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Der angekündigte Ministermord

Vorwürfe aus Libanon und den USA an Syrien und offene Fragen

Von Jürgen Cain Külbel *

Ein professionelles Killerkommando hat den libanesischen Industrieminister Pierre Gemayel, Sohn des ehemaligen Präsidenten Amin Gemayel, ermordet, und die USA wie die anti-syrische Regierungsmehrheit in Beirut heizen die Kampagne gegen Damaskus wieder an.


»Ist Syrien überhaupt noch fähig, so etwas zu tun, und wer noch?«, fragte ein Analyst am Dienstag im libanesischen Fernsehen. Für ihn ist klar: Das Mordkommando handelte professionell, »sie haben nicht einmal ihre Gesichter verhüllt, weil sie nicht fürchten mussten, erkannt zu werden. Sie kamen in Libanon an, taten ihre Arbeit und verschwanden wieder.« Ein Zeuge hatte berichtet, dass eines der zwei Täterfahrzeuge den silberfarbenen KIA des 34-jährigen Gemayel in Jdeideh, einem vorwiegend von Christen bewohnten Vorort von Beirut, rammte. Sofort hätten mindestens drei Attentäter mit schallgedämpften automatischen Waffen das Auto durchsiebt. Einer der Mörder sei danach ausgestiegen und habe dem am Lenkrad sitzenden Gemayel aus kürzester Entfernung mit einer ebenfalls mit Schalldämpfer ausgerüsteten Waffe in den Kopf geschossen. Von den Tätern fehlt weiter jede Spur.

Das Attentat ist das jüngste einer Serie von Bombenanschlägen und Morden, die Libanon seit dem Attentat auf Expremier Rafik Hariri am 14. Februar 2005 erschüttern. Die Ermordung des Regierungschefs führte damals zur so genannten Zedernrevolution, die pro-amerikanische Kräfte an die Macht hievte, und zum Abzug der syrischen Truppen, die als »Ordnungsmacht« stationiert waren.

UN-Generalsekretär Kofi Annan und der Weltsicherheitsrat verurteilten die Ermordung des Industrieministers als »Terrorakt, der die Stabilität Libanons gefährdet«. Die Hintermänner der Täter müssten zur Verantwortung gezogen werden. Auch USA-Präsident George Bush verurteilte den Mordanschlag scharf. Er warf Iran und Syrien vor, in Libanon »Instabilität« anzustreben, stellte jedoch keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Attentat und den Regierungen in Teheran und Damaskus her. Bush rief die »internationale Gemeinschaft« auf, die libanesische Regierung von Ministerpräsident Fuad Siniora zu unterstützen.

Siniora erklärte auf einer Pressekonferenz, Mordanschläge würden seine Regierung nicht einschüchtern. »Wir werden nicht zulassen, dass Verbrecher unsere Geschicke bestimmen.« Doch seine »antisyrische« Regierungskoalition steckt längst in der Krise. Die Opposition, darunter die Partei der schiitischen Hisbollah, die ebenso schiitische Amal und die Freie Patriotische Bewegung unter General Michel Aoun, wirft ihr vor, eine »Feltman-Regierung« – so benannt nach dem USA-Botschafter in Beirut – zu sein, die nur die Interessen der Vereinigten Staaten vertrete.

Zwei Minister der Hisbollah, drei der Amal und ein Gefolgsmann des Präsidenten Emile Lahoud legten Anfang November ihre Ämter nieder, nachdem es die Regierungskoalition strikt abgelehnt hatte, der Forderung nach einer »Regierung der nationalen Einheit«, in der alle Bewegungen des Landes vertreten sind, oder vorgezogenen Neuwahlen nachzukommen. Vergangenen Sonntag hatte der Chef der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, ab heute mit friedlichen Massendemonstrationen gedroht, sollte sich Siniora einer Umbildung des Kabinetts verweigern. Das Attentat verschafft der angeschlagenen Regierung also eine Atempause; vorerst sind drei Tage Staatstrauer angeordnet, was auch den Start der gegen sie gerichteten Demonstrationswelle verschiebt.

Saad Hariri, Sohn des ermordeten Expremiers und Chef der antisyrischen Future Movement, ging schon kurz nach dem Anschlag in die Offensive und machte Damaskus für den Mord verantwortlich. Atef Majdalani, ein Mitglied von Hariris Partei, behauptete‚ die Reste des syrischen und libanesischen Sicherheitsregimes seien noch immer präsent und stecken hinter dem Attentat. Syrien verurteilte die Tat und wies jede Schuld von sich.

Kurz vor dem Mord hatte der UN-Sicherheitsrat der Einrichtung eines internationalen Tribunals zur Aufklärung des Attentats auf Rafik Hariri zugestimmt. Die USA wollen sich nun dafür einsetzen, dass sich dieses Tribunal auch mit dem Fall Gemayel befasst. Es sollte auf jeden Fall den mit der Regierungskoalition verbandelten Politiker Samir Geagea zu Rate ziehen. Der warnte nämlich vor vier Tagen im libanesischen Fernsehen LBCI, dass demnächst drei Minister ermordet werden würden. Geagea, der eine langjährige Haftstrafe verbüßte, soll hinter den Mordanschlägen gegen den früheren Ministerpräsidenten Omar Karamé und weitere politische Konkurrenten aus dem christlichen Lager stecken – und enge Beziehungen zum israelischen Geheimdienst Mossad unterhalten.

Bleibt noch die Frage zu klären, was die USA-Botschaft in Beirut mit jener Lieferung zu tun hat, die die libanesischen Behörden am 3. Februar beschlagnahmten. Sie war an einen dortigen Diplomaten namens Mark Savageau gerichtet. Diese verdächtige Sendung »No. R1616223700GB« enthielt militärisches Gerät – darunter drei Schalldämpfer. Der Fall wurde zwar im Beiruter Militärgericht (Criminal Case No. 1 / b i / 2006) monatelang untersucht, doch verlief die Geschichte im Spätsommer im Sande.

* Aus: Neues Deutschland, 23. November 2006


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