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Libanon-Krieg: "Schlimmer als im Irak"

Kriegsschäden für Mensch und Natur

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Eine Woche nach Beginn der libanesisch-israelischen Waffenruhe werden die langfristigen Kriegsschäden für Mensch und Natur deutlich. Insbesondere die Gefahr durch nicht explodierte Munition ist nach Angaben des UN-Koordinierungsbüros für die humanitäre Hilfe (OCHA) besonders groß. „Die gesamte Region von Sidon ist schwer von Blindgängern verseucht“, heißt es in einer Stellungnahme. Allein um die Region von Nabatiya zu säubern, werde man vermutlich bis zu 6 Monaten brauchen, andere Quellen sprechen von bis zu einem Jahr. Die Blindgänger sind überall: auf Straßen, in Hauseingängen, in Gärten, Feldern und auf Spielplätzen.

Am ersten Tag der Waffenruhe war es in Nabatiya zu einem tragischen Unfall gekommen, als der 11jährige Hadi Hatab durch eine Streubombe getötet wurde. Sein Vater Moussa (32), der seinem Sohn zur Hilfe kommen wollte, trat auf eine weitere Streubombe und starb drei Tage später. Der Arzt Ali Haj Ali vom Najde Krankenhaus in Nabatiya berichtete von vielen Verletzungen durch die Blindgänger, die so dicht lägen, dass die Soldaten der libanesischen Armee mit dem Räumen kaum nachkommen. Am Ende der ersten Woche der Waffenruhe berichtete ein Soldat dem UN-Informationsnetzwerk IRIN, er habe in knapp einer Woche 1000 Blindgänger vernichtet. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, meinte auch Sean Sutton, Sprecher der britischen Minenräumgruppe MAG (Mines Advisory Group). Es sei noch schlimmer, als im Irak. MAG sei noch gar nicht dazu gekommen, auf den Straßen und Feldern außerhalb der Dörfer zu räumen, erstmal müssten die Häuser und Gehwege gesäubert werden. In Khiam haben derweil Minenräumer in einem Bombenkrater erhöhte Radioaktivität gemessen, ein Hinweis, dass auch Uranhaltige Munition von Israel eingesetzt wurde. 40 Dörfer hat MAG bisher untersucht, die Hälfte sei „schwer minenverseucht“, so Sutton. Er habe sowohl M42 als auch M77 Streubomben gesehen, die sowohl in den USA als auch in Israel in Lizenz hergestellt werden.

Bei der Streumunition handelt es sich um kleine Metallbehälter, nicht größer als eine Taschenlampenbatterie. Sie werden in größeren Zehner- oder Hunderterpaketen von Panzern abgeschossen und verteilen sich kurz über der Erde. In einem Umkreis von 10 Metern sind sie tödlich für jeden.

Erfahrungswerte zeigen, dass rund ein Viertel der Geschosse nicht explodieren, und somit zu Langzeitminen werden. Israelische Kinder hatten während des Krieges die Geschosse mit Schriftzügen wie „Von Israel für Libanon“ versehen, was unter der libanesischen Bevölkerung mit großer Verbitterung aufgenommen wurde. „Israel hat sie hier abgeworfen und Amerika hat sie Israel geliefert“, so der Onkel des 11jährigen Hadi Hatab.

Die UN hat mit lokalen Nichtregierungsorganisationen und der libanesischen Regierung eine Kampagne gestartet, um die Bevölkerung, vor allem die Kinder, auf die Gefahren der Blindgänger aufmerksam zu machen. Seit dem Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus dem Südlibanon im Jahre 2000, haben die UN und andere Minenräumorganisationen versucht, das Land von den Landminen zu säubern, die Israel nach 18jähriger Besatzung dort zurückgelassen hatte. Bis heute weigert sich die israelische Regierung dem Libanon das Kartenmaterial zu übergeben, auf dem die Minenfelder markiert sind.

Ein weiteres großes Problem ist die Ölverseuchung des Mittelmeeres, verursacht durch die Bombardierung des Elektrizitätswerks Jieh zwischen dem 13. und 15. Juli durch die israelische Luftwaffe. Dabei waren zwei große Öltanks in Brand geraten, die nahezu drei Wochen lang gebrannt und dabei Krebs verursachende Schadstoffe verbreiteten. Bei einem Treffen der UN mit Umweltministern der Mittelmeeranrainerstaaten vor wenigen Tagen in Athen, wurde für die erste Schadenserfassung eine Summe von 64 Millionen US-Dollar vereinbart. Um sich einen ersten Überblick über das Ausmaß der Schäden zu machen, musste der Vertreter des UN-Umweltprogramms (UNEP), Achim Steiner, ironischerweise zunächst vom Verursacher der Umweltkatastrophe, der israelischen Regierung, eine Überfluggenehmigung für den betroffenen Küstenstreifen einholen. Israel besteht noch immer auf der Luft-, See- und Landblockade des Libanon mit der Begründung, man wolle Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern. Trotz mehrfacher Aufforderungen seitens des UN-Generalsekretärs Kofi Annan und verschiedener Staaten, die Blockade aufzuheben, beharrt Israel weiterhin darauf.

Umweltschützer gehen davon aus, dass ein rund 150 km langer Küstenstreifen von Libanon und Syrien von dem Ölteppich betroffen ist. Mindestens 15.000 Tonnen Öl waren ausgelaufen, ein Teil davon dürfte inzwischen verdunstet sein, viel hat sich an Steinen und Sand festgesetzt. Unklar ist, wie viel Öl durch Strömung und Wind inzwischen auf das Mittelmeer getrieben und wie viel auf den Meeresgrund abgesunken ist. Satellitenaufnahmen zeigen die enorme Ausdehnung des Ölteppichs nach nur einer Woche. Das Öl dürfte auch Teile der fast 10000 Jahre alten Hafenstadt Byblos (Jbeil) im Norden Beiruts beschädigt haben, so Vertreter der UNESCO, die den Libanon in dieser Woche besuchen. Byblos gehört zum Weltkulturerbe. Auch in Baalbeck wurden Teile eines Bacchustempels durch einen israelischen Luftangriff beschädigt.

Die Umweltschutzorganisation „Freunde der Erde Europa“ fordert die Europäische Union dazu auf, den Libanon mit der notwendigen Technik auszurüsten, um die massiven Umweltschäden des Krieges zu beheben. Lokale NGO-Mitarbeiter seien bereit, ehrenamtlich zu helfen. Vorrangig sei die Entsendung eines Spezialbootes, dass den Ölteppich eindämmt und absaugt. Gemeinsam mit ihrer Niederlassung im Mittleren Osten weist die Organisation auch darauf hin, dass durch die Kämpfe sowohl im Norden Israels als auch im Südlibanon große Waldbestände vernichtet worden sind. Während Felder und Wälder bei Khiam, im Südlibanon, noch eine Woche nach Beginn der Waffenruhe brannten, konnten in Nordisrael die Feuer durch Einsatz von Löschflugzeugen und Feuerwehr inzwischen gelöscht werden. 500 Feuer hätten in Israel mehr als eine halbe Millionen Bäume vernichtet, so die Organisation. Die Wiederaufforstung bis auf den Baumbestand vor dem Krieg werde bis zu 60 Jahren dauern. Im Südlibanon wurden auch Projekte der Libanesischen Vereinigung für die Waldentwicklung (AFDC) vernichtet. Etliche ihrer „Projekte Wälder für den Frieden“ gingen nach israelischem Raketenbeschuss in Flammen auf.

* Abschluss des Manuskripts: 22. August 2006. Eine leicht gekürzte Fassung erschien unter dem Titel "Minenseuche in Libanon" am 25. August 2006 im "Neuen Deutschland"


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