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Machtmonopol

USA gegen freie Wahlen in Libyen

Von Werner Pirker *

Die Frage, wer in aller Welt die USA dazu ermächtigt hat, den von Ghaddafis Sohn Saif Al-Islam gemachten Vorschlag zur Durchführung von international überwachten Wahlen in Libyen, zurückzuweisen, wird von den Meinungsmachern erst gar nicht gestellt. So selbstverständlich erscheint ihnen das von Washington beanspruchte Machtmonopol. Genau in diesem Geist entfaltet sich der Bombenterror über Libyen. Um der Menschenrechte und der Demokratie willen, heißt es. Und so kommt es, daß vorgeblich zum Schutz der von »Ghaddafi-Schergen« gepeinigten Zivilbevölkerung Tripolis in ein Trümmerfeld verwandelt wird. Weil andernfalls eine humanitäre Katastrophe drohe.

Libysche Regierung verhandlungsbereit - Demokratische Wahlen angeboten

Inmitten anhaltender NATO-Luftangriffe auf Tripolis hat die libysche Regierung am 16. Juni) Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Ministerpräsident Al-Baghdadi al-Mahmudi sagte in Tripolis, seine Regierung habe bereits einige vorbereitende Treffen mit dem Übergangsrat der Rebellen in Bengasi gehabt. Verhandlungen könnten im Ausland, beispielsweise in Ägypten, Tunesien und Norwegen, stattfinden.

Al-Mahmudi betonte, ein Rücktritt von Machthaber Muamma al Gaddafi sei für seine Regierung keine Option. "Wir werden nichts akzeptieren, was gegen ihn geht", sagte er. Auch eine Teilung des Landes sei inakzeptabel.

Gaddafis Sohn Seif al-Islam sagte der italienischen Zeitung "Corriere della Sera", sein Vater werde nicht ins Exil gehen, Wahlen unter internationaler Aufsicht könnten aber ein Ausweg sein. Als Wahlbeobachter würde Tripolis nach seinen Worten die EU, die Afrikanische Union, die UNO und "selbst die NATO" akzeptieren. Gaddafi würde im Falle einer Niederlage abtreten, eine Niederlage sei aber unwahrscheinlich. Er räumte aber ein, dass "das Regime meines Vaters, wie es sich seit 1969 entwickelte, tot ist".

Derartige Vorschläge aus dem Umfeld des libyschen Machthabers Muammar el Gaddafi kämen "ein bisschen spät", sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, in Washington. Sie forderte Gaddafi erneut zum Rückzug auf. "Es ist Zeit für ihn zu gehen", sagte die Sprecherin. Gaddafi sei mehr und mehr isoliert, seine Tage seien gezählt.

Nachrichtenagenturen dapd, AFP, 17. Juni 2011



Um die Katastrophe einer westlichen Katastrophenhilfe abzuwenden, hatte das Regime in Tripolis schon sehr früh eine friedliche Beilegung des Bürgerkrieges in Erwägung gezogen. Das kam für die Aufständischen zu keinem Zeitpunkt in Frage. Es könne keine andere Lösung als eine militärische geben, tönte es aus dem Rebellenhauptquartier, begleitet von zustimmenden Kommentaren aus den westlichen Hauptstädten. Die Ghaddafi-Gegner waren sich angesichts »ihrer« Luftüberlegenheit ihres Sieges stets sicher, und der Westen wußte die Entschlossenheit »seiner« Bodentruppen, keine andere als eine militärische Lösung zuzulassen, zu schätzen. Deshalb wurde der von Ghaddafi akzeptierte Chávez-Plan für ein Ende des Blutvergießens ungelesen abgelehnt – trotz heuchlerischer Beteuerungen, der Gewalt, die ausschließlich der Regierungsseite unterstellt wird, beenden zu wollen. Der rechtlich auf einem unter Vorwänden erschwindelten Mandat des Sicherheitsrates fußende Krieg gegen Libyen, hatte von Beginn an nur das Ziel, einen Regimewechsel zu erzwingen.

An einen demokratischen Umsturz dürfte dabei eher nicht gedacht sein. Anders ist die geradezu reflexhafte Ablehnung des jüngsten Angebots aus dem Ghaddafi-Lager nicht zu erklären. »Libyen wird freie Wahlen und Demokratie haben, aber die Familie Ghaddafi spielt dabei keine Rolle«, erklärte ein Rebellensprecher. Das heißt, daß es erst dann »freie Wahlen« geben soll, wenn es von den zwei Hauptlagern in der libyschen Gesellschaft eines nicht mehr gibt. Es ist das antiimperialistische Lager, das der Imperialismus und seine einheimischen Kostgänger auszumerzen gedenken. Daß Ghaddafi durch seinen Tanz mit dem imperialistischen Wolf den Stellenwert Libyens als unabhängiger, gegen die westliche Vorherrschaft positionierter Staat selbst herabgesetzt hatte und er das mit einem Verlust an Massenunterstützung bezahlen mußte, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Die Demokratie, die sie meinen, wäre somit eine »halbierte Demokratie«. Wobei noch offen ist, ob das Bündnis aus CIA-Agenten, Überläufern und versprengten Al-Qaida-Kadern den Erwartungen seiner Mentoren gerecht wird oder ob diese die Geister, die sie riefen, noch verfluchen werden.

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2011 (Kommentar)


Totschlagargumente

Von Roland Etzel **

Gaddafis Vorschlag, in Libyen Wahlen abzuhalten, ist aus dem Hause Clinton umgehend abgelehnt worden. Es klingt ja auch merkwürdig. Noch niemals während seiner über 40 Jahre dauernden Herrschaft hat Gaddafi wählen lassen. Jetzt, in äußerster Bedrängnis, entschließt er sich dazu. Allerdings: Auch der Königsherrschaft, der Gaddafi 1969 ein Ende bereitete und zu deren Insignien sich seine jetzigen Gegner offen bekennen, waren Wahlen fremd. Und, man wundert sich etwas: Die Gegenargumente der US-Außenministerin sind von ergreifender Schlichtheit. Clinton bezeichnet das Angebot Gaddafis als »ein bisschen spät«. Außerdem sei es für ihn »Zeit zu gehen«. Auf Libyens Offerte, selbst die NATO zur Wahlbeobachtung zu akzeptieren, ging das State Department gar nicht ein. Da hat ihm Gaddafi wohl unversehens einen Pfeil aus dem Köcher genommen. Dessen Tage seien gezählt, hieß es nur aus Washington.

Doch sie zählen nun schon recht lange und können den Eindruck nicht vermeiden, dass sie es zu einem Zählen der Stimmen für Gaddafi auf keinen Fall kommen lassen wollen. Alles, was die NATO auch gestern und die Nacht davor ins Feld führte, kam aus Bombenflugzeugen und enthielt – sehr wörtlich zu nehmen – nichts als Totschlagargumente. Dass sie damit im Interesse der libyschen Bevölkerung, gar der Mehrheit agiert, hat sie bisher nicht nachweisen können, und man ahnt, warum.

Man kann deshalb sehr leicht erklären, warum den kriegführenden NATO-Staaten der Gedanke, mit Gaddafi tatsächlich weiter koexistieren zu müssen, so unendliche Pein bereitet. Zu akzeptieren ist es gleichwohl nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2011 (Kommentar)


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