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AWACS-weiche Bundesregierung

Zusätzliche Soldaten für Afghanistan sollen westliches Bündnis in Libyen entlasten

Von Uwe Kalbe *

Die Bundesregierung hat am Mittwoch (23. März) beschlossen, Besatzungen für AWACS-Flugzeuge über Afghanistan einzusetzen, um die NATO-Verbündeten bei ihrem Kriegseinsatz in Libyen zu entlasten. Gleichzeitig wurden Schiffe vor der libyschen Küste aus dem NATO-Verband abgezogen. Heftiger Streit im Bundestag war die umgehende Folge.

Im Schatten des Kompetenzenstreits in der NATO zum Bombardement Libyens sucht die Bundesregierung eilig nach einem eigenen Ausweg. Zwar hält sie sich, was die Bombardierungen angeht, heraus. Am Mittwoch wurden darüber hinaus die Schiffe der Bundeswehr aus den NATO-Verbänden im Mittelmeer abgezogen und unter deutsches Kommando gestellt. Zugleich will die Bundesregierung keinen Zweifel an der Bündnistreue Deutschlands aufkommen lassen. Und während der NATO-Rat auch am Mittwoch noch keine klare Entscheidung über Zuständigkeiten und Ziele der Operation zu formulieren vermochte, die Angriffe auf Luftabbwehrstellungen sowie Ziele in Tripolis aber weiter fortgesetzt wurden, beschloss die Koalition in Berlin die Entsendung zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan. Sie sollen die AWACS-Aufklärungsbesatzungen über Afghanistan verstärken und auf diese Weise vor allem die USA für ihren Einsatz gegen Libyen entlasten, wie das Bundeskabinett am Mittwoch entschied.

Diese Entsendung macht ein neues Mandat des Bundestages nötig, das schon am Freitag beschlossen werden soll. Am Mittwoch kam es zur ersten erhitzten Debatte des Hohen Hauses. Dabei warfen SPD und Grüne der Koalition ein Vorgehen im Schweinsgalopp vor, wie der Vertreter der Sozialdemokraten Gernot Erler es formulierte. Er wies darauf hin, dass der Bundestag das AWACS-Mandat bereits 2009 erteilt hatte. Zum Einsatz kam es allerdings unter anderem wegen verweigerter Überflugrechte durch Aserbaidshan und Kirgisistan nicht. Inzwischen ist dieses Hindernis beseitigt, weil eine neue Route gefunden ist, die in der Türkei ihren Anfang nimmt. Im April läuft das Mandat jedoch aus und muss deshalb erneuert werden. Die Bundesregierung präsentiere der NATO in einer Geschenkpackung, was sie längst zugesagt habe, so Erler.

Kurzum: Die SPD plädiert, wie auch die Grünen, für eine unverfälschte Solidarität, einen offen bekennenden Einsatz gegen den libyschen Machthaber, keine »Mogelpackung«, wie Gernot Erler der Regierung vorwarf. Ein »Desaster der Passsivität« prangerte seinerseits Omid Nouripur an, der Vertreter der Grünen, der in der übereilten Entscheidung zu AWACS den Versuch der Regierung erkannte, den »deutschen Sonderweg« zu Libyen vergessen zu machen. Das habe mit einer »wertegebundenen Außenpolitik nichts zu tun«, so Nouripur. Ganz anders bewertete der Sprecher der Linkspartei Wolfgang Gehrcke den Sachverhalt, der wenigstens im Abzug der Schiffe vor Libyen eine vernünftige Maßnahme erkannte. Ein neues AWACS-Mandat diene allerdings der Ausweitung des Krieges in Afghanistan und sei nicht zustimmungsfähig. Nicht der kleinste Finger werde sich bei der LINKEN dafür rühren.

In seiner ersten Rede als Verteidigungsminister räumte Thomas de Maizière mit allen Illusionen auf. Der Abzug der Schiffe sei keine zusätzliche Abstinenz Deutschlands. Ihr Einsatz unter NATO-Kommando hätte den sofortigen Segen des Bundestages erfordert. Neuer Zank wäre damit programmiert. Aber natürlich, so beruhigte de Maizière alle Zweifler, würden deutsche Soldaten auch im Falle Libyens ihre Pflicht gegenüber der NATO erfüllen – in den Integrierten Kommandozentralen der Allianz.

* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2011


Verlagerung der Kräfte

Regierung zieht Marine aus Mittelmeer ab. Statt dessen AWACS über Afghanistan **

Die Bundesregierung hat auf ihrer Kabinettssitzung am Mittwoch die deutsche Beteiligung an AWACS-Aufklärungsflügen in Afghanistan auf den Weg gebracht. Unmittelbar danach wurde im Bundestag über den Einsatz beraten, der für die NATO auch ein Ausgleich für das deutsche Fernbleiben vom internationalen Militäreinsatz in Libyen sein soll. Die Entscheidung des Bundestages über das neue Mandat ist für Freitag (25. März) vorgesehen.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warben im Bundestag um Zustimmung zu der Militärmission. »Auch ohne die Entwicklung in Libyen wäre es sinnvoll und notwendig gewesen, den AWACS-Einsatz in Afghanistan zu beschließen«, sagte de Maizière. Allerdings hätte dann diese Entscheidung erst später angestanden. »Der AWACS-Einsatz ist militärisch notwendig«, sagte auch Westerwelle. Der Außenminister verteidigte zudem erneut die deutsche Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat zu Libyen: »Wir unterstützen die Ziele dieser Resolution, aber bei den Mitteln ist die Bundesregierung zu einer anderen Bewertung gekommen als die Mehrheit des Sicherheitsrats.«

Die Bundesregierung ordnete den Rückzug der deutsche Marine von NATO-Operationen im Mittelmeer an, damit die deutschen Soldaten sich nicht an einer Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen beteiligen müßten. Betroffen sind laut Verteidigungsministerium zwei Fregatten und zwei Boote mit insgesamt rund 550 Soldaten, außerdem bis zu 70 deutsche Soldaten, die an AWACS-Flügen der NATO beteiligt waren. De Maizière wies darauf hin, ohne diesen Rückzug hätte für den dann möglichen Kampfeinsatz ein Bundestagsmandat eingeholt werden müssen.

SPD und Grüne übten scharfe Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. Diese habe Deutschland mit ihrer Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat in die »politische Isolierung« geführt, sagte der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler. Mit dem jetzt beschlossenen AWACS-Einsatz wolle die Regierung nur »den deutschen Sonderweg zu Libyen« vergessen machen, sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour. Die Linke befürchtete wegen AWACS eine weitere Eskalation in Afghanistan. (AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 24. März 2011


Tauschgeschäft

Von Uwe Kalbe ***

Das politische Geschäft ist ein Tauschgeschäft. Keine Sache meist für moralische Sensibelchen. Umso bizarrer wirkt es, wenn Leute wie Joschka Fischer bekennen, sie schämten sich. Wegen der Bundesregierung, die Deutschland am Bombardement Libyens nicht beteiligen will. Fischer muss sich doch erinnert fühlen an die eigene Zeit als Außenminister. Als er gemeinsam mit Kanzler Schröder verkündete, Deutschland beteilige sich nicht am Krieg gegen Irak.

Die Kritik der Opposition zur Rechten war schrill, Scham spielte eine wichtige Rolle dabei. Doch auch wenn noch heute ab und zu vom »Friedenskanzler« die Rede ist, hat sich doch längst gezeigt, dass die deutsche Nichtbeteiligung keine Verweigerung war. BND-Beamte lieferten Koordinaten an die Bombardierer, Fuchs-Spürpanzer beteiligten sich etwas abseits, in Kuweit, am Kampf gegen das Böse. Deutsche US-Stützpunkte waren feste Glieder in der logistischen Kette des Krieges und deutsche Schiffe im Persischen Golf übernahmen Aufgaben zur Unterstützung der Angreifer.

Nun also AWACS-Flugzeuge für Afghanistan, in die deutsche Besatzungen klettern, damit ihre US-Kameraden Zeit für Libyen haben, in den NATO-Kommandozentralen beteiligen sich deutsche Militärs an der Planung des Einsatzes und amerikanische Stützpunkte werden eine wichtige Rolle für den Nachschub an Kampfkraft spielen. Der Krieg ist nichts Moralisches. Immer ist er auch ein Geschäft. Und zuweilen ein Tauschgeschäft.

*** Aus: Neues Deutschland, 24. März 2011 (Kommentar)


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