); berücksichtigt man den Inhalt der Berichte, die seit der israelischen Aggression vom Sommer 2006 von internationalen und nationalen Journalisten angefertigt wurden, dann kann man den Taten dieser Regierung noch hinzufügen: a) das Projekt der Schaffung einer Militärbasis für Hubschraubertruppen; b) Versuche, den nationalen Widerstand um seine Waffen zu erleichtern; c) das Projekt (noch nicht genügend gereift), die Palästinenser im Land zu behalten, um Tsipi Livni einen Gefallen zu tun und deren Projekt, jegliche Rückkehr der Palästinenser in ihr Heimatland, zu verbieten.

Man darf auch nicht vergessen: die (von der Regierung gewollte?) Anwesenheit von Spionagenetzwerken aller Art, und das Einsickern von Terroristen unterschiedlicher Herkunft in gewisse Islamistengruppen, sowohl über den internationalen Flughafen von Beirut wie auch über die Grenzen Syriens.

All das zeigt deutlich, dass Lösungen, und seien es auch nur wacklige Ansätze, in weiter Ferne liegen, und dass das Hin und Her der europäischen und arabischen Gesandten nichts weiter bringen kann, als den Status Quo zu erhalten. Man wird vielleicht einen neuen Präsidenten der Republik wählen, aber das würde das Ausbrechen der Krise nur wieder auf den nächsten Frühling vertagen.

Der Frühling der Entscheidungen?

Warum dieser Frühling? Weil im Monat März 2008 mehrere Termine für Weichenstellungen anstehen.

Ein solcher Termin wäre -- im Fall, dass der Staatspräsident noch nicht gewählt ist -- die Eröffnung der «gewöhnlichen Sitzungsperiode» des Parlaments. In diesem Moment können Gesetze und Verfassungsänderungen verabschiedet werden ohne dabei auf die Regierung von Fuad Siniora angewiesen zu sein, die ohnehin von der Gruppe des «8. März» (Hizbullah, Michel Aoun) als verfassungswidrig eingestuft wird, da eine große Religionsgemeinschaft, die Schiiten, nicht daran beteiligt sind. Ein weiterer Termin wäre der Gipfel, den die Arabische Liga in Damaskus abhalten will. Es stellt sich die Frage einer möglichen Annäherung zwischen Syrien (zukünftiger Vorsitz der arabischen Liga) und Saudi-Arabien (aktueller Vorsitz), denn die Situation im Libanon hängt zu einem gewissen Teil davon ab, ob es zwischen Riad und Damaskus zu einem Waffenstillstand kommt oder ob die Feindseligkeiten fortgesetzt werden.[2] Dies vor allem, weil die USA manchmal durch Saudi-Arabien vermittelt agieren und weil Damaskus immer noch eine Rolle im Libanon spielt. Ein weitere Termin wäre das geplante Anschlusstreffen an die Konferenz von Annapolis, über den Nahost-Frieden zwischen Israel und der palästinensischen Regierung unter Leitung von Mahmud Abbas. Es heißt, dass sowohl in Annapolis wie in Paris, die politischen und finanziellen Versprechen (7,4 Milliarden Dollar) mit zwei Bedingungen verknüpft worden seien: Zum einen die Liquidierung des Gazastreifens; zum anderen der Verzicht auf das «Recht auf Rückkehr». Wir sollten als drittens hinzufügen: das Projekt des «Transfers» von rund 200.000 palästinensischen Familien, die in den 1948er Gebieten und in Cisjordanien leben, Richtung Jordanien und Libanon.

Zusätzlich zu diesen drei politisch relevanten Terminen bleibt das irakische Problem in seiner Gänze bestehen. Viele Punkte in dieser Hinsicht sind zwischen den USA und Syrien immer noch nicht gelöst. Gleichzeitig galt der Libanon immer als der weiche Bauch Syriens. Dasselbe gilt für den Atomstreit mit Iran und den schwelenden Konflikt zwischen Washington und Teheran, in dem nun auch Tel Aviv mitmischt.

Eine neue geopolitische Karte

All dies bildet den Hintergrund der Bestrebungen der US-Regierung und besonders von Dick Cheney, einen Schritt weiterzugehen in Richtung, den arabischen und persischen Golf stabiler zu beherrschen, wo 65% der Weltvorkommen des Erdöls liegen , aber auch, weil in dieser Region mehr als 30% der Weltvorkommen an Erdgas liegen. Man darf auch nicht die Wasservorräte des Libanons vergessen, eine weitere wichtige, für Israel unverzichtbare Energiequelle in den kommenden Jahren.

Alles, was man zur Zeit feststellen muss, ist, dass wir uns mitten in einer Übergangsperiode befinden, in der die USA -- bislang vergeblich -- versuchen, die geopolitische Karte des Mittleren Ostens neu zu zeichnen. Ihre «Politik des kreativen Chaos» bedeutet, alle möglichen Arten von Zersplitterung und Bürgerkriegen -- religiöse, konfessionelle und ethnische -- eher zu schüren als einzudämmen.

Da sie aber vom Irak bis Libanon auf Probleme stoßen, und da ihre Versuche, den libanesischen Widerstand mit Hilfe Israels auszulöschen, kläglich gescheitert sind, finden sie nur noch einen Ausweg: die Flucht nach vorn, in einem Konflikt, der sie zum Gegner mehr als eines Volkes in der Region macht. Und einmal mehr glauben sie, sie könnten vom Libanon aus agieren. Weil sie glauben, dass die innere Zersplitterung des Landes einen Joker darstellen, der ihnen das Erreichen ihrer Ziele erleichtert. Vor allem aus diesem Grund unterstützen sie Fuad Siniora und seine -- wie sie sagen -- «demokratisch gewählte» Regierung. Das ist auch der Grund warum sie wollen, dass das libanesische Parlament einen Präsidenten wählt, der aus ihrer Mitte ist.

Doch wo ist bei all dem die Europäische Union? Die Politik der EU überrascht immer wieder durch ihre Schwäche und ihre Ambivalenzen gegenüber diesen Projekten. Dies vor allem, da alle europäischen Regierungen, die in Afghanistan, dem Irak und in den UNIFIL-Truppen im Südlibanon präsent sind, sich durchaus im Klaren sind über die Absurdität der Ziele der Bush-Administration, sowohl ökonomisch als auch in Hinsicht des Kampfes der Zivilisationen, den er unter der Decke des Kampfes gegen den Terror versteckt.

* Marie Nassif-Debs, Universität Pompeu Fabra, Barcelona. Aus dem Französischen von Martina Sabra.

Anmerkungen

[1] Das Abkommen von Ta'if vom September 1989, das "Dokument der nationalen Verständigung", beendete den Bürgerkrieg. Die großangelegte Verfassungsrevision vom 21. September 1990 beruht im wesentlichen auf den Bestimmungen dieses Abkommens. Red.

[2] Ende Februar 2008. König Abdallah droht damit, nicht am Gipfel in Damaskus teilzunehmen, solange Syrien -- mittels ihres Einflusses im Libanon -- die Wahl Michel Suleimans zum Staatspräsidenten blockiert. Andere arabische Länder würden sich dem Boykott anschließen, so z.B. Husni Mubarak. Red.


Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 53/Frühjahr 2008

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