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Jagd nach Macht in Libanon

Feilschen und Handeln vor Parlamentswahlen Ende des Monats

Im Folgenden informieren wir anhand zweier Artikel über die jüngste Entwicklung im Libanon.

Jagd nach Macht in Libanon

Von Alfred Hackensberger, Beirut*

Letzte Woche explodierte zum vierten Mal binnen weniger Wochen eine Bombe in einem christlichen Viertel Beiruts. Am Donnerstag verfehlte eine Katjuscha-Rakete nur knapp einen israelischen Militärposten auf den von Libanon beanspruchten Schebaa-Farmen. Bei den Politikern in Beirut erregte beides wenig Aufmerksamkeit. Sie haben anderes zu tun.

Die politische und wirtschaftliche Elite Libanons war zu sehr mit der Aufstellung der Wahllisten beschäftigt, die Freitag bis Mitternacht eingereicht werden mussten. Gerade auf Seiten des antisyrischen Oppositionsbündnisses gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Von der Einigkeit, die in den Wochen vor dem Abzug der syrischen Truppen aus Libanon zu herrschen schien, ist wenig übrig geblieben.

So einigte sich das Parlament auch nicht auf ein neues Wahlgesetz, das kleinere Wahlbezirke (quadas) vorsah. Für die Parlamentswahlen Ende Mai gilt nun das Gesetz aus dem Jahr 1999, das noch unter syrischem Einfluss zustande kam und große Wahlkreise (mohafaza) vorschreibt. Benachteiligt fühlt sich dadurch insbesondere die christliche Minderheit. Die 128 Parlamentssitze werden zwar entsprechend dem Taif-Abkommen von 1989 zu gleichen Teilen mit Christen und Muslimen besetzt, aber die Christen fühlen sich von den Stimmen der muslimischen Wähler abhängig. In großen Wahlkreisen haben einzelne, konfessionelle Parteien keine Chance, da eine einfache Mehrheit darüber entscheidet, wer ins Parlament einzieht. Aussicht auf Erfolg haben nur religions- und parteiübergreifende Wahllisten.

Bis zuletzt wurde gefeilscht und verhandelt, wer mit wem unter welchen Bedingungen eine Listenverbindung eingeht. Mit demokratischen Prinzipien hat das wenig zu tun. So bestimmte Saad Hariri, der Sohn des ermordeten ehemaligen Premierministers Rafik Hariri, alleine, wer auf die Liste seiner Partei kommt, die in Beirut mit der schiitischen Hisbollah kooperiert. Das gleiche taten der Druse Walid Dschumblatt von der Progressiven Sozialistischen Partei und der Christ Michel Aoun, der vor kurzem aus 15-jährigem Exil in Paris zurückgekehrte Bürgerkriegsgeneral. Gerade die umjubelte Ankunft des ehemaligen Generals, der am Ende des libanesischen Bürgerkriegs alle Fraktionen bekämpft hatte, gab dem politischen Karussell neuen Schwung. Mit seiner »Freien Patriotischen Bewegung« ist er ein neuer, nicht zu unterschätzender Machtfaktor.

Auf seine Entlassung aus dem Gefängnis wartet derweil Samir Geagea, der ehemalige Führer der berüchtigten »Libanese Forces«, der als einziger für Verbrechen während des Bürgerkriegs zur Verantwortung gezogen worden war. Wegen mehrerer Bombenanschläge und Attentate hatte man ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Zuge einer »nationalen Aussöhnung« wird das Parlament nächste Woche ein Amnestie-Gesetz verabschieden, das nicht nur Geagea nach 11 Jahren hinter Gittern die Freiheit gibt, sondern auch zahlreichen Kriminellen und Drogendealern. Ob aber Samir Geagea, der »Schlächter« der »Lebanese Forces« seine Entlassung lange überleben wird, wird von vielen bezweifelt. Er hat einfach zu viele und bedeutsame Menschen auf dem Gewissen.

Zur Beobachtung der Parlamentswahlen entsandte die UNO eine internationale Kommission, um Manipulationen auszuschließen. Aber die Manipulationen beginnen – nicht nur in Libanon – lange vor der Stimmabgabe. Die meisten Kandidaten und Parteien, wie etwa der Sohn Hariris oder die Hisbollah, unterhalten zahlreiche soziale Projekte, die ihnen Wählerstimmen sichern. Hariri-Stiftungen übernehmen das Schulgeld für sunnitische Familien, Hisbollah finanziert Krankenhäuser, Schulen, Stipendien. »So ist der Wahlprozess in Libanon nur schwer zu kontrollieren«, erklärt Dr. Hoda Rozk von der Libanesischen Universität.

Die USA-Regierung stört das alles wenig. Für sie ist und bleibt Libanon ein Musterbeispiel für »Demokratie im Nahen Osten«. Hauptsache, die Wahlen finden wie geplant statt und werden nicht verzögert, wie es die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes nötig gemacht hätte. Nach den Wahlen haben die USA, die erst vor kurzem die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Syrien erneuerten, eine »demokratisch gewählte Regierung« als offiziellen Ansprechpartner, den man zur Entwaffnung der Hisbollah-Miliz gemäß UN-Resolution 1559 auffordern kann. Die schiitische Widerstandsorganisation, wie sie in Libanon bezeichnet wird, ist in der Region der militärisch einzig ernstzunehmende Gegner Israels.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2005


Rückkehr des Sonnenkönigs

Von Jürgen Cain Külbel*

Mit großem Hofstaat zelebrierte der siebzigjährige Christengeneral und ehemalige Chef der libanesischen Militärregierung, Michel Aoun, am Samstag seine Ankunft auf dem Airport von Beirut. In Begleitung von hundert Adjudanten, einer fünfzigköpfigen Presseschar und zwei ausgebürgerten Militärs, die seiner einstigen Regierung angehörten, kehrte er nach fünfzehnjährigem Exil aus Frankreich zurück. »Heute ist ein Tag voll Glück und Freude«, erklärte er vor feiernden Anhängern. Der Libanon sei »seit fünfzehn Jahren von einer schwarzen Wolke bedeckt« gewesen, »die ihn zum Sklaven machte«. Doch nun, mit seiner Ankunft, »scheint die Sonne der Freiheit«.

Daß ihm Beirut bereits 1996 die Heimkehr aus dem Exil angeboten hatte, erwähnte er auch vor 50000 Menschen am Samstag abend auf dem Märtyrerplatz der Hauptstadt nicht. Seinem orange gekleideten Fußvolk gilt er längst als Präsidentschaftskandidat für die Wahlen, die noch im Mai stattfinden sollen. Aoun hatte in den vergangenen Jahren eng mit der antisyrischen Lobby im US-Kongreß zusammengearbeitet, war Mitglied des neokonservativen »US-Committee for a Free Lebanon« geworden, das sich die »Befreiung und Demokratisierung« des Libanon auf die Fahnen geschrieben hat, und stieg zum Favoriten der US-Administration für das höchste Regierungsamt im Libanon auf. Aoun wiederholte am Samstag via Radio RFI erneut, für das Präsidentenamt zur Verfügung zu stehen.

Aus: junge Welt, 9. Mai 2005


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