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Libanesische Farbenlehre und die Macht des Geldes

Hariri-Partei gilt als Siegerin der Parlamentswahlen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Nach der Parlamentswahl im Libanon hat sich das pro-westliche Lager zum Sieger des Urnengangs erklärt. »Das ist ein großer Tag in der Geschichte des demokratischen Libanon«, sagte der Chef der sunnitischen Partei Zukunftsbewegung, Saad Hariri, am Montag in Beirut vor jubelnden Anhängern.

Nach den vorläufigen Ergebnissen hat das Bündnis »14. März« von Saad Hariri die Wahlen mit einem deutlichen Stimmenvorsprung gewonnen. Das berichteten auch die libanesischen Zeitungen am Montag. Die Wahlbeteiligung sei mit knapp 55 Prozent erfreulich hoch gewesen, sagte Innenminister Ziad Baroud am Sonntagabend.

Libanesische Wahlbeobachter meldeten rund 900 »ernsthafte Verstöße gegen das Wahlrecht.« Parteien hätten in und vor den Wahllokalen geworben, Medien hätten sich nicht an das gesetzliche Werbeverbot gehalten. Es sei zu Gewalttaten gekommen, und in einigen Fällen hätten die Sicherheitskräfte in den Wahlprozess eingegriffen. Außerdem habe man viele Fälle von Stimmenkauf und Einschüchterung festgestellt, sagte eine Wahlbeobachterin.

Anhänger des »14. März« begannen schon in der Nacht mit Freudenfeiern. Hariri gratulierte seinem Bündnis im Fernsehen: »Herzlichen Glückwunsch, Libanon, herzlichen Glückwunsch zur Demokratie und zur Freiheit.« Vertreter der Opposition hielten sich mit Stellungnahmen zurück. Ein Sprecher der christlichen Freien Patriotischen Bewegung von Michel Aoun, einem ehemaligen General und Ministerpräsidenten, räumte gegenüber AFP eine Niederlage ein, der Hisbollah-Abgeordnete Hassan Fadlallah erklärte, Libanon könne nur in Partnerschaft regiert werden. Wer politische Stabilität und die Wahrung der nationalen Einheit wolle, habe keine andere Wahl, als das Konsensprinzip zu akzeptieren.

Heftig umkämpft waren vor allem die Stimmen der Christen, die politisch gespalten sind und damit wahlentscheidend gewesen sein dürften. Im Bezirk Zahle in der Bekaa-Ebene standen fünf Mandate (von sieben) für die Christen zur Wahl. Vor mindestens einem Wahllokal wurden – vor den Augen der Autorin und anderer ausländischer Journalisten – Wähler offen angesprochen, ihre Stimme mit einem anderen als dem vorbereiteten Wahlzettel abzugeben. Versprochen wurden dafür bis zu 1500 Dollar, wie ein Mann berichtete. Die Sicherheitskräfte hatten teilweise große Mühe, aufgebrachte Wähler zu beruhigen. Trotz heftiger Polemik beider Lager, blieben die Wähler und Wählerinnen weitgehend ruhig. Mit Mützen, T-Shirts und Schals in den Farben der jeweiligen Parteien zeigten viele offen ihre Meinung. Gelb für Hisbollah, Grün für Amal, Orange für die Freie Patriotische Bewegung und Blau für die Zukunftspartei von Hariri.

In einem Wahllokal in Roumeilah im Beruter Stadtteil Aschrafiye wirkten die Wahlhelfer am Nachmittag müde, aber zufrieden. 48 Prozent der registrierten und Wähler seien bereits erschienen, sagt einer der Wahlhelfer. Sie habe für Michel Pharaon (14. März) gestimmt, sagt eine schwangere Frau, der die drückende Mittagshitze offensichtlich zu schaffen machte, während sie versuchte, die lila Farbe an ihrem Daumen zu trocknen, mit der sie als Wählerin gekennzeichnet worden war. Die Wahlen seien ihr egal, sagt sie, Freunde hätten ihr gesagt, sie solle für diesen Kandidaten stimmen. Warum wisse sie nicht.

Die dreißigjährige Mirna Atiyeh dagegen hatte sich vor den Wahlen ausführlich informiert, wie sie sagte. Sie habe »für den Wechsel« gestimmt, eine Parole der Freien Patriotischen Bewegung, Von den Drohungen und Schmähungen des Mehrheitsbündnisses »14. März« im Vorfeld der Wahlen habe sie sich abgestoßen gefühlt. »Mit der Vergangenheit und Angstmacherei muss Schluss sein«, zeigte sich die junge Frau überzeugt. »Korruption und Selbstbedienung der Regierung müssen aufhören.«

»Das waren äußerst schändliche Wahlen«, kritisierte der Soziologe Abdo Saad vom Beiruter Zentrum für Forschung und Information am Morgen nach der Wahl. Saad hatte schon vor den Wahlen (in einem Gespräch mit der Autorin) vor Stimmenkauf und Einschüchterung gewarnt. Libanon brauche ein neues Wahlgesetz, sagte Saad und forderte Neuwahlen. »Erst wenn jede Stimme gleich viel zählt, kann man von Demokratie sprechen.«

Bis jetzt wird immer noch nach einem kompliziertes System abgestimmt, bei dem jeder Wähler praktisch nur einen Kandidaten seiner Religionsgruppe (Christen, Schiiten oder Sunniten) auswählen kann. Damit soll dafür gesorgt werden, dass die verschiedenen Konfessionen entsprechend ihrem Gewicht in der Bevölkerung im Parlament vertreten sind. Allerdings hat seit einem halben Jahrhundert keine Volks(Religions)- zählung mehr stattgefunden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2009


Im Folgenden dokumentieren wir noch einen Wahl-Vorbericht, in dem uns Karin Leukefeld einen Einblick in die Parteienlandschaft gibt.

Gerangel an der Wahlurne im zerrissenen Zedernstaat

Libanesen stimmen am Sonntag über ein neues Parlament ab

Von Karin Leukefeld, Beirut **


Für die Parlamentswahl am Sonntag (7. Juni) in Libanon zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der noch amtierenden Mehrheit um Saad Hariri, dem Bündnis 14. März, und den Oppositionskräften um Hisbollah, dem Bündnis 8. März, ab. Zünglein an der Waage dürften die zerstrittenen Christen sein, die sich nicht auf gemeinsames Vorgehen einigen konnten.

Libanon wählt ein neues Parlament. Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem das Bündnis gewinnen wird, das die meisten Stimmen der Christen mobilisieren kann. Der Zedernstaat mit seinen rund vier Millionen Einwohnern ist ein Mosaik aus muslimischen und christlichen Gruppen, denen laut Verfassung jeweils die Hälfte der 128 Parlamentssitze zustehen. Gewählt wird in 26 Wahlbezirken, wahlberechtigt sind Frauen und Männer über 21 Jahren, auch wenn sie im Ausland leben. 587 Kandidaten sind angetreten, darunter 12 Frauen.

Das allgemein als »pro-westlich« beschriebene Bündnis 14. März der (sunnitischen) Zukunftspartei um Saad Hariri, Sohn des 2005 ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri, und der Fortschrittlichen Sozialistischen Partei des Drusenführers Walid Dschumblatt wird von zwei rechtsgerichteten christlichen Parteien unterstützt: den christlichen Libanesischen Streitkräften von Samir Geagea und der christlichen Phalangistenpartei des früheren Präsidenten Amin Gemayel. Die Oppositionskräfte des 8. März um die schiitische Hisbollah und die ebenfalls schiitische Amal- Bewegung werden von der Freien Patriotischen Bewegung unterstützt, die von dem früheren General Michel Aoun geführt wird, einem Maroniten. Ebenfalls dabei ist die Taschnag-Partei der libanesischen Armenier, die Al Marada, eine kleine Partei maronitischer Christen, und die Syrische Nationale Sozialistische Partei, der auch Christen angehören. Eine Reihe unabhängiger Kandidaten gelten als aussichtslos, ein Bündnis von Maroniten, die für einen unabhängigen Kurs jenseits »sunnitischer Maroniten« und »schiitischer Maroniten« werben, dürfte sich nicht durchsetzen können. Die Kommunistische Partei Libanons hält ebenfalls Distanz zu beiden Lagern, wie die Sprecherin für internationale Beziehungen der Partei, Marie Nassif-Debs gegenüber dem ND erklärte. »Mit dem Bündnis des 14. März verbindet uns gar nichts, mit dem Bündnis des 8. März verbindet uns lediglich deren Position zum Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Heimat«, sagte Marie Debs in Beirut. 500 000 palästinensische Flüchtlinge leben weitgehend ohne Bürgerrechte in Libanon, nur wenige von ihnen haben durch Heirat die libanesische Staatsangehörigkeit erhalten und sind damit wahlberechtigt.

Die KP Libanons fordert vor allem eine neue Verfassung, die den Staat nicht zur Geisel seiner 19 verschiedenen Religionsgruppen macht, sondern alle Libanesen gemäß einer säkularen Ordnung gleichberechtigt politisch emanzipiert. Die Opposition des 8. März thematisiert die immense Korruption und Verschuldung der Regierung und betont, wie der zentrale Slogan der Hisbollah zeigt, die Einheit Libanons: »Nicht mein Libanon, nicht dein Libanon, nicht unser Libanon – Ein Libanon für alle« ist auf den Plakaten zu lesen.

Das regierende Mehrheitsbündnis versucht, mit Angst Stimmen zu mobilisieren: Angst vor einer Islamisierung des als liberal geltenden Zedernstaates und Angst vor einem neuen Krieg mit Israel wird vor allem von den beiden christlichen Parteien geschürt, sollte die Hisbollah an die Macht kommen. Bei der Wahl werde »zwischen einem Schlachtfeld und der Verfassung« entschieden und darüber, ob Libanon »wie Gaza werden soll oder ein entwickeltes Land«, warnt der Führer der Libanesischen Streitkräfte, Samir Geagea.

Die Taschnag-Partei der Armenier, denen sechs Abgeordnetensitze zustehen, könnte das Zünglein an der Waage sein. Sie steht auf Seiten der Opposition und hofft, gemeinsam mit der Freien Patriotischen Union auf einen Wahlsieg in den heiß umkämpften Bezirken von Beirut, Metin und Zahlé. Um die Chancen ihrer Kandidaten zu erhöhen, haben bis auf die KP Libanons alle Parteien massiv unter Auslandslibanesen geworben. Flugtickets und Hotelkosten werden bezahlt, um Wählerstimmen einzufliegen. Bisher sollen rund 19 000 Auslandslibanesen von dem Angebot Gebrauch gemacht haben. 250 internationale und 2200 nationale Wahlbeobachter sind an 5200 Wahlbüros im Einsatz. 50 000 Soldaten und Polizisten sorgen für Sicherheit. Drei Tage Sonderurlaub zu den Wahlen dürften für gute Stimmung sorgen.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2009


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