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Germans to the Front

Drängeln nach einem Libyen-Einsatz

Von Knut Mellenthin *

Die Losung »Deutsche an die Front« war angeblich ein Befehl von Admiral Seymour, der die internationale Interventionstruppe gegen den Aufstand chinesischer Nationalisten im Mai und Juni 1900 kommandierte. Die Parole hatte einen konkreten, aktuellen Sinn, wurde aber zum geflügelten Ausdruck deutscher Selbstgefälligkeit und Aggressivität. Ob wirklich irgend jemand außerhalb unserer Grenzen Deutsche an der Front sehen will, spielt dabei keine entscheidende Rolle.

So wächst derzeit die Zahl mehr oder weniger wichtiger deutscher Politiker, die die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Libyen »nicht ausschließen«, sondern »konstruktiv prüfen« wollen, »wenn eine Anfrage von der UNO kommt«. Das ist so ungehobelt und aufdringlich, als würde man sich selbst bei Bekannten zum Grillabend einladen, »falls ihr uns darum bittet«. Schließlich ist weit und breit keine solche Anfrage der UNO in Sicht. Eine Stationierung von Bodentruppen ist bisher auch kein Thema öffentlicher Debatten zwischen den NATO-Staaten, geschweige denn unter den Libyern als eigentlichen Betroffenen der zur Schau gestellten deutschen Hilfsbereitschaft.

Als erster bekundete Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) am Wochenende vorsorglich sein Interesse an einem Bundeswehreinsatz in Libyen. Zu den Politikern, die eine eventuelle Anfrage »ernsthaft prüfen« wollen, gesellte sich am Donnerstag der Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. Er sieht diese freiwillige Meldung an die Front auch als »Signal an die Verbündeten«, nachdem Deutschland schon beim Luftkrieg gegen Libyen nicht mittun wollte. Auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, will einen Bundeswehreinsatz in Nordafrika »prüfen«.

Allerdings scheint es nicht ausgeschlossen, daß Spiegel online diese Auskunft gezielt aus dem Unionspolitiker herausgefragt hat. Das Nachrichtenmagazin bemüht sich schon seit Monaten um eine Korrektur der deutschen »Fehlentscheidung«, sich an der Militärintervention nicht zu beteiligen. So schrieb Severin Weiland am Mittwoch: »Deutsche Soldaten zur Sicherung des Aufbauprozesses, damit muß Berlin ernsthaft rechnen. Bei einer möglichen militärischen Lastenverteilung in der Nachkriegsordnung dürften Amerikaner, Briten und Franzosen auch nach Berlin blicken.«

In Wirklichkeit ist das jedoch beim Stand der Dinge weder eine Analyse noch eine Einschätzung, sondern einfach nur die getarnte Projektion eigener Wünsche.

Zu denen, die den damaligen »Fehler« der Bundesregierung schnellstens und radikal »wiedergutmachen« wollen, gehört auch Grünen-Chef Cem Özdemir. Der Rheinischen Post erzählte er: »Die Zeit der deutschen Sonderwege in der Libyen-Frage muß jetzt endgültig vorbei sein.« Und selbstverständlich: Sollte irgend jemand um Bundeswehr-Soldaten bitten, »werden wir das ernsthaft prüfen«.

* Aus: junge Welt, 26. August 2011


Bundeswehr in Libyen nicht ausgeschlossen

Verteidigungsministerium will Anfrage nach deutschen Soldaten gegebenenfalls "konstruktiv prüfen" **

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat einen Bundeswehreinsatz zur militärischen Stabilisierung Libyens nach dem Ende des Ghaddafi- Regimes nicht mehr ausgeschlossen. Sollte sich eine solche Frage an die Bundeswehr richten, »werden wir das konstruktiv prüfen, so wie wir das stets und immer tun«, sagte de Maizières Sprecher Stefan Paris am Montag (22. Aug.) in Berlin. Die Bundesregierung stellte auch weitere Hilfen für Libyen in Aussicht.

Nach monatelangen Kämpfen zeichnete sich am Montag ein Sieg der libyschen Rebellen über Muammar Al- Ghaddafi ab. Am Einsatz der NATO hatte sich Deutschland in den vergangenen Monaten nicht direkt beteiligt. Allerdings wurden deutsche Soldaten in einem auch für den Libyen-Einsatz zuständigen NATO-Stab in Italien eingesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte auf dem Flug nach Kroatien, daß der libysche Machthaber Muammar Al-Ghaddafi »seine politische Macht verloren hat«.

Zu Art und Umfang eines möglichen Bundeswehreinsatzes in Libyen wollte de Maizières Sprecher mit Verweis auf die unklare Entwicklung keine Angaben machen. Es gebe die Hoffnung, daß sich im Falle eines Sturzes Ghaddafis die Frage eines deutschen Sicherungseinsatzes möglicherweise gar nicht stellen werde »und die Libyer das selbst in die Hand nehmen können«.

Bei der Opposition stießen die Überlegungen zu einem Bundeswehreinsatz in Libyen auf Kritik: De Maizière fördere »ohne Not« Spekulationen über eine deutsche Teilnahme an bewaffneten Missionen, sagte SPDFraktionsvize Gernot Erler dem Tagesspiegel (Dienstagausgabe). Es gebe für eine solche Mission bisher keine völkerrechtliche Grundlage. Der Linken- Außenexperte Wolfgang Gehrcke warf de Maizière vor, mit der Bundeswehr »hausieren« zu gehen. Die Linke werde jedem Versuch widersprechen, sich in ein militärisches Abenteuer in Libyen zu stürzen. (AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 23. August 2011


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