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Afrika in Den Haag

Der Westen sitzt zu Gericht über den "Schlächter von Monrovia" -- und revidiert die Geschichte des Kolonialismus

Von Gerd Schumann *

Der Prozeß gegen den »Schlächter von Monrovia« (Der Spiegel, 1/2008) geht am heutigen Montag in seine dritte Woche. Ausgelegt auf weitere 18 Monate, nachdem der ursprünglich vor einem halben Jahr geplante Auftakt wegen mangelhafter Vorbereitung mißglückte, ruft die Anklage seit dem 7. Januar ihre Zeugen in den Saal 2 des Haager Gerichtshofs. Vorgeworfen werden Charles Taylor, bis 2003 Staatspräsident von Liberia, die Bildung eines »joint criminal enterprise« (kriminelle Vereinigung). Der 59jährige habe in engem Zusammenspiel mit den Führern der Rebellenarmee RUF (Revolutionary United Front) in Sierra Leone zwischen 1991 und 2002 die Diamantenvorkommen im Nachbarland Liberias ausgeplündert und zudem für den Waffennachschub gesorgt.

Eigentlich hätte das Verfahren vor dem »Internationalen Sondergericht für Sierra Leone« (SCSL) in der Hauptstadt Freetown durchgeführt werden sollen. Doch zog dieses speziell für Taylor nach Den Haag, weil der westafrikanische Gerichtsort den UN-Verantwortlichen und insbesondere der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf als »unsicher« erschien. Zu hoch sei das Risiko eventueller Aufstände durch Anhänger des »immer noch einflußreichen Expräsidenten« (Die Zeit, 3/2008), wurde argumentiert und der Gefangene zum Internationalen Haager Strafgerichtshof verbracht. In Freetown und in der liberianischen Hauptstadt Monrovia wird das Verfahren nunmehr lediglich zeitversetzt aufgeführt --von Amts wegen verteilte Videobänder laufen über Bildschirme in Kneipen und Tankstellen.

Daß es je zu einem Verfahren gegen den Expräsidenten kommen würde, war nach dessen unter internationaler Vermittlung zustande gekommenem Rücktritt im August 2003 nicht absehbar: Ihm war »freies Geleit« zugesichert worden, die Regierung Nigerias versprach ihm »dauerhaftes Asyl« -- nur so kam letztlich ein Friedensvertrag der im Liberia-Konflikt verfeindeten Bürgerkriegsparteien zustande. Der 1997 gewählte Taylor konnte sich jedoch nur scheinbar in Sicherheit wiegen: Mitte März 2006 machte sich die --wie auch Taylor selbst -- in den USA ausgebildete Präsidentin Liberias bei ihrem Antrittsbesuch in Washington für eine Auslieferung ihres Vorgängers stark, was US-Präsident George W. Bush offensichtlich zu einer schnellen Intervention beim nigerianischen Kollegen Olusegun Obasanjo veranlaßte. Bereits Ende März 2006 ließ Nigeria Taylor verhaften und ausliefern.Nun soll das vor allem von den USA, Großbritannien, Kanada, aber auch von Deutschland und den Niederlanden finanzierte SCSL über Taylor urteilen. Ob ihm juristisch nachgewiesen werden kann, gemeinsam mit der RUF in Sierra Leone eine Rebellion angestiftet zu haben, um so in den Besitz der »Blutdiamanten« zu gelangen, gilt als unsicher. Die Anklage stützt sich weitgehend auf Zeugen, deren Glaubwürdigkeit schon im Vorfeld als zweifelhaft eingeschätzt wurde. Auch mutet es seltsam an, daß mit Stephen Rapp ausgerechnet ein US-Amerikaner das Anklägerteam führt -- und damit ein Vertreter jenes Landes, das den größten Anteil am Sturz Taylors im August 2003 hatte.

Mit dem Expräsidenten steht der erste afrikanische Staatschef überhaupt vor einem internationalen Gericht -- ein Umstand, der den US-Strafrechtler David Crane ins Schwärmen geraten läßt: »Die Herrschaft des Rechts wird sich als stärker erweisen als die Herrschaft der Gewehre«, zitiert ihn der Spiegel wohlwollend. Daß indes Wa­shington das größte Hindernis auf dem Weg zu einer -- wie immer verfaßten --»Weltgerichtsbarkeit« darstellt, erscheint marginal: Offenbar längst vergessen die Weigerung von George W. Bush, des Kriegstreibers Nummer eins, das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterzeichnen. Der Präsident entzieht so sich selbst wie seine -- übrigens auch in Westafrika tätigen -- Militärs der theoretischen Möglichkeit, wegen Verbrechen in Irak, Afghanistan, in Guantanamo, Abu Ghraib und Bagram je festgenommen zu werden.

Unbehelligt bleiben in dem Taylor-Verfahren, dessen »joint criminal enterprise« für einen grausamen Krieg gegen die Bevölkerung Sierra Leones verantwortlich gemacht wird, alle westlichen Drahtzieher. Dabei handelt es sich vor allem um die Waffen-, Diamanten- und Edelholzdealer als direkte Profiteure, aber auch um deren politische Sachwalter in verschiedenen Ländern Europas und in den USA. Insofern stellt das Verfahren zu Den Haag keinesfalls einen »ersten Schritt« zur Durchsetzung des Völkerrechts gegen Diktatorenwillkür dar, sondern steht für die anhaltende Dominanz des Neokolonialismus in der von ihm widerrechtlich beanspruchten »Einflußsphäre Dritte Welt«.

Als diesen Kurs unterstützend begleitendes Medium schreibt Der Spiegel derzeit fleißig Afrikas Historie als besetzter Kontinent um. Der weißen Herrschaft einen janusköpfigen Charakter zubilligend, präsentiert er den europäischen Kolonialismus als zivilisationsbringende Lichtgestalt und gewalttätigen Ausplünderer in einem. Indem das »Nachrichtenmagazin« die anhaltend nachwirkende koloniale Schuld an der afrikanischen Dauerkrise geschichtsrevisionistisch relativiert, schafft es zugleich die Voraussetzungen, Afrika selbst -- oder stellvertretend auch: deren Eliten -- für den Zustand des Kontinents alleinverantwortlich zu machen. Jüngstes Beispiel: »Der Schlächter von Monrovia«.

* Aus: junge Welt, 21. Januar 2008


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