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Chaostruppe von Bengasi

Korrespondentenberichte über Zerstrittenheit der libyschen Rebellen

Von Rainer Rupp *

Übereinstimmenden Korrespondentenberichten zufolge zeichnen sich sowohl die politische als auch die militärische Führung der libyschen Rebellen durch Zerstrittenheit und Unfähigkeit aus. Frankreich und Italien haben dennoch die Rebellen als legitime Regierung des Landes anerkannt, Washington und London sind vorsichtiger. Sie schickten statt dessen ihre Geheimdienste, damit diese vor Ort die »guten« und »gemäßigten«, also die prowestlichen Kräfte identifizieren, um diese - so der ehemalige CIA-Sektionschef Michael Scheurer in einem CNN-Interview - anschließend mit gezielter Hilfe in die Führungspositionen der Opposition und ihrer Rebellenarmee zu hieven.

Derzeit werde die Führung der Rebellenarmee von zwei konkurrierenden Generälen beansprucht, berichtet die britische Tageszeitung Independent. Der eine sei General Abdel Fattah Younes, der sich vor nicht zu langer Zeit rühmte, Ghaddafis persönlicher Freund zu sein. Bis zu seinem Übertritt zu den Rebellen war er als Innenminister für die Umsetzung der Repressionspolitik des Ghaddafi-Regimes verantwortlich. Der andere sei der US-Import Khalifa Heftar, ein ehemaliger General der libyschen Armee, der erst vor kurzem aus seinem Exil in den USA zurückgekommen war. Danach habe er sich gleich zum Oberkommandierenden der Rebellenarmee ernannt. Daneben fungiere noch der ehemalige politische Gefangene Omar Al-Hariri als Verteidigungsminister, der eigenen Aussagen zufolge von militärischen Angelegenheiten keine Ahnung habe.

Als letzte Woche die politische Führung der Rebellen von der militärischen Führung Aufklärung über die zunehmenden Rückschläge an der Front verlangte, verweigerte Heftar laut dem russischen Nachrichtensender Russia Today die Zusammenarbeit mit Younes. Daraufhin sei Heftar von der selbsternannten provisorischen Regierung gefeuert worden. Den störte das aber nicht, denn laut Erklärung seines Sohns sei er weiterhin der militärische Oberbefehlshaber. Das gleiche Durcheinander herrsche an der Front, wo die fehlende Kommandostruktur und Koordination, aber auch die mangelnde Ausbildung vieler Kämpfer verheerende Folgen hat.

In vorderster Linie zeigen sich die konkurrierenden »Oberbefehlshaber« Heftar und Younes laut Independent jedoch nicht gern. Das sei gefährlich, nicht nur wegen der NATO-Bomben und der Ghaddafi-Armee, sondern wegen der viele ehemaligen Mudjaheddin in den Reihen der Rebellen. Die hätten bereits in Irak und Afghanistan gegen die Amerikaner gekämpft und seien weder auf »Ghaddafis Mann« Younes noch auf den »Amerikaner« Heftar gut zu sprechen. Als Younes sich am vergangenen Mittwoch doch einmal an der Front blicken ließ, soll er von einem schwer bewaffneten Team westlicher Bodyguards umgeben worden sein, das ihm einer der Interventionsstaaten zur Verfügung gestellt habe.

Dennoch versucht Younes, sich mit öffentlicher Kritik an der NATO als libyscher Nationalist zu profilieren. Medienwirksam erklärte er letzten Dienstag bei einer überfüllten Pressekonferenz: »Die NATO hat uns enttäuscht, sie ist zu unserem Problem geworden. Entweder tut die NATO ihren Job richtig oder wir werden den UN-Sicherheitsrat bitten, ihr Mandat aufzuheben«.

Die Kämpfer an der Front sehen das allerdingd anders. Gefragt von dem Independent-Korrespondenten, warum er mit seinen Kameraden nur vor Brega herumhänge, anstatt anzugreifen und die Stadt »zu befreien«, gab der 23 Jahre alte Aufständische Abdullah Yassin Ali zur Antwort: »Weil es gefährlich ist, wir könnten erschossen werden. Es ist die Aufgabe der NATO, die Stadt von Ghaddafi-Männern zu säubern.«

* Aus: junge Welt, 8. April 2011


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