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Unsichere Lage trotz Blauhelmen

Angespannte Ruhe herrscht / Libanons Premier Fouad Siniora will Verlängerung der UNO-Mission

Von Ron Bousso und Karin Leukefeld *

Ein Jahr nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hisbollah in Libanon ist entlang der Grenze beider Länder scheinbar der Alltag wieder eingekehrt. Doch die Spannungen sind mit Händen zu greifen.

»Bisher ist alles ruhig. Aber seit einiger Zeit liegt Spannung in der Luft. Wir spüren, dass sich ein neuer Krieg anbahnt, und wir sind ratlos«, sagt der 57-jährige Schula Assajag. Er betreibt eine Herberge in Sarit, einem kleinen israelischen Dorf nahe der Grenze. Ganz in der Nähe von Sarit hatte die Hisbollah am 12. Juli 2006 zwei israelische Soldaten entführt und damit die militärischen Auseinandersetzungen ausgelöst. Die israelische Armee reagierte umgehend mit schweren Militärangriffen auf die Stellungen der Miliz in Libanon, die auch die Hauptstadt Beirut trafen. Von den beiden entführten Soldaten fehlt bis heute jede Spur.

Mit der Resolution 1701 hatte der UN-Sicherheitsrat dem Krieg am 14. August des vergangen Jahres nach 34 Tagen ein Ende gesetzt. Blauhelm-Soldaten unterstützten fortan die libanesische Armee, die erstmals in der bis dahin von Hisbollah-Milizionären kontrollierten Grenzregion zu Israel Fuß fasste. Im 4. Bericht über die Umsetzung der Resolution 1701 (Überwachung der Waffenruhe in Südlibanon) bezeichnet UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon die Lage an der provisorischen libanesisch-israelischen Grenze, der »Blauen Linie«, weiterhin als unsicher. Die Anstrengungen für einen dauerhaften Waffenstillstand müssten verstärkt, Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch aufgenommen und die Frage der Scheeba Farmen sowie einer gemeinsamen Grenzfestlegung gelöst werden. Syrien und Iran werden aufgefordert, Waffenlieferungen an Milizen in Libanon einzustellen, Syrien müsse die Grenzkontrollen verbessern und die libanesischen Grenztruppen müssten technisch besser ausgestattet werden. Die Entwaffnung der Hisbollah und anderer Milizen (wie Fatah al Islam und die palästinensische DFLP-GC) sieht Ban als notwendiges Ergebnis eines »politischen Prozesses«.

Der Bericht kritisiert die israelische Luftwaffe, weiterhin systematisch den libanesischen Luftraum zu verletzen. Israel wird zudem aufgefordert, Informationen über die Platzierung von Landminen, Streubomben und Blindgängern vorzulegen, damit diese entfernt werden können. Die Zahl der verbliebenen israelischen Streubomben wird von der UNO auf eine Million geschätzt. Auf libanesischer Seite starben mehr als 1200 Menschen, vor allem Zivilisten. Zugleich kamen 163 Israelis, darunter 119 Soldaten und 44 Zivilisten, ums Leben.

Der amtierende Ministerpräsident Fouad Siniora hat bereits beim Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen die einjährige Verlängerung des UNIFIL-Mandats beantragt. Das Mandat endet offiziell am 31. August. 30 Staaten mit insgesamt 13 313 Soldaten beteiligen sich an der UNIFIL-Mission. Deutschland ist derzeit mit 882 Marinesoldaten vertreten.

Um die Folgen des Krieges – wie Schäden an Häusern, Schulen, Straßen und Brücken, die medizinische und psychosoziale Versorgung von traumatisierten und verkrüppelten Kriegsopfern – kümmern sich derweil Organisationen der Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und arabische Rote Halbmondgesellschaften sowie eine Reihe internationaler Nichtregierungsorganisationen.

Nach Angaben des UN-Koordinationszentrums für die Beseitigung von Minen wurden beim Räumen israelischer Landminen und Streubomben bisher 205 Personen verletzt, 30 von ihnen starben. 1300 Minenräumer arbeiten derzeit an 922 Orten, berichtet Dalya Farran, die Sprecherin des Koordinationszentrums. 122 500 Minen und nicht explodierte Streubomben konnten bisher entschärft werden. Bis zum Ende des Jahres hofft man, das Gröbste beseitigt zu haben, so Farran, besonders in Wohngegenden und landwirtschaftlichen Nutzgebieten.

Den Anschein von Normalität halten Experten für trügerisch. Nach Ansicht der Autorin Judith Palmer Harik, die das Buch »Hisbollah, das neue Gesicht des Terrorismus« verfasste, hat die schiitische Miliz ihre Stellungen nur weiter in den Norden verlegt. »Sie haben sich wieder bewaffnet. Ihre Versorgung mit Waffen hat nie aufgehört«, sagt sie. Auch der libanesische General a. D., Wehbé Katischa zweifelt nicht daran, dass die Hisbollah »ihr militärisches Potenzial erhalten« hat. Für ihn steht fest: »Sie bereitet sich auf den nächsten Angriff vor.«

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2007


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