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Laufen für den Frieden – mitten im Krieg

Für Libanon ist der Konflikt in Syrien und Irak eine Herausforderung auf allen Gebieten

Von Karin Leukefeld, Beirut *

In Libanons Nachbarland Syrien und auch in Irak ist die Extremistenorganisation Islamischer Staat auf dem Vormarsch. Libanon sucht indes nach Inseln der Normalität.

Kein Verkehr, kein Stau, rote Absperrbänder verbieten sogar das Parken – im und um das Zentrum von Beirut herrscht an diesem Sonntag eine besondere Atmosphäre. Seit den Morgenstunden sind die Straßen für den »Beirut Marathon« entlang der Küstenstraße Corniche und in den angrenzenden Vierteln weiträumig abgesperrt, Helfer haben hohe Stapel mit Wasserflaschen aufgebaut, Läufer und Läuferinnen können zwischen drei Stufen wählen: Erfahrene zwischen 20 und 30 Kilometern, den anderen wird eine Strecke von zehn Kilometern angeboten, die sie bewältigen können.

Mit Sonnenaufgang startet der Pulk, zu dem sogar aus Kairo 25 junge Sportbegeisterte gekommen sind, um den »Kairo Marathon« zu vertreten. Aus Finnland allerdings sei niemand da in diesem Jahr, merkt Ali an, der seit Jahren mit seinem Taxi Gäste zwischen dem Flughafen und Hotels im Stadtteil Hamra kutschiert. Auch aus Deutschland hat diesmal kein Marathonläufer den Weg in die libanesische Hauptstadt gefunden.

Als die ersten Läufer in die Mekdissi-Straße in Hamra einbiegen, fangen die Musikgruppen an zu spielen, um sie anzufeuern. Die einen legen modern bearbeitete klassische Musik mit Trommeln und Violinen hin, die mit großen Boxen verstärkt durch die engen Straßenschluchten dröhnt. Ein Stück weiter spielt eine Band arabische Schlager, die von den Umstehenden lauthals mitgesungen werden. »Alle hier sind Freiwillige«, sagt eine Mitarbeiterin von Caritas Libanon und zeigt auf ein Plakat, das quer über die Straße gespannt ist. »Wir werben mit unserer Teilnahme dafür, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen mehr Unterstützung bekommen sollen.« »Menschen mit besonderen Bedürfnissen« sagt man im Englischen. »Menschen mit Behinderungen« nennt man sie in Deutschland.

Das ist Libanon dieser Tage – Vergnügen, Sport und Hilfsbereitschaft zeigen sich direkt neben Krieg und Zerstörung. Fast trotzig bewahrt Beirut sich seinen multikonfessionellen und multiethnischen Charakter, obwohl der durch den Krieg in Syrien täglich herausgefordert wird. Überall auf den Straßen Beiruts sitzen Frauen und Kinder aus Syrien und betteln. Mehr als eine Million Flüchtlinge hat der Zedernstaat von dort aufgenommen, doch nun bleiben die Grenzen geschlossen, weil das Land ökonomisch zu kollabieren droht.

Erst vor wenigen Tagen war das Aschura-Fest zu Ende gegangen, mit dem schiitische Muslime weltweit des Todes von Imam Hussein bei Kerbala im Jahre 680 gedenken. Als schiitischer Prediger, aber auch als Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, der »Partei Gottes«, mahnte Hassan Nasrallah zur Toleranz zwischen den Gläubigen. Es sei »ein großer Fehler«, den Krieg in Syrien als »konfessionellen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten« zu bezeichnen. Er sage »allen Schiiten in der Region, Sunniten sind nicht unsere Feinde. Es gibt keinen Krieg zwischen uns und den Sunniten.«

An die Sunniten gerichtet fuhr Nasrallah fort: »Schiiten führen keinen Krieg gegen euch. Wir alle, ihr und wir, befinden uns in einem Krieg gegen extremistische Gruppen wie den ›Islamischen Staat‹ in Irak und Syrien.« Dies sei ein Krieg gegen »Radikale, die jeden, der anders ist als sie selbst, zerstören wollten«, so Nasrallah weiter. Die Hisbollah stehe auch im Kampf gegen Israel, »nicht aber in einem gegen Sunniten«, wiederholte er.

Vor wenigen Tagen war es im Grenzgebiet zu Syrien und dessen von Israel besetzten Golanhöhen zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der islamisch-extremistischen Miliz Nusra-Front und der syrischen Armee gekommen. 26 Personen wurden getötet. Die Nusra-Front versuchte, ihre Verletzten nach Libanon zu bringen, was von den libanesischen Grenzposten verhindert wurde. Zwar ließen die Libanesen Rettungswagen und einen Arzt zu den Verletzten. Doch die Kämpfer in libanesischen Krankenhäusern zu behandeln, wie es in Israel geschieht, kommt für Libanon nicht in Frage.

»Wenn wir solche Kämpfer hier offiziell behandeln, könnten sie im Krankenhaus angegriffen oder ermordet werden«, unterstützt Marie Debs vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Libanons die Entscheidung. Sie beschuldigt Saudi-Arabien und die Türkei, radikale Kämpfer in Syrien zu unterstützen. »Natürlich tragen deren europäische und internationale Partner die gleiche Verantwortung für den Krieg, mit dem wir hier in der Region konfrontiert sind.« Saudi-Arabien treibt – wie auch andere Staaten der sogenannten Anti-IS-Koalition – ein doppeltes Spiel. Das Königshaus kündigte drei Milliarden Dollar für den Kauf von Waffen für die Libanesische Armee an, damit diese besser gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen soll. Das Geld geht an Frankreich, von wo die Waffen geliefert werden sollen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. November 2014

Karin Leukefeld

referiert beim 21. Friedenspolitischen Ratschlag am 6./7. Dezember in Kassel. Hier geht es zum Programm!




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