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Die Parade der leeren Stühle

Das absurde politische Theater in Libanon wird begleitet vom Verfall staatlicher Institutionen

Von Birgit Kaspar, Beirut *

Es ist wie in Eugene Ionescos Farce »Die Stühle«: Auf der Bühne des absurden Polittheaters in Libanon drängen sich immer mehr leere Stühle. Fragt sich nur, wer am Ende, wenn die Bühne voll ist, ins Wasser springt.

Der libanesische Präsidentenstuhl ist seit November 2007 leer – schon 18 Mal scheiterten die Politiker mit der Wahl eines neuen Staatsoberhauptes, obwohl man sich prinzipiell schon vor Monaten auf einen Konsenskandidaten, den maronitischen Armeechef Michel Suleiman, geeinigt hatte. Auch die Stühle im Parlament sind seit Oktober 2006 kalt geblieben – damals haben die Abgeordneten zum letzten Mal zusammen gesessen. Seither hat der Parlamentspräsident, der schiitische Oppositionspolitiker Nabih Berri, das Parlament nicht mehr zusammentreten lassen.

Berri hat dieser Parade leerer Stühle nun noch 14 weitere hinzugefügt: Er ließ im zweiten Stock des Parlamentsgebäudes einen runden Holztisch für einen nationalen Dialog herrichten. Allerdings sind die Einladungen an die Teilnehmer noch nicht verschickt, denn Libanons Politiker weigern sich konsequent, miteinander zu reden. Aber Berris Medienberater Ali Hamdan betont, der Parlamentspräsident sei bereit zu einer Marathonsitzung, an deren Ende alle direkt zur Wahl eines neuen Präsidenten schreiten könnten.

Beide politische Lager, die vom Westen unterstützte Rumpf-Regierung von Fouad Siniora und die von der radikal-schiitischen Hisbollah und Christengeneral Michel Aoun angeführte Opposition, verharren in ihren Stellungen. Wahrscheinlich so lange, wie ihre jeweiligen ausländischen Alliierten keine Annäherung im Konflikt zwischen den USA und der EU auf der einen Seite sowie Syrien und Iran auf der anderen Seite finden.

Sieben leere Stühle deshalb auch am Kabinettstisch. Sechs Oppositionsminister sind aus Protest gegen die Regierungspolitik zurückgetreten. Der ehemalige Industrieminister Pierre Gemayel fiel einem von zahlreichen Attentaten zum Opfer.

Ein Spaziergang durch das neu hergerichtete Zentrum Beiruts bietet keine Erholung von dieser beklemmenden Leere. Auf dem Riad al Solh-Platz flattern die offenen Eingänge unbewohnter Zelte lustlos im Wind: Die Opposition hatte hier im Dezember 2006 eine Massenkundgebung organisiert, in der sie mehr Einfluss auf die Regierungspolitik und ein Vetorecht im Kabinett forderte. Im Anschluss daran belagerten ihre Anhänger in der dafür errichteten Zeltstadt den Sitz der Regierung von Siniora, der sich in das von Stacheldraht und Armee abgeriegelte, ottomanische Serail zurückzog. Auf die Dauer ist das offenbar langweilig: Die meisten Belagerer sind nach Hause gegangen, verwaiste Zelte und leere Stühle sind geblieben.

Auch in den einst belebten Cafés und Restaurants in Beirut stehen die Stühle auf den Tischen. Fast alle Geschäfte haben inzwischen die Pforten geschlossen. Michel Ferneini, Generalmanager der Medi-Resto-Kette, hält sein Restaurant mittags noch offen. Aber: »Wir erreichen nur sieben Prozent unserer früheren Einkünfte. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Die so genannten Politiker sollten sich dafür schämen, dass sie Libanon in diese Sackgasse manövriert haben. Eines Tages werden wir sie in die Mülltonne der Geschichte werfen.«

Auf einem leeren Grundstück in der Nähe hat die libanesische Künstlerin Nada Sehnaoui der Parade der leeren Sitze im Zedernstaat weitere 600 hinzugefügt. Sie nennt ihre Installation: »Waren 15 Jahre des Versteckens in den Toiletten nicht genug?« Aus der Ferne sehen sie aus wie weiße Grabsteine einer Kriegsgrabstätte. Tatsächlich sind es weiße Keramik-Toilettensitze. Ein Mahnmal gegen das Vergessen. Sehnaoui: »Ich möchte, dass die Leute sich an den Bürgerkrieg erinnern, damit sie offen darüber sprechen, gerade weil wir das Leben lieben und uns nicht noch einmal gegenseitig abschlachten wollen wie Idioten.«

Wie die meisten Libanesen habe auch sie sich während des Krieges zwischen 1975 und 1990 oft im Bad versteckt. Diese kleinen, fensterlosen Räume liegen häufig in der Mitte der Wohnung, dort hoffte man auf größeren Schutz vor dem Beschuss mit Mörsern, Panzerfäusten oder Kalaschnikows. »Wir haben große Probleme, politische und wirtschaftliche, das stimmt. Aber die Lösung liegt nicht in einem neuen Krieg, in dem wir erneut Bomben von einer Straßenseite auf die andere abfeuern. Das wird nicht nur die Milizionäre zerstören, sondern die gesamte Nation.«

Die Sorge vor dem Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges ist trotz gegenteiliger Absichtserklärungen aller politischen Führer in Libanon groß. Die Taten der Politiker sprechen eine andere Sprache: Leere Stühle statt politischer Umsicht. Leere Stühle, die symbolisch für den schleichenden Verfall der staatlichen Institutionen stehen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Mai 2008


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