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Mission erfüllt?

Libyen befindet sich knapp zwei Jahre nach dem Tod Muammar Al-Ghaddafis in Auflösung. Inzwischen ist das sogar der NATO aufgefallen

Von Tomasz Konicz *

Die massive militärische Unterstützung, die der Westen den Aufständischen im libyschen Bürgerkrieg 2011 angedeihen ließ, scheint sich zu einer kolossalen geopolitischen Fehlinvestition zu entwickeln. Auch mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der Aggression kommt das in Klanfehden und Machtkämpfen versunkene Land nicht zur Ruhe. Mittlerweile sind auch die vitalen Interessen der westlichen Mächte betroffen, da der Energiesektor zunehmend zum Objekt der Auseinandersetzungen wird.

Laut einer Studie der Nachrichtenagentur Bloomberg ist die Rohölproduktion Libyens im Juni um 16 Prozent gegenüber dem Vormonat gefallen, womit sie den niedrigsten Wert »seit vergangenem Januar« erreicht habe. Es sehe momentan »düster aus für Libyen«, es gebe »Kämpfe« im Land, die zu einer »sinkenden Förderleistung« führten. Die Unruhen, die immer wieder die Ölproduktion behinderten, seien auf die Spannungen zwischen dem Landeswesten mit der Hauptstadt Tripolis und dem ölreichen Osten zurückzuführen, wo lokale Gruppierungen einen »größeren Anteil an den Öleinnahmen für die Region« beanspruchen würden. »Libyens Ölindustrie ist der Fußball, denn alle Gruppen und Protagonisten treten wollen«, erklärte ein Unternehmensberater gegenüber Bloomberg.

Anfang Juli haben laut Reuters bewaffnete Gruppierungen beispielsweise die wichtigen libyschen Ölhäfen in Ras Lanuf und in Es Sider besetzt, um die Zahlung »ausstehender Gehälter« zu erzwingen. Dies sei nur der jüngste Vorfall in einer Reihe von Störungen, die die Rückkehr der libyschen Förderleistung auf Vorkriegsniveau verhinderten. Im Juni etwa wurde der Betrieb auf etlichen Ölfeldern eingestellt, da »zunehmende Unruhen durch Arbeiter« zu konstatieren seien, wie die Internationale Energieagentur am vergangenen Donnerstag meldete. Aufgrund der »anhaltenden neuerlichen Unruhen und Kämpfe in Libyen« hatte der österreichische Konzern OMV am Dienstag sogar angekündigt, seine Ölförderung in dem Land vorerst einzustellen. Auf den Schutz der libyschen »Sicherheitskräfte« können die westlichen Unternehmen derzeit auch kaum bauen. Der in Auflösung befindliche libysche Staatsapparat vermag es kaum, die eigenen Einrichtungen wirksam vor marodierenden Banden und Milizen zu schützen. Am Mittwoch meldete etwa Reuters, daß die libysche Regierung endlich wieder ihr Innenministerium kontrolliere, nachdem die »bewaffnete Gruppe« abgezogen sei, die es rund eine Woche besetzt hielt. Zumeist geht es bei diesen Besetzungen um die Zahlung von Lösegeldern, die von den Milizionären und Bürgerkriegsveteranen als Sold oder Veteranenrenten bezeichnet werden. Milizen, die nicht in den Sicherheitsapparat integriert wurden, stellen in Libyen einen permanenten Unruheherd dar.

Den fortschreitenden staatlichen Zerfall in Libyen mußte inzwischen auch eine NATO-Delegation nach einer längeren Libyenreise konstatieren: Die Lage sei derzeit »fragil und unhaltbar«, Armee und Polizei seien »nicht in der Lage, die Sicherheit für das Land zu garantieren«, hieß es in dem abschließenden Bericht, aus dem Spiegel online am 7. Juli zitierte. In Libyen befinde sich nun »das weltweit größte ungesicherte Arsenal von Waffen«. Der staatliche Zusammenbruch habe es »kriminellen und anderen bewaffneten Gruppen einschließlich transnationalen Dschihadisten-Netzwerken erlaubt, Libyen als Basis oder Transit für militärische Aktivitäten zu nutzen«, warnte die Delegation. Doch was passiert mit diesen Waffenbergen? Schon am 5. Juli forderte Rußland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, Berichte über illegale Lieferungen libyscher Waffen an syrische Aufständische zu untersuchen. Sollten sich diese als zutreffend erweisen, würde es sich um eine »grobe Verletzung« des gegen Libyen verhängten Waffenembargos handeln, hieß es in einer Erklärung des russischen Außenministeriums.

* Aus: junge Welt, Montag, 15. Juli 2013


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