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UN-Sondertribunal erklärt Taylor für schuldig

Liberias Exdiktator wegen Kriegsverbrechen verurteilt *

Leidschendam (Agenturen/nd). Das UN-Sondertribunal für Sierra Leone hat den früheren liberianischen Staatschef Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen während des Bürgerkrieges in dem westafrikanischen Land schuldig gesprochen. Taylor habe die Rebellen in Sierra Leone bewaffnet, um im Gegenzug sogenannte Blutdiamanten zu erhalten, urteilte das im niederländischen Leidschendam bei Den Haag ansässige Gericht am Donnerstag. Während des Bürgerkriegs in Sierra Leone wurden zwischen 1991 und 2001 wahrscheinlich 200 000 Menschen getötet. Die Kämpfe lösten eine große Fluchtwelle aus.

Das Gericht sei zweifelsfrei zu dem Schluss gekommen, dass der Angeklagte »strafrechtlich verantwortlich ist für Hilfe und Begünstigung« bei schweren Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten, erklärte Richter Richard Lussick aus Samoa. Der heute 64-jährige Taylor, der schon 1989 einen Bürgerkrieg in Liberia entfesselt hatte, als er mit einem Heer von Kindersoldaten einmarschierte und den damaligen Diktator Samuel Doe töten ließ, und der zwischen 1997 und 2003 Präsident in Monrovia war, habe »wesentlichen Einfluss« auf die blutrünstigen Rebellen der Revolutionären Vereinten Front (RUF) im Nachbarland gehabt. Mit ihrer Hilfe häufte Taylor nach Überzeugung des Gerichts auch Diamantenschätze an. Allerdings habe er die Rebellen im Gegensatz zu den Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft nicht vollständig kontrolliert.

Der Schuldspruch gegen Taylor war der erste eines internationalen Gerichts gegen einen ehemaligen Staatschef seit den Nürnberger Prozessen. Das Strafmaß gegen Taylor soll am 30. Mai verkündet werden. Ihm droht lebenslange Haft. Nach Angaben des Außenministeriums in London soll er seine Strafe in einem britischen Gefängnis verbüßen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 27. April 2012

Wie es andere sehen

Die Zustimmung zu dem Urteilsspruch aus den Haag ist in der hiesigen Presselandschaft fast vollständig. In der Presseschau des Deutschlandfunks (dradio.de) findet man ausnahmslos Jubelartikel. Ein paar Beispiele aus der internationalen Presse:

In der britischen TIMES ist etwa zu lesen:
"Taylor ist der erste ehemalige Staatschef eines Landes, der seit den Nürnberger Prozessen von einem internationalen Strafgerichtshof verurteilt worden ist. (...) Das von der UNO unterstützte Sondertribunal für Sierra Leone hat eine gewissenhafte Entscheidung getroffen. Der Richterspruch ist ein Signal an alle, die Menschenrechte verletzen und deren Macht nicht absolut sicher ist. Zwar kann das Urteil die Verbrechen an den Menschen in Sierra Leone nicht rückgängig machen, doch gibt es ihnen eine gewisse Genugtuung, dass selbst das Amt des Präsidenten einen Schuldigen nicht schützen kann".


Die spanische Zeitung EL MUNDO bezeichnet das Urteil als Sieg für alle:
"Fast fünf Jahre hat der Internationale Gerichtshof gebraucht, um Charles Taylor, der an tausenden Morden mitschuldig war, zu verurteilen. Die ganze Welt war in den 90er Jahren mit Entsetzen Zeuge eines Krieges, in dem oft von Kindersoldaten zusammengesetzte Milizen mit barbarischen Verstümmelungen und Vergewaltigungen ihren Willen aufzuzwingen versuchten. Das Urteil ist tatsächlich eine Warnung für jene Anführer, die den Fehler machen könnten, zu glauben, dass sie mit ihren Gräueltaten straffrei ausgehen werden".


In der portugiesischen Zeitung DIARIO DE NOTICIAS wird zudem ein hartes Strafmaß verlangt:
"Es muss der Grausamkeit der begangenen Verbrechen entsprechen. Außerdem muss deutlich werden, dass kein Land und keine Region sich dem internationalen Recht entziehen können. Die Richter in Den Haag haben gestern einen Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen - und zwar ohne Ausnahmen".


Ähnlich urteilt das kenianische BLatt DAILY NATION in ihrem Kommentar "Die Ära eines mörderischen Kriegsherrn ist vorbei":
"Das Strafmaß wird eine heilsame Lektion für alle Staatschefs in der Welt sein, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Zu lange wurden Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen. Das wird jetzt nicht mehr passieren. Die Ära der Straflosigkeit ist vorbei".


Die in Warschau erscheinende GAZETA WYBORCZA stößt in das selbe Horn:
"Tyrannen müssen sich heutzutage fürchten. Noch im 20. Jahrhundert konnten sie sich ihrer Herrschaft sicher sein - bis zum natürlichen oder durch eine Verschwörung herbeigeführten Tod. Falls sie durch einen Aufstand gestürzt wurden, fuhren sie ins sichere Ausland, wo sie ihr Vermögen rechtzeitig versteckt hatten. Der ugandische Diktator Idi Amin starb in Saudi-Arabien, der kongolesische Diktator Mobutu Sese Seko in Marokko. Im 21. Jahrhundert hingegen hängt das Damoklesschwert des Internationalen Strafgerichtshofs über jedem noch verbliebenen Tyrannen - es sei denn, dem Betroffenen gelingt es, sich die Unterstützung einer Großmacht zu sichern, die eine Ermittlung durch Den Haag blockieren kann".


Das liberale niederländische NRC HANDELSBLAD verteidigt zwar auch das Urteil, gibt aber ergänzend zu bedenken:
"In Afrika betrachtet man Tribunale, wie den Sondergerichtshof für Sierra Leone, manchmal als Hindernis auf dem Weg zum Frieden. Lieber Versöhnung als Gerechtigkeit, lautet das Argument. Ein Gedankengang, der nachzuvollziehen ist. Bei der Verfolgung von Staatsmännern müssen sich Mittel und Wege die Balance halten. Letztlich ist Aussöhnung jedoch nur möglich, wenn dem Recht Genüge getan wird. Geraten die Opfer unter dem Vorwand, dass politische Ruhe wichtiger ist, in Vergessenheit, dann rückt ein dauerhafter Friede in weite Ferne".


Stefan Klein kommentiert den Schuldspruch in der Süddeutschen Zeitung und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis als der Mainstream der Presselandschaft; Auszüge:
"Die 'Schweinehund-Theorie': Wenn Strafrechtler davon sprechen, dann meinen sie, dass es ein übel beleumdeter Angeklagter immer schwer hat, vor Gericht ungestraft davonzukommen. Er mag mit der Sache, die man ihm vorwirft, nichts zu tun haben, er mag so unschuldig sein wie ein frisch geborenes Baby, aber wenn er den Nachbarn als krummer Hund gilt, dem man schon immer alles Mögliche zugetraut hat, dann hat er wahrscheinlich auch bei den Richtern schlechte Karten.
(...)
Ob Taylor wirklich, wie behauptet, im benachbarten Sierra Leone eine besonders grausame Rebellenbewegung befehligt, finanziert, mit Waffen unterstützt und so unsägliches Leid über ein ganzes Land gebracht hat - es ist nicht wirklich klar geworden in diesem langen Verfahren. Zweifel sind geblieben, und Zweifel, das ist ein eherner Grundsatz, sollten sich immer zugunsten des Angeklagten auswirken. Somit hätte es durchaus Gründe gegeben für einen Freispruch. Doch das Sondergericht für Sierra Leone hat alle bisherigen Angeklagten für schuldig befunden und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Keiner kam unter zwanzig Jahren weg, und Taylor soll offenbar keine Ausnahme sein.
(...)
Die Anklage hat gesiegt, nicht in allen Punkten, aber es wird reichen, um Taylor auf lange Zeit in einer Zelle in einem britischen Gefängnis verschwinden zu lassen. Es ist der Platz, an dem einer landet, wenn er der Schweinehund ist."



Kriegsverbrecher

Von Olaf Standke **

Seit 2007 wurde in Den Haag gegen Charles Taylor verhandelt, schon vor einem Jahr sollte das von der sierra-leonischen Regierung und den Vereinten Nationen gemeinsam installierte Sondertribunal sein Urteil gegen den liberianischen Warlord und Ex-Diktator fällen. Gestern nun haben es die Richter verkündet: schuldig. In elf Punkten war der 64-Jährige beschuldigt worden, von Mord bis zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schon vor einem Jahrzehnt hatte ihm ein UN-Bericht den illegalen Handel mit Tropenholz und Blutdiamanten vorgeworfen. Angeklagt wurde Taylor dann aber nicht für seine Verantwortung in jenen zwei Bürgerkriegen, die er im heimatlichen Liberia angezettelt hat, sondern für die Unterstützung der brutalen Rebellentruppe »Revolutionäre Vereinigte Front« (RUF) im benachbarten Sierra Leone. Auch dort kostete der jahrelange bewaffnete Konflikt Hunderttausende Tote.

Taylor ist gestern als erster Ex-Staatschef seit den Nürnberger Prozessen von einem internationalen Tribunal für schuldig befunden worden. Bis zuletzt hat er alle Vorwürfe bestritten. Sein Anwalt spricht von einem »politisch motivierten« Prozess und »selektiver Verfolgung«, sein Mandant sei zur Zielscheibe für einige westliche Länder geworden. Freilich sind viele der ihm vorgeworfenen Gräueltaten belegt. Und doch bleiben Fragen, wenn man weiß, dass Taylor einst im Dienste jenes Landes stand, das ihn später besonders hartnäckig verfolgte: Seit den 1980er Jahren lief er an der Leine des USA-Auslandsgeheimdienstes CIA.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 27. April 2012


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