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Bundeswehr bereit für EU-Kampfgruppe

Panzerpioniere aus Gera marschfähig gemeldet / Westerwelle eiert um deutschen Einsatz herum

Von René Heilig *

»Wir wollen keine Kampfeinsätze mit deutschen Soldaten in Libyen unterstützen. Aber es geht auch natürlich darum, dass die Folgen dieses Krieges für die zivile Bevölkerung, für die Menschen gelindert werden müssen.« Außenminister Westerwelle (FDP) eiert herum, dabei hat Deutschland der EU bereits die Bereitschaft zum Einsatz deutscher Soldaten mitgeteilt.

»Bundeswehr trifft Klassik – Theater trifft Bundeswehr«. Mit Stolz kündigt der Kommandeur des Panzerpionierbataillons 701 in Gera, Oberstleutnant Kurt Danneberger, für Ende Mai eine »einzigartige Veranstaltung« an.

Ob Alexandra Spait diesen Rausch der Sinne genießen kann, ist fraglich. Möglicherweise ist sie zu diesem Termin in Libyen. Frau Spait, geboren im Harz, ist Oberleutnant und Kompaniechef in Dannebergers Truppe, die der EU für deren Battlegroup gemeldet ist. Die 1500 Soldaten starke, multinationale Einheit ist eine schnell verlegbare Kampftruppe, mit der die EU seit 2004 auch ihre militärische Weltgeltung unterstreichen will. Die wechselnden, modular zusammengesetzten Einheiten sind trainiert für humanitäre wie für friedenserzwingende Operationen. Letzteres heißt im Klartext: Krieg. Der ist nicht zu befürchten, glaubt man Außenminister Guido Westerwelle, der gestern (12. April) dem Deutschlandfunk ein entsprechendes Beschwichtigungsinterview gab. Es ging um unsere »humanitäre Verpflichtungen«, denen Deutschland »gerecht werden« will, um »zum Beispiel eine medizinische Versorgung sicherzustellen«.

Der Moderator ließ nichts unversucht, um Westerwelle Gründe für einen Militäreinsatz und wenigstens eine zarte Verlaufsskizze zu entlocken. Umsonst. Denn: »Bisher ist es allerdings so, dass eine militärische Begleitung von derartigen Hilfslieferungen ausdrücklich nicht gewünscht worden ist, und dementsprechend ist es noch zu früh, über Einzelheiten zu spekulieren«, sagte Westerwelle. Die UNO hätte »bisher ohne militärische Begleitung ihre humanitären Hilfslieferungen durchführen können, auch in Hafenstädte nach Libyen.«

Wozu dann Militär? Es gehe, so der FDP-Politiker »vom politischen Prinzip darum, dass die Europäische Union und damit auch wir Deutsche bereit sind, auch humanitär zu helfen, medizinische Versorgung, übrigens auch Flüchtlingsbetreuung, all das ist notwendig. Deutschland beteiligt sich nicht an einem Krieg in Libyen, aber wir sind natürlich bereit, die Folgen des Krieges für die Menschen mit zu lindern.«

Deutsche Militärs halten sich zurück, lassen Vorgänger Klartext sprechen. Der einstige Heeresinspekteur Helmut Willman sagt: Wenn die UNO bei der EU eine humanitäre Mission anfragt, könnte sich Deutschland nicht verweigern. Natürlich sieht Willmann »Risiken«, die sein ehemaliger Vorgesetzter, Ex-Generalinspekteur Harald Kujat, so beschreibt: »Wenn man Bodentruppen zum Schutz humanitärer Konvois einsetzt, dann ist es bloß noch ein kleiner Schritt, bis man tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt ist – und sei es zur Selbstverteidigung.

Bleibt zu hoffen, dass man in das Geraer Klassikkonzert nicht auch noch den dritten Satz aus Beethovens Klaviersonate Nr. 12 op. 26 aufnehmen muss. Er wird zumeist zu traurigen Anlässen gespielt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. April 2011


NATO-Streit: Wer bombt am besten?

Von Olaf Standke **

Trübe Aussichten für heutiges Treffen der Libyen-Kontaktgruppe Heute will sich in Doha erstmals die Libyen-Kontaktgruppe treffen. Sie soll die politischen Bemühungen zur Lösung des Konflikts leiten. Die Aussichten dafür allerdings sind trübe.

Ein Ergebnis der internationalen Libyen-Konferenz Ende März war die Installierung einer sogenannten Kontaktgruppe, die heute erstmals in der Hauptstadt Katars tagen will. Der Ölstaat am Golf gehörte zu jener »Koalition der Willigen«, die Luftangriffe gegen Gaddafis Truppen flog, bevor die NATO das militärische Kommando zur Durchsetzung der UN-Resolution 1973 übernahm.

Die in London vereinbarten Bemühungen der Kontaktgruppe zur politischen Lösung des Konflikts blieben bisher äußerst bescheiden. Wer sich daran beteiligen wird, war bis zuletzt offen. Die von Paris gewünschte Teilnahme libyscher Oppositionsvertreter am gestrigen Treffen der EU-Außenminister etwa stieß in diversen Mitgliedstaaten auf Widerstand. Frankreich bemühte sich auch, die Afrikanische Union einzubeziehen. Ihr Vermittlungsversuch ist gerade gescheitert.

Der von Gaddafi akzeptierte AU-Friedensplan, der Gespräche mit der Opposition einschließt, wurde nicht nur von den Aufständischen abgelehnt, sondern ebenso von den USA. Selbst ein Waffenstillstand sei nach NATO-Ansicht nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen möglich. Für den Nationalen Übergangsrat ist der Rücktritt Gaddafis wie seiner Söhne dabei unabdingbar. Auch Außenministerin Hillary Clinton will nur eine Lösung akzeptieren, »die den Abschied Gaddafis von der Macht bringt«.

Der soll nach Informationen der Tageszeitung »Al-Sharq Al-Awsat« dem Übergangsrat über Vermittler signalisiert haben, die Macht für eine Übergangszeit an seinen Sohn Saif al-Islam übergeben und selbst nur noch eine »symbolische Rolle« spielen zu wollen. Doch wie Ahmed al-Bani, ein Sprecher der Aufständischen, dem Nachrichtensender »Al Dschasira« sagte, gebe es »nur eine militärische Lösung«. Gaddafi verstehe allein diese Sprache. Wie der frühere Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) nach einer Libyen-Reise betonte, könne der Westen bei der Demokratisierung des Landes nicht auf die Rebellen zählen.

Nach Meinung des britischen Außenministers William Hague müsse der Militäreinsatz unter NATO-Führung jetzt verstärkt werden. Sein französischer Amtskollege ging gestern sogar noch einen Schritt weiter: Das Bündnis fliege nicht genügend Angriffe gegen die Regierungstruppen. Es werde zu wenig getan, um Gaddafis schwere Waffen zu zerstören, sagte Alain Juppé dem Radiosender France Info. »Die NATO wollte die militärische Führung der Operationen übernehmen, jetzt muss sie ihre Rolle spielen«, spielte er auf Frankreichs Widerstand gegen ein NATO-Kommando an. Der niederländische General Mark van Uhm wies den Vorwurf in Brüssel umgehend zurück Schließlich fliege man täglich 150 Einsätze, davon 40 Prozent Kampfeinsätze, und mache einen »Klassejob«.

Die EU wiederum bereitet einen Militäreinsatz von Soldaten zur Absicherung humanitärer Hilfe in Libyen vor, obwohl dies von den Vereinten Nationen derzeit nicht gewünscht wird. Die Lage ist also nicht nur in Libyen unübersichtlich, wie Schmidbauer betonte, der die Uneinigkeit in NATO und EU scharf kritisierte. Der ins Exil geflohene libysche Ex-Außenminister Mussa Kussa wollte vor dem Treffen der Kontaktgruppe Teilnehmern in Katar deshalb bessere »Einblicke« in die Lage verschaffen. Er hat in einem BBC-Interview davor gewarnt, dass Libyen ein »neues Somalia« werden könne – mit Bürgerkrieg und Teilung. Eine Lösung müsse von den Libyern selbst kommen – durch Diskussionen und demokratischen Dialog.

** Aus: Neues Deutschland, 13. April 2011


NATO soll mehr bomben

Von Rüdiger Göbel ***

Statt den Friedensplan der Afrikanischen Union für Libyen zu unterstützen, machen sich die NATO-Staaten Frankreich und Großbritannien für noch mehr Bombenangriffe stark. »Wir müssen in der NATO unsere Anstrengungen aufrechterhalten und verstärken«, proklamierte der britische Außenminister William Hague am Dienstag (12. April). Sein Land habe bereits weitere Kampfjets bereitgestellt zur Bombardierung von Bodenzielen. »Natürlich würden wir es begrüßen, wenn andere Länder das Gleiche tun«, so Hague. Beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg forderte der Brite laut dapd, die NATO »muß mehr machen«. Ziel: Der Sturz des libyschen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi.

Ins selbe Kriegshorn blies der franzöische Außenamtschef Alain Juppé. Die NATO müsse ihre »Rolle voll ausfüllen« und die schweren Waffen der libyschen Regierungstruppen ausschalten. »Die NATO wollte die militärische Führung des Einsatzes übernehmen, und wir haben das akzeptiert«, sagte Juppé im Radiosender France Info. Die Militärallianz müsse die Angriffe der Ghaddafi-Truppen mit schweren Waffen auf die Bevölkerung verhindern und Zivilisten schützen, was sie derzeit aber »nicht ausreichend« tue.

Auch die Medien üben sich in Manöverkritik. »An der Front in Libyen tut sich nicht viel, seit die NATO das Kommando übernommen hat, lamentierte etwa Spiegel online am Dienstag. Der niederländische ­NATO-General Mark Van Uhm konterte: »Wir machen einen guten Job.« Auch Italiens Außenminister Franco Frattini und Spaniens Staatsminister im Außenministerium, Diego López Garrido, lehnten eine Intensivierung des Bombardements ab.

Schon jetzt fliegt die Allianz 1000 Angriffe pro Woche gegen die Ghaddafi folgenden Truppen. Wen wundert es da, daß die Aufständischen in Bengasi sämtliche Friedensbemühungen in den Wind schlagen – zuletzt den Vermittlungsversuch der Afrikanischen Union am Montag. Bislang sei es nicht möglich gewesen, sich auf ein »Ende der Feindseligkeiten« zu einigen, erklärte die AU am Dienstag. Sie rief die Rebellen daher »dringend auf, vollständig zu kooperieren«, um eine dauerhafte politische Lösung für den Konflikt zu erreichen. Ein sofortiger Waffenstillstand sei entscheidend, hieß es in der Erklärung weiter.

Von europäischen Ländern werden die Aufständischen zum Kriegführen ermuntert. Die EU forciert den Aufbau einer eigenen Interventionsstreitmacht – offiziell zur »Absicherung humanitärer Hilfe in Libyen«. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, berieten EU-Diplomaten gestern über ein Einsatzkonzept für die sogenannten Battlegroups. Im Gespräch sei die Entsendung »mehrerer hundert Soldaten«. Laut dapd gibt es Überlegungen für eine Misrata-Mission, für die bis zu 2000 EU-Soldaten benötigt werden könnten. EU-Außenpolitik­chefin ­Catherine Ashton drängelte am Dienstag in einem Brief an die Vereinten Nationen, den »Hilfseinsatz« anzufordern.

Während Schweden einen EU-Beschluß blockiert, weil es einen humanitären Einsatz nicht mit einem militärischen Einsatz vermischen will, ist die Bundesregierung willens, deutsche Soldaten an der Intervention in dem nordafrikanischen Land zu beteiligen. Die Agentur dapd schwärmte geradezu: »Wenn die Anfrage der UN kommt, dann könnten auch deutsche Soldaten bald ihre Stiefel in den libyschen Sand setzen.«

Großbritanniens Außenminister Hague wiederum erklärte der Agentur zufolge­, derzeit sei »keine militärische Absicherung erforderlich«, um Hilfe zu leisten. Im Golf­emirat Katar will die selbsternannte Libyen-Kontaktgruppe am heutigen Mittwoch das weitere Vorgehen gegen das nord­afrikanische Land beraten.

* Aus: junge Welt, 13. April 2011


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