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Pulverfaß Libyen

Ministerrücktritt nach Konflikt mit Milizen. Vormarsch der Islamisten

Von Karin Leukefeld *

Der libysche Verteidigungsminister Mohammed Al-Bargathi ist am Dienstag zurückgetreten. Bis Redaktionsschluß lag keine offizielle Stellungnahme von ihm vor, doch anonyme Regierungsquellen nannten den Konflikt zwischen Regierung und Milizen als Grund für Bargathis Rückzug. Seit mehr als einer Woche belagern Milizen in Tripoli u.a. das Außen- und das Verteidigungsministerium. Sie fordern, daß alle Personen, die unter dem ehemaligen libyschen Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi ein Amt hatten, entlassen werden müssen. Al-Bargathi war früher Kommandeur der libyschen Luftwaffe.

Erst am Sonntag hatten die Abgeordneten des Allgemeinen Nationalen Kongresses dem Druck der Kämpfer nachgegeben und ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Nur vier Abgeordnete trauten sich, dem Gesetz nicht zuzustimmen, knapp 30 waren gar nicht erst erschienen. 164 Abgeordnete winkten das Gesetz in einer vom staatlichen Fernsehen übertragenen Sitzung durch. Fortan soll jeder, der zwischen der Machtübernahme Ghaddafis am 1. September 1969 und seiner Ermordung im Oktober 2011 ein offizielles Amt hatte, für die nächsten zehn Jahre von Regierungsposten ausgeschlossen werden. Das Gesetz betrifft auch Parlamentspräsident Mohamed Megaryef und Ministerpräsident Ali Zeidan, die unter Ghaddafi im diplomatischen Dienst waren, sich später aber der »Opposition im Ausland« angeschlossen hatten. Auch der Vorsitzende der Allianz der Nationalen Kräfte, Mahmud Dschibril könnte sein Amt verlieren, er leitete früher den libyschen Wirtschaftsrat. Die Allianz, die bei den Wahlen im Juli 2012 die meisten Stimmen erzielt hatte, ist den konservativen Islamisten im Weg.

Eine Sonderkommission soll die Umsetzung des Gesetzes überwachen, das einen Monat nach der Abstimmung in Kraft treten soll. Neben Politikern und Botschaftern sollen auch Sicherheitsbeamte, Mitarbeiter der staatlichen libyschen Medien, Gewerkschaftsfunktionäre und Universitätsprofessoren ihre Arbeit verlieren, sollten sie bereits unter Ghaddafi das Amt innegehabt haben. Die Milizen haben inzwischen angekündigt, mindestens fünf Ministerien übernehmen zu wollen.

Die Milizen werden durch den Hohen Rat der libyschen Revolutionäre (Tuwwar) vertreten. Deren Vizepräsident Osama Kaabar zeigte sich mit dem »Entghaddafisierungs«-Gesetz zwar zufrieden, machte aber auch deutlich, daß die »Revolutionäre« entschlossen seien, Ministerpräsident Ali Zeidan zu stürzen. Der hatte sich bei den Milizen unbeliebt gemacht, weil er sie aus Tripoli verbannen will. Dabei weigerte sich Zeidan bisher, Polizei- und Sicherheitskräfte einzusetzen. Viele werfen ihm vor, nicht hart genug gegen die irregulären Kampfverbände durchzugreifen.

In den letzten 18 Monaten haben die Milizen jedes Ultimatum zur Abgabe der Waffen ignoriert. Milizverbände kontrollieren die Grenzen, die Gefängnisse und strategische Infrastruktur. Bezahlt werden sie von Regierungsbehörden, darüber hinaus kassieren sie durch Schmuggel und Erpressung.

Das Afrikamagazin Jeune Afrique bezeichnete Libyen im März als ein »Pulverfaß«. Ganze Regionen seien außer Kontrolle geraten, wird das Magazin im Onlineportal German Foreign Policy zitiert. Waffen würden offen und in großen Mengen verkauft. Stammesverbände, Großfamilien und Islamisten kämpften um die Macht. Noch nie habe Libyen seinen Nachbarn (Tunesien, Algerien, Niger, Sudan, Darfur, Ägypten) soviel Angst gemacht. Während des NATO-Krieges gegen Libyen waren Islamisten u.a. von Frankreich bewaffnet worden, gleichzeitig nutzten die Gotteskrieger das Chaos, um große Mengen Waffen beiseite zu schaffen. Ein schwunghafter Handel mit Waffen und Kämpfern entstand mit den Hintermännern der Aufständischen in Syrien. Während der Westen den Gotteskriegern in Syrien applaudiert, schickte Frankreich gegen deren Brüder in Mali die Armee ins Feld.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Mai 2013


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