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Ghaddafis Freunde

Hintergrund. Deutsche Unternehmen rüsteten das libysche Regime unter Muammar Al-Ghaddafi mit Wissen der Bundesregierung seit Jahren auf. Giftgas inbegriffen

Von Winfried Wolf *

Es gibt sicherlich unterschiedliche, teils widersprüchliche Motive dafür, warum die deutsche Regierung eine Beteiligung der Bundeswehr an der Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen ablehnte. Und es gibt gute Gründe dafür, die massiven Militärschläge, die Kampfflugzeuge aus NATO-Staaten, darunter vor allem französische, britische und US-amerikanische, gegen libysche Stellungen führten, auf Basis einer grundsätzlichen antiimperialistischen Haltung abzulehnen und davon auszugehen, daß sich dahinter andere Ziele als der Schutz der Zivilbevölkerung verbergen.

Es gab allerdings, selbst aus dem Blickwinkel der Bundesregierung, unterhalb der Schwelle eines militärischen Eingreifens von NATO-Staaten eine Reihe politischer und wirtschaftlicher Optionen wie die Anerkennung des »Libyschen Nationalrats«, die materielle Unterstützung desselben und die Befürwortung und Beförderung einer militärischen Unterstützungsaktion für die Gegenregierung in Bengasi durch Verbände aus Ländern der Arabischen Liga. Ägypten hat in den letzten Tagen vor dem westlichen Eingreifen damit begonnen, an die Gegenregierung in Bengasi Waffen zu liefern. Die Berliner Regierung lehnte alle diese Maßnahmen ab, einige davon wurden nicht einmal erwogen.

Eine Woche vor Beginn der Bombardements erklärte der deutsche Außenminister, Guido Westerwelle, es gelte nun, »mit beiden Seiten (zu) reden«. Einen Tag bevor der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig – bei Enthaltungen unter anderem von Rußland, China und Deutschland – den Beschluß gefaßt hatte, eine militärische Aktion der sogenannten Staatengemeinschaft zuzulassen, lobte Muammar Al-Ghaddafi die Position der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als »libyenfreundlich«.

Das Interessengeflecht, das zur militärischen Intervention des Westens führte, muß noch entwirrt werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei italienische, deutsche, russische und andere Öl- und Gasinteressen in der Endphase des Ölzeitalters. Auf diesem Gebiet gab es in den Wochen seit Beginn der arabischen Revolte wichtige neue Entwicklungen, die zur Aufhellung der Lage beitragen können (siehe Kasten).

Ein Grund für die erstaunlich »neutrale« deutsche Position mag in der weitreichenden und sehr spezifischen Verwicklung deutscher – insbesondere schwarz-gelb geführter – Regierungen und deutscher Unternehmen – auch solcher unter staatlicher Kontrolle – bei der Aufrüstung und militärischen Unterstützung des Regimes von Muammar Al-Ghaddafi zu suchen sein.

Giftgasprojekt in Rabta

August 1988, Frankfurt am Main. Eine etwa 40jährige Frau meldet sich bei Jakob Moneta, dem ehemaligen Chefredakteur der IG-Metall-Zeitung metall, und mir, dem damaligen verantwortlichen Redakteur der Sozialistischen Zeitung/SoZ, und stellt sich als Sekretärin des Unternehmens IBI (Ihsan Barbouti International) vor. Sie erklärt und belegt mit Dokumenten, daß deutsche Unternehmen mit Wissen der Bundesregierung in Rabta, Libyen, eine Fabrik zur Herstellung von Giftgas (Senfgas und Tabun) bauen. IBI habe, so die Frau, bis vor kurzem bei dem Projekt die Funktion einer Koordinationsstelle gehabt. Uns erschienen die Angaben zunächst abenteuerlich, zumal die IBI-Sekretärin auch von einer antiisraelischen Zielrichtung der Aufrüstung sprach. Warum, so unsere Überlegung, sollte die Regierung unter Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) ein Rüstungsprojekt dieser Art unterstützen oder dulden? Schließlich vermittelten wir einen Kontakt zum Magazin Stern. Die Hamburger Zeitschrift zögerte wochenlang mit einer Veröffentlichung. Dann erschien am 1. Januar 1989 in der New York Times ein groß aufgemachter Artikel zum libysch-deutschen Giftgasprojekt, verfaßt von William Safire, mit der Überschrift »Auschwitz in the Sand«. Nun griff auch der Stern das Thema auf. In den Monaten Februar und März 1989 entwickelte sich daraus ein heftiger Konflikt zwischen Bonn und Washington. Nach wochenlangem Leugnen– der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble warnte wiederholt vor »voreiligen Verurteilungen« – mußte die Regierung Kohl ihre tiefe Verstrickung in das C-Waffenengagement des Oberst Ghaddafi eingestehen. Es ergab sich das folgende Bild: In Rabta wurde seit Anfang der 1980er Jahre ein großer Chemiekomplex (»Technology Center«) gebaut – äußerlich ein ziviles Projekt. Am Rande der Anlage und streng abgeschirmt von dieser entstand eine Fabrik zur Herstellung chemischer Kampfstoffe. Die Ausrüstungen für diese Anlage wurden überwiegend von dem Unternehmen Imhausen-Chemie mit Sitz in Lahr, Schwarzwald, geliefert.

Im März 2011 tauchte Rabta in deutschen und internationalen Medien noch einmal auf. Berichtet wurde, daß die libysche Regierung noch über 8,8 Tonnen Senfgas aus der damaligen Giftgasproduktion verfügt. Doch das Projekt wurde nur mit dem Tenor erwähnt, ein paar raffgierige deutsche »Krämer des Todes« hätten an Ghaddafi eine C-Waffen-Fabrik geliefert. In vergleichbarer Weise wurde das Thema in der Sendung des ARD-Magazins »Monitor« am 10. März 2011 präsentiert. Die Tatsache, daß die Sendung kam, war verdienstvoll, doch die Story ist erheblich verkürzt.[1]

Die entscheidende Geschichte hinter der Geschichte taucht nicht auf. Die Mittelstandsfirma Imhausen wäre allein nie in der Lage gewesen, das gewaltige Rabta-Geschäft zu stemmen. Tatsächlich stammten die Pläne für das »Chemie-Werk« von der Salzgitter Industriebau GmbH (SIG). Deren Muttergesellschaft, die Salzgitter AG, war eine hundertprozentige Tochter des Bundes. Um eine Verwicklung des bundeseigenen Konzerns in das Giftgasprojekt in Libyen zu vertuschen, wurde das Rabta-Projekt gedoubelt; man erfand ein Projekt gleichen Namens (»Pharma 150«) in Hongkong. Formal lieferte die SIG jahrelang Pläne und Ausrüstungsbestandteile an »Pharma 150« in Hongkong. Tatsächlich gab es dort nur eine Briefkastenfirma mit einem 50-Quadratmeter-Büro. Die Salzgitter AG mußte schließlich eingestehen, daß der Staatskonzern seit 1985 Informationen über den tatsächlichen Ort der Anlage hatte. Andere deutsche Großunternehmen, darunter die – ebenfalls staatliche – Preussag AG und der Stahlkonzern Thyssen waren am Bau der C-Waffen-Fabrik beteiligt.

Es kam noch toller: Im Rahmen der Aufdeckung des Giftgasprojektes wurde bekannt, daß zur gleichen Zeit, als die Giftgasfabrik gebaut wurde, eine in Bayern ansässige Firma namens Intec den Umbau von libyschen Herkules-Transportflugzeugen zu Tankflugzeugen organisierte. Dadurch wurden diese in die Lage versetzt, libysche Mirage- und MiG-23-Jagdbomber in der Luft zu betanken. Damit hätten sie, bestückt mit Giftgasbomben, Israel erreichen können. Giftgas und Jagdbomber mit Langstreckenkapazität in der Verfügung des Ghaddafi-Regimes waren die Grundlage für heftige Proteste der israelischen Regierung an die Adresse der Bonner Regierung.

Großaufträge aus Tripolis

Es handelte sich bei dem Rabta-Projekt eindeutig nicht um ein rein kommerzielles Geschäft. Die Bundesregierung war seit 1985 detailliert – unter anderem durch Berichte des Bundesnachrichtendienstes (BND), der selbst intimer Kenner der Vorgänge war und sich mit diesen Berichten rückversichern wollte – über das Entstehen der C-Waffen-Fabrik in Libyen informiert.

Nachdem der Skandal publik wurde, ließ die Bundesregierung es zu, daß der größte Teil der Firmenunterlagen von Imhausen-Chemie und IBI ins Ausland verbracht wurden.[2] Niemand im Salzgitter-Konzern wurde belangt. Der Firmenchef von Imhausen-Chemie, Jürgen Hippenstiel-Imhausen, wurde zu einer lächerlichen Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt, von der er nur einen Teil absitzen mußte. Auf den Einzug seiner Gewinne aus dem Giftgasdeal, rund 60 Millionen DM, hatte das Gericht großzügig verzichtet. Im übrigen gab es im direkten Anschluß an die Enthüllung des Geschäfts ein Projekt vergleichbarer Art – erneut ging es um den Bau einer Giftgasfabrik durch deutsche Unternehmen, erneut erfolgte dies mit Kenntnis der Bundesregierung, erneut wurde dies sehr spät, erst 1996, aufgedeckt und mußte danach liquidiert werden.[3]

Zurück zum Jahr 1989. Die Affäre entwickelte sich zu einer ernsten Krise der schwarz-gelben Bonner Regierung. US-Kriegsschiffe, darunter der Flugzeugträger Roosevelt, fuhren vor der libyschen Küste auf; zwei libysche Kampfflugzeuge wurden durch US-Militär abgeschossen. Es drohte das Bombardement der Anlage in Rabta. Die Bonner Regierung hätte ersichtlich am Pranger gestanden.

Dann kam im doppelten Sinn die Wende. Die Ereignisse in der DDR, in Mittel- und Osteuropa spitzten sich zu. Libyen verschwand von der politischen Tagesordnung. Im Verlauf der nächsten Jahre verstärkte sich die Abhängigkeit des Westens vom Öl. 2003 strich die US-Regierung Libyen von der Liste der terroristischen Staaten. Die UNO hob ein – ohnehin löchriges – Waffen­embargo gegen das Land auf.

Nun begann ein Wettlauf um die Gunst von Ghaddafi und seiner Familie – und ein massives Aufrüsten des libyschen Regimes. Anteil daran hatten vor allem deutsche und britische Kräfte. 2005 tauchten in Tripolis 30 ehemalige deutsche Polizisten von den Sondereinsatzkommandos GSG-9 und SEK auf, um – natürlich rein privat – Ghaddafis Spezialeinheiten zu schulen. Sie konnten dabei an eine Tradition anknüpfen: Bereits 1978 hatte sich in Tripolis der ehemalige BND-Major Hans Dieter Raethjen mit einigen anderen deutsche Spezialisten niedergelassen. Das Team bildete dann bis 1984 Spezialeinheiten Ghaddafis in moderner Kampftechnik aus.

2007 erhielt der französisch-deutsche Rüstungskonzern EADS aus Libyen einen Großauftrag in Höhe von 168 Millionen Euro. Geliefert wurden panzerbrechende Raketen. Zwischen 2008 und 2009 erhöhte die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel den Genehmigungswert deutscher Rüstungstransfers an Libyen auf das Dreizehnfache.[4]

Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), erklärte am 4. März: »In der Amtszeit von Kanzlerin Merkel genehmigte die Bundesregierung die Lieferung militärischer Geländewagen, Hubschrauber, Kommunikationstechnik und Störsender. Wenn die Demokratiebewegung in Tripolis unterdrückt wird und Menschen aus Libyen fliehen müssen, dann trifft die Bundesregierung Mitschuld.«[5]

Der in München lebende Ghaddafi-Sohn Saif hatte sich 2010 als Waffenschmuggler betätigt. Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wurde Anfang 2011 wieder eingestellt. Münchens Polizeichef führte zur Abrundung des Vorgangs mit Saif Ghaddafi – ein freundschaftliches Gespräch in einem Münchner Luxushotel.

Pulverfaß aufgefüllt

Die deutsch-libysche militärische Zusammenarbeit wird ergänzt um die zwischen Tripolis und anderen NATO-Staaten. 2009 erklärte das britische Außenministerium, es existiere »eine ständige Zusammenarbeit mit Libyen auf dem Gebiet der Verteidigung«. Inzwischen hatten britische Soldaten der Sondereinheit SAS (Special Air Service) die Ausbildung der »Brigade 32« übernommen, die von Khamis Al-Ghaddafi kommandiert wird und im März 2011 die Angriffe auf die Stellungen des Libyschen Nationalrats führte. General Dynamics, der US-amerikanische Rüstungskonzern, verkaufte 2008 über seine britische Tochter Kommunikationstechnologie im Wert von 166 Millionen US-Dollar an die Eliteeinheiten Ghaddafis. Das machte insofern Sinn, als General Dynamics seit 2004 die britischen Streitkräfte mit dem Kommunikationssystem »Bowman« ausrüstet, das verschlüsselte digitale Funksignale und GPS-Signale verwendet und, so die Eigenwerbung, »die vernetzte Kommunikation von Truppenteilen auf dem Gefechtsfeld ermöglicht«. Im übrigen, so heißt es weiter in der Unternehmenswerbung, sei das System von den britischen Streitkräften 2005 »im Irak erfolgreich eingesetzt« worden. Das belgische Rüstungsunternehmen FN Herstal lieferte an Libyen Schußwaffen und Munition, der französische Flugzeugbauer Dassault modernisierte veraltete libysche Mirage-Jäger.

Nach Schätzung des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Sipri) konnte Ghaddafi im Zeitraum 2003 bis 2008 rund 4,4 Milliarden US-Dollar für neue Waffeneinkäufe ausgeben. Zusammen mit Rüstungskäufen in den Jahren 2009 und 2010 dürften sich alle neueren Rüstungskäufe Libyens auf sechs bis acht Milliarden US-Dollar addieren.

Gemessen an den sonstigen Rüstungseinkäufen in dieser Region handelt es sich dabei allerdings um einen eher bescheidenen Betrag. Saudi-Arabien, das Land mit dem höchsten Rüstungsetat in der arabischen Region, gab allein im Jahr 2009 rund 41 Milliarden US-Dollar für Rüstungseinkäufe aus. In ganz Nordafrika lagen die Rüstungsausgaben – Importe bei den wenigen großen Rüstungsexporteuren des Westens und in Rußland – im Jahr 2000 bei 5,1 Milliarden US-Dollar. Sie verdoppelten sich bis 2009/2010. Im Nahen Osten lagen sie im Jahr 2000 bei 70 Milliarden US-Dollar. Seither stiegen sie auf (in den Jahren 2006 bis 2010) 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Sipri spricht davon, daß in dieser Region ein »Pulverfaß aufgefüllt« werde.

»Anspruchsvolle Produkte«

Im Jahr 2009 fand in Libyen die Rüstungsmesse Lavex statt. Es handelt sich um eine Messe, die einen – zunächst bescheidenen – Gegenpol zu der Waffenmesse Idex in Abu Dhabi darstellen soll. Die Idex gilt als »eine der größten Leistungsschauen der Branche«. EADS ist traditionell auf der Idex und war auch auf der Lavex vertreten. Auf der libyschen Lavex wurde 2009 der EADS-Kampfhubschrauber Tiger präsentiert. Der französisch-deutsche Rüstungskonzern berichtete noch in Tripolis von »neuen erfolgreichen Vertragsabschlüssen«.

Der damalige Verwaltungsratschef von EADS erklärte im März 2009 die Geschäftsphilosophie des Rüstungskonzerns mit Worten, die auch für das Verhältnis der deutschen Bundesregierung zum Regime in Tripolis charakteristisch sind: »Deutschland ist als Exportland erfolgreich. Und Export machen wir nicht mit Bratpfannen und Fahrrädern, sondern mit anspruchsvollen Produkten und Höchsttechnologie.« Diese Sätze sprach Rüdiger Grube, der heutige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG. Er stand damals an der Spitze des EADS-Verwaltungsrats und vertrat zugleich den EADS-Großaktionär Daimler.[6]

Anmerkungen
  1. Dort hieß es: »1989 – Satellitenaufnahmen zeigen eine komplette Giftgasfabrik in der libyschen Wüste – Rabta – hergestellt und aufgebaut von Deutschen. Damals schlug die US-Regierung Alarm, in der Regierung Kohl rollten Köpfe. Die Giftgasfabrik hat das Massenvernichtungsmittel Senfgas produziert. Und 8,8 Tonnen dieses Giftgases sind immer noch da. Das bestätigten MONITOR heute die Vereinten Nationen.« (Manuskript; Monitor-Sendung vom 10. März 2011.)
  2. Der Rabta-Skandal wurde von mir noch im März 1989 in dem Buch »Händler des Todes. Bundesdeutsche Rüstungs- und Giftgasexporte im Golfkrieg und nach Libyen«, zusammengefaßt (Frankfurt am Main, ISP-Verlag 1989; Mitherausgeber waren die Buko-Kampagne »Stoppt den Rüstungsexport«, medico international und die Sozialistische Zeitung/SoZ).
  3. Sechs Jahre später, 1996, flog das Projekt einer neuen Giftgasfabrik in Libyen, die in vielen Bereichen wie eine Kopie von Rabta wirkte, auf. Im Zentrum stand der Unternehmer Berge Balanian und die beiden Firmen IDS und CSS in Mönchengladbach. Erneut waren aus Deutschland Anlagen für eine Giftgasfabrik im Wert von mehreren Millionen DM nach Libyen exportiert worden. Erneut wurde dokumentiert, daß der BND die Bundesregierung mehr als fünf Jahre lang über die geheimen Aktivitäten informiert hatte, ohne daß eingegriffen wurde. Balanian konnte sich dem Zugriff der Justiz entziehen – durch Flucht nach Libyen. Nach: Focus, 35/1996.
  4. Es handelt sich dabei um Rüstungsgüter, die direkt aus deutscher Fertigung nach Libyen gingen. Der größte Teil deutscher Rüstungslieferungen an Libyen wurde jedoch über Lizenzfertigungen im Ausland oder über EADS-Werke in Frankreich und Spanien geliefert, was den Charme hat, daß diese Lieferungen in der Statistik deutscher Rüstungsexporte nicht auftauchen.
  5. Pressemitteilung von DFG-VK, der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL) und dem Rüstungsinformationsbüro (RIB) vom 4. März 2011.
  6. Nach: Süddeutsche Zeitung vom 23. März 2009. Grube gab das Interview wenige Wochen bevor er zum Chef der Deutschen Bahn berufen wurde.

Öl & Gas

Deutschland bezog vor der Zuspitzung der Krise sieben Prozent seiner Öllieferungen aus Libyen. In Deutschland gibt es rund 400 Tankstellen, die von der libyschen staatlichen Fondsgesellschaft Oilinvest und von der – von dieser kontrollierten– Holborn Investment Company Limited mit Sitz auf Zypern beherrscht werden. Die Tankstellen werden in der Regel unter der Marke Tamoil und HEM betrieben. Europaweit verfügt Libyen über rund 3500 Tankstellen und über drei Raffinerien.

In Libyen sind vor allem die deutschen Energiekonzerne RWE und Wintershall, letzterer eine Tochter von BASF, mit eigenen Förderungsstätten präsent. Andere wichtige Energiekonzerne vor Ort sind ENI (Italien), Repsol (Spanien) und OMV (Österreich). An ENI ist Libyen direkt beteiligt (offiziell mit 0,5 %).

Am 16. Februar 2011, zu dem Zeitpunkt, als die erste Welle der Protestbewegung gegen die Regierung in Tripolis zu verzeichnen war, wurde in Libyen ein strategisches Energiegeschäft abgeschlossen, an dem Libyen, Rußland und Italien beteiligt sind. Gegründet wurde ein Joint Venture mit den beiden Konzernen Gazprom (Rußland) und ENI (Italien). Diesem wurden 33 Prozent des Fördervolumens des sehr großen Ölvorkommens »Elefantenfeld«, 800 km südlich von Tripolis, zugesprochen. Im diesem Zusammenhang wurde bekanntgegeben, daß ENI an der Gasförderung in Sibirien in großem Maßstab beteiligt werde. Gazprom und ENI arbeiten seit längerer Zeit bei der Förderung libyscher Vorkommen eng zusammen, u.a. im Fall der Ölförderung in der libyschen Wüste (»Block 19«) und bei einer Offshore-Konzession im Mittelmeer. Italien bezog zu Beginn der Krise 50 Prozent seiner Öl- und Gasimporte aus Libyen. Als diese aufgrund der Revolten massiv reduziert wurden und ENI seine Gasförderung in Libyen schließlich einstellen mußte, erhöhte Rußland die täglichen Gaslieferungen an Italien um 50 Prozent. Eine ebenso verwickelte wie interessante Angelegenheit sind die Pipelines.

Seit 2004 existiert eine Gaspipeline mit Namen Greenstream, die mit zwei Zweigen aus der libyschen Wüste (Ausgangspunkte Wafa und Sabha) über Tripolis und Bah Essalam durch das Mittelmeer bis Gela auf Sizilien führt. Betreiber sind – mit jeweils 50 Prozent Beteiligung – ENI und die libysche Ölgesellschaft NOC.

Bereits 2012 soll die Gaspipeline Nord Stream fertiggestellt sein. Sie führt vom russischen Vyborg durch die Ostsee bis nach Saßnitz. Die Betreibergesellschaften sind Gazprom (51 %), E.on und Wintershall (jeweils 15,5 %), GDF (Frankreich; 9 %) und Gasuni (Niederlande; 9 %). Die mit Nord Stream konkurrierende Pipeline Nabucco führt vom Kaspischen Meer durch die Türkei bis nach Wien. Mit ihr wird Rußland bewußt umgangen. Nabucco befindet sich im Planungsstadium. Betreiber sind RWE, OMV, MOL (Ungarn), EAD (Bulgarien), S.N.T.G.N. (Rumänien) und Botas (Türkei) – alle jeweils mit 16,67 %.

Für Nord Stream trommelt Exbundeskanzler Gerhard Schröder. Er ist zugleich Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Nord Stream AG, der Betreibergesellschaft der Pipeline. Die Nord Stream AG wird zu 51 % von Gazprom kontrolliert (Wintershall und E.on haben jeweils einen 20-Prozent-Anteil). Den Chor der Nabucco-Freunde dirigiert Exaußenminister Joseph Fischer.

Deutschland deckt bisher 30 Prozent seines Öl- und Gasbedarfs aus russischen Lieferungen. Zusammen mit den Importen aus Libyen lag der entsprechende Anteil nahe 40 Prozent. Als Moskau zu Beginn der Libyen-Krise für Italien den Gashahn aufdrehte, titelte die Zeitung Stimme Rußlands: »Rußland läßt seine Freunde nicht im Stich«. Die Regierung Merkel-Westerwelle dürfte ein erhebliches Interesse daran haben, daß Rußland auch die deutschen Freunde nicht im Stich läßt. Bei dem Verhalten Rußlands im Sicherheitsrat könnte eine Rolle gespielt haben, wie die Regierungen in Washington, London und Paris mit den russischen Energieinteressen im Fall des Sturzes des Ghaddafi-Regimes umzugehen gedenken.



* Aus: junge Welt, 24. März 2011


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