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Gaddafi sucht diplomatische Lösung

Griechenland und Türkei vermitteln / Italien erkennt Rebellenrat an / NATO bombt weiter *

Die Regierung von Gaddafi lotet Wege für eine diplomatische Lösung des blutigen Konflikts in Libyen aus. Daswurde in Griechenland bekannt. Die NATO flog unterdessen weitere Kriegseinsätze gegen Ziele der libyschen Regierung.

Unter dem Druck des NATO-Militäreinsatzes in Libyen bemüht sich dessen Staatschef Muammar el-Gaddafi um eine diplomatische Lösung des Konflikts. Nach Gesprächen in Griechenland reiste ein Gesandter Gaddafis am Montag in die Türkei, um dort nach Angaben aus Regierungskreisen in Ankara um die Vermittlung einer Waffenruhe mit den libyschen Aufständischen zu werben.

Am Sonntagabend (3. Apr.) empfing der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou den libyschen Vize-Außenminister Abdelati Laabidi in Athen. Der griechische Außenminister Dimitris Droutsas erklärte anschließend, Papandreou habe die Forderungen der internationalen Gemeinschaft bekräftigt, dass Gaddafis Regierung die UN-Resolutionen vollständig anerkennen und umsetzen und die Gewalt einstellen müsse. Droutsas sagte am Montag, Laabidis Besuch sei »ein erster wichtiger Schritt« zur Konfliktlösung.

Nach dem Besuch in Athen reiste Laabidi nach Ankara weiter, anschließend wollte er Malta besuchen. In Ankara wollte er um Unterstützung für einen Waffenstillstand zwischen Gaddafis Truppen und den Rebellen werben, wie aus türkischen Regierungskreisen verlautete. Libysche Oppositionsvertreter würden »demnächst« ebenfalls in der Türkei eine Waffenruhe erörtern. Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen traf am Montag in Ankara zu Gesprächen mit der türkischen Regierung über den Libyen-Konflikt ein.

Die libyschen Aufständischen erzielten derweil einen weiteren diplomatischen Erfolg. Nach Frankreich erkannte Italien als zweites EU-Land den Nationalen Übergangsrat der Rebellen als einzig rechtmäßige Vertretung des Landes an, wie Außenminister Franco Frattini in Rom erklärte. Gaddafis diplomatische Bemühungen bewertete Frattini als »nicht glaubwürdig«.

Überlegungen zu einem Übergangsprozess in Libyen unter Gaddafis Sohn Seif el Islam Gaddafi, der auch einen Machtverzicht seines Vaters einschließen würde, hat der Übergangsrat zurückgewiesen. »Gaddafi und seine Söhne müssen vor jeglicher diplomatischer Lösung abtreten«, sagte ein Sprecher des Rates in Bengasi. Die »New York Times« hatte am Sonntag berichtet, Seif el-Islam und sein Bruder Saadi Gaddafi hätten die Übergangslösung vorgeschlagen.

Der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton sagte in Brüssel, auch die Söhne des Machthabers seien Teil des »Gaddafi-Regimes«, das abtreten müsse. Er fügte hinzu, eine EU-Mission treffe am Dienstag in Bengasi Oppositionsvertreter.

Am Montag (4. Apr.) kämpften Gaddafis Truppen und die Aufständischen erneut um den östlichen Erdölhafen Brega. Die USA, die eigentlich am Wochenende ihre Kampfflugzeuge und Tomahawk-Marschflugkörper aus dem Libyen-Einsatz abziehen wollten, verlängerten den Einsatz auf Bitten der NATO bis einschließlich Montag. Die britische Armee erklärte laut »The Guardian«, ihre Kampfflugzeuge würden sich wahrscheinlich mindestens noch sechs Monate an dem Einsatz beteiligen.

Ein türkisches Marineschiff brachte unter dem Schutz mehrerer Kampfflugzeuge 460 Verletzte und Flüchtlinge aus Misrata und Bengasi in Sicherheit, wie türkische Zeitungen am Montag (4. Apr.) unter Berufung auf Regierungsvertreter berichteten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen brachte nach eigenen Angaben am Sonntag 60 Verletzte aus Misrata auf einem Schiff nach Tunesien.

Gaddafi hat nach Angaben der Arabischen Liga nach seinem Außenminister Mussa Kussa einen weiteren Spitzendiplomaten verloren. Ali Triki habe sein Amt als Berater Gaddafis und als UN-Botschafter Libyens niedergelegt, teilten ranghohe Funktionäre der Arabischen Liga am Sonntag in Kairo mit. Triki, ehemaliger Minister für Äußeres und für afrikanische Angelegenheiten sowie früherer Botschafter in Frankreich und bei der UNO, unterhielt sich in der ägyptischen Hauptstadt mit Amr Mussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, wollte sich gegenüber der Presse jedoch nicht äußern. Der 73-jährige Triki spielte eine wichtige Rolle unter anderem bei der Gründung der Afrikanischen Union 1999. Bei mehreren Konflikten in Afrika war er als direkter Vermittler tätig.

* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2011


Al Qaidas offene Rechnung

Führen Extremisten Rebellengruppen an?

Von René Heilig **


Bei den Umbrüchen im Norden Afrikas haben Islamisten bislang nur wenig Terrain gewonnen. Doch bei der angeblichen Revolution in Libyen ist einiges anders als in den benachbarten Staaten. Nicht nur in den USA wächst die Sorge, dass der Westen einmal mehr die Falschen unterstützt.

Die sogenannten Rebellen sind Amateure – schlecht ausgebildet und noch schlechter ausgerüstet. Alte Fliegerabwehrgeschütze mit Kalibern zwischen 14,5mm und 23 mm haben sie auf Pick-ups montiert. (Foto: AFP) Dazu entleeren zumeist junge Leute vor TV-Kameras Kalaschnikow-Magazine in die Luft oder feuern ebenso sinnlos Panzerfäuste in die Wüste – Zivilisten eben, die nur ein paar Stunden Ausbildung erhalten haben. So erzählen es in Bengasi gut gebriefte Reporter, die mit den wirklichen Kampftruppen der Aufständischen offenbar keinerlei Kontakt haben.

Kaum Kontakt haben sie auch zu den militärischen Führern der Rebellen. Unter ihnen sollen sich bekannte Islamisten befinden, schrieb das »Wallstreet Journal« am Wochenende. Dazu gehöre der Afghanistanveteran und Prediger Abdel Hakim al-Hasady. Fünf Jahre sei er in einem islamistischen Ausbildungslager in Afghanistan gewesen. Nun sei er angeblich für die Rekrutierung der 300-köpfigen Rebellenmiliz in Darna verantwortlich. Die Ausbildung dieser Miliz erledigte Hasady zusammen mit Sufyan Ben Qumu, der in Sudan für eine Firma von Osama bin Laden und in Afghanistan für eine »Hilfsorganisation« mit Al-Qaida-Anschluss arbeitete. Im Kampf wird die Truppe von Salah al-Barrani angeführt. Auch der war Mudschaheddin und gehörte der aus Afghanistanveteranen bestehenden libyschen Terrorgruppe LIFG an, die in den 90er Jahren von Gaddafi zerschlagen wurde.

Hasady und Ben Qumu wurden nach dem Einmarsch westlicher Truppen in Afghanistan vor zehn Jahren in Pakistan gefangen genommen und dem US-Militär übergeben. Washington schob Hasady nach Libyen ab und hielt Ben Qumu sechs Jahre auf Guantanamo gefangen. 2007 schickte man auch ihn nach Libyen zurück. Warum? Spekulationen sind erlaubt.

Im Februar hatte sich die Gruppe namens Al-Qaida im Islamischen Maghreb per Internet an die Seite der Gaddafi-Gegner gestellt. Dass Gaddafi und Al-Qaida-Initiator Osama bin Laden in inniger Feindschaft verbunden sind, ist bekannt. Der Oberst aus Tripolis hatte sogar einmal ein Killerkommando gegen den Terrorfürsten ausgesandt.

In der vergangenen Woche nun deutete NATO-Oberbefehlshaber Admiral James Stavridis vor dem US-Kongress eine terroristische Einflussnahme auf den Kampf in Libyen an. Er sprach von möglichen Beziehungen zu Al Qaida und der libanesischen Hisbollah. Angeblich stammen die Informationen von CIA-Agenten aus den Reihen der libyschen Rebellen. Der Geheimdienst hatte aus gleichem Grund unlängst vor Waffenlieferungen an die Rebellen gewarnt.

** Aus: Neues Deutschland, 5. April 2011


Clinton will wieder Waffen liefern

Ganz privat: Früherer US-Präsident schließt Aufrüstung libyscher Rebellen nicht aus

Von Rüdiger Göbel ***


Der frühere US-Präsident William Clinton schließt Waffenlieferungen an die libyschen Rebellen nicht aus. In einem Interview mit dem Fernsehsender ABC News sagte der Mann von Außenministerin Hillary Clinton am Montag (4. Apr.), er »würde sicher nicht die Tür« zur Unterstützung der Rebellen schließen. Clinton legte Wert auf die Feststellung, nur seine persönliche Meinung zu äußern. Und die sei, daß man die Option einer Unterstützung der Rebellen in ihrem Kampf gegen die Regierungstruppen Muammar Al-Ghaddafis nicht ausschließen sollte. William Clinton selbst hat Erfahrung mit der Aufrüstung und Ausbildung von Aufständischen und der Anfachung von Bürgerkriegen: In seiner Amtszeit unterstützten die USA auf dem Balkan die bosnisch-muslimischen Separatisten sowie die kosovo-albanische Untergrundtruppe UCK mit Waffen, Logistik und Luftschlägen. Der frühere US-Präsident bekundete seine Sympathie für neuerliche Waffenhilfe nur wenige Stunden, nachdem der arabische TV-Sender Al-Dschasira über Trainingshilfen Washingtons in Libyen berichtet hatte.

Auf Seiten der westlichen Kriegsallianz geht man offensichtlich von einer immer länger andauernden Auseinandersetzung in dem nordafrikanischen Land aus. Die britische Armee erklärte laut The Guardian, ihre Kampfflugzeuge würden sich wahrscheinlich mindestens noch sechs Monate an dem von der NATO geführten Einsatz beteiligen. Am Montag kämpften Ghaddafis Truppen und die Aufständischen erneut um den östlichen Erdölhafen Brega. Die Rebellen hatten die Küstenstadt in den vergangenen Wochen mehrfach als »befreit« gemeldet.

Die libysche Regierung startete derweil einen neuen Versuch, eine Verhandlungslösung zu erreichen. In Ankara sollte am Montag der libysche Vizeaußenminister Abdelati Laabidi eintrefffen, der zuvor schon in Athen Gespräche geführt hatte. Auch Oppositionsgesandte aus Libyen würden möglicherweise schon bald in Ankara erwartet, hieß es. Es gehe darum, Möglichkeiten für einen Waffenstillstand zu sondieren. Ebenfalls gestern in Ankara: NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Dieser lehnt wie die Türkei eine Bewaffnung der Ghaddafi-Gegner durch den Westen ab. Fraglich bleibt, welche Bedeutung Washington dem beimißt. Solange die Rebellen aber militärisch gestützt werden, können sie sich einer nichtmilitärischen Lösung verweigern

*** Aus: junge Welt, 5. April 2011


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