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Hariri soll's wieder richten

Zweiter Anlauf zur komlizierten Regierungsbildung in Libanon

Nur wenige Tage nach seinem Rücktritt als designierter libanesischer Ministerpräsident [siehe unten im Kasten] ist Saad Hariri von der Mehrheit der Abgeordneten erneut für diesen Posten vorgeschlagen worden. 54 Abgeordnete hätten bei einem Treffen mit Präsident Michel Sleiman am Dienstag (15. Sept.) den Vorsitzenden der Zukunftsbewegung als ihren Kandidaten für das Amt vorgeschlagen, während die Opposition mehrheitlich keinen Namen nannte. Für Hariri sprachen sich neben den Abgeordneten seiner eigenen Partei auch die der Libanesischen Streitkräfte (LF), der Phalangisten, der Demokratischen Versammlung und des Blocks „Zehle im Herzen“ aus, die die Wahlen Anfang Juni gemäß dem libanesischen Wahlgesetz für sich entschieden hatten. Auch der unabhängige Abgeordnete Michel Murr sprach sich für Hariri aus. Erwartet wird, dass auch die zwei Abgeordneten der oppositionellen armenischen Taschnaq Partei für Hariri stimmen werden.

Die oppositionelle Amal Bewegung, die Hariri zunächst unterstützt hatte, enthielt sich einer Nominierung. Michel Aoun, Führer der Freien Patriotischen Bewegung (FPM) erklärte, man könne Hariri nicht benennen, weil es „zwischen ihm und uns keine Verständigung (über die Regierungsbildung) gibt.“ Der wichtigste Streitpunkt ist die Besetzung des Ministeriums für Telekommunikation. Aoun fordert, dass der amtierende Übergangsminister Gibran Bassil das Amt behalten soll, obwohl er bei den Wahlen keinen Parlamentssitz erhalten hat. Aoun wird von den anderen oppositionellen Bündnispartnern unterstützt, doch es gibt auch kritische Stimme, da Bassil der Schwiegersohn von Aoun ist. Außerdem fordert Aoun ein „souveränes Ministerium“ für die Opposition, als solches gilt das Außen-, das Innen-, das Verteidigungs- oder auch das Finanzministerium. Für die Abgeordneten der Hisbollah erklärte deren Sprecher Mohammad Raad, man werde keinen eigenen Kandidaten für den Posten benennen und sei bereit, mit Hariri zu kooperieren, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Die Regierung der nationalen Einheit soll insgesamt 30 Minister haben, 15 für die Mehrheit, 10 für die Opposition und 5 Minister sollen vom Präsidenten ernannt werden. Die in der vergangenen Woche vorgelegte Kabinettsliste war von der Opposition abgelehnt worden, weil Hariri darin die Ministerwünsche der Opposition nicht berücksichtigt hatte. Am Mittwoch (16. Sept.) beauftragte Präsident Michel Sleimann Hariri dann erneut mit der Regierungsbildung, Hariri erklärte daraufhin, er werde mit der Opposition „das Gespräch suchen“. Das komplizierte konfessionsgebundene politische System im Libanon reserviert das Amt des Ministerpräsidenten für einen sunnitischen Muslim, das Amt des Parlamentssprechers für einen schiitischen Muslim und das Amt des Präsidenten für einen Christen.

Kurz nach dem Treffen zwischen dem Präsidenten und dem designierten Ministerpräsidenten, empfing Sleiman den US-Sonderbotschafter für den Mittleren Osten, George Mitchell. Bei dem 20-minütigen Treffen soll es nach einer Erklärung des Präsidentenpalastes um den festgefahrenen israelisch-arabischen Friedensprozess und um das Schicksal der 400.000 palästinensischen Flüchtlinge gegangen sein, die im Libanon leben. Israel weigert sich kategorisch, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anzuerkennen und verlangt von deren Gastländern Jordanien, Syrien und Libanon, die Palästinenser zu integrieren. Im Libanon, wo den Palästinensern seit 61 Jahren zentrale Bürgerrechte vorenthalten werden, wird das abgelehnt.

Der Generalstabschef der israelischen Armee, Generalleutnant Gabi Ashkenazi beschuldigte derweil am Dienstag (15. Sept.) die libanesische Regierung für den Raketenbeschuss aus Südlibanon am vergangenen Freitag (11. Sept.) verantwortlich zu sein. Israel hatte umgehend mit eigenen Raketen geantwortet, niemand kam ums Leben. Eine angeblich Al Khaida nahe stehende Gruppe „Brigaden der Abdullah Azzam Battaillone von Ziad Jarrah“ soll sich inzwischen zu dem Raketenbeschuss auf Israel bekannt haben, heißt es auf einer Internetseite des „Al Fajr Media Centers“, das in Geheimdienstkreisen als Sprachrohr „militanter Selafisten“ gilt. Weder die Authentizität der Erklärung noch die Existenz der Gruppe kann überprüft werden.

Ashkenazi beschuldigte auch die Hisbollah, sich neue Waffen zu beschaffen, doch man sei „auf alles vorbereitet“. Als einzige Organisation im Libanon verfügt die Hisbollah über schlagkräftige Waffen und Kämpfer, was sie im Krieg gegen Israel 2006 unter Beweis stellte. Von politischen Gegnern im Inland und vom Ausland wird die Hisbollah deswegen für die unsichere Lage im Südlibanon verantwortlich gemacht. Allerdings ist es Israel, das den in der UN-Resolution 1701 vereinbarten und von UN-Truppen überwachten Waffenstillstand missachtet. Fast täglich überfliegen israelische Kampfjets den Südlibanon teilweise mit Scheinangriffen. Am Mittwoch (16. Sept.) beschossen israelische Truppen ein Fischerboot, das in libanesischen Hoheitsgewässern unterwegs war.

Aktualisierte Fassung eines Artikels, der am 17. September 2009 in der "jungen Welt" erschien ("Hariri wieder vorgeschlagen").


Gescheitert **

Ganz geheuer war ihm der Schritt in die Politik von Anfang an nicht. Nun trat Saad Hariri von seinem Amt als Ministerpräsident Libanons zurück. »Ich hoffe, dass diese Entscheidung im Interesse Libanons sein und den Beginn eines neuen Dialoges ermöglichen wird«, teilte der Milliardär mit. Hariri ist der Sohn des 2005 ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Seine Zukunftsbewegung war aus den Parlamentswahlen im Juni als stärkste Kraft hervorgegangen. Daraufhin hatte Präsident Suleiman den pro-westlichen Hariri mit der Regierungsbildung beauftragt. 73 Tage lang hat der Vater von drei Kindern versucht, eine Einheitsregierung zu bilden – vergeblich. Das Mehrheitslager machte insbesondere den christlichen Politiker und Hisbollah-Verbündeten Michel Aoun für das Scheitern der Regierungsbildung verantwortlich.

Der 39-jährige Hariri wollte eigentlich nie in die Politik. Schon im Sommer 2005 überließ er dem einstigen Finanzminister seines Vaters, Fuad Siniora, den Posten des Ministerpräsidenten und widmete sich lieber dem Erbe eines riesigen Imperiums. Sein Gesamtvermögen wird auf 3,3 Milliarden US-Dollar geschätzt, was ihn zu einem der reichsten Männer der Welt macht. Nach seinem Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft an der Washingtoner Georgetown-Universität 1992 war er zunächst Managing Director, seit 1998 dann Generaldirektor des von seinem Vater gegründeten Baukonzerns Saudi Oger, eines der größten Unternehmen im Nahen Osten. Zum Firmenimperium zählen auch der einflussreiche libanesische Fernsehsender Future TV sowie ein großer Anteil an der Bank von Arabien.

Doch das viele Geld konnte dem im saudi-arabischen Riad geborenen Hariri nicht dabei helfen, das politische Erbe seines Vaters zu tragen. Nach den Parlamentswahlen gestand er selber ein, dass es »noch Jahre dauern wird, bis ich die Fußstapfen meines Vaters halbwegs füllen kann«. Nach seinem Rücktritt fürchtet man sich in Libanon vor erneuter Instabilität. Ende 2006 stürzte das Land durch den Machtkampf zwischen pro-westlichem und pro-syrischem Lager in eine tiefe politische Krise, die erst im Mai 2008 nach blutigen Auseinandersetzungen beigelegt wurde. Nissrine Messaoudi

* Aus: Neues Deutschland, 12. September 2009




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