Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Libyen droht Intervention

EU verfügt verschärfte Sanktionen gegen Ghaddafi-Regime. Diskussion über Flugverbotszonen als Vorstufe zu militärischem Eingreifen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Zwei Tage nach einem entsprechenden Beschluß des UN-Sicherheitsrats gegen Libyen haben auch die Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten Sanktionen gegen das nordafrikanische Land beschlossen. Dazu gehören Reiseverbote und Kontosperrungen gegen Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi und rund 25 Vertreter seines engeren Umfelds, erläuterte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf den Brüsseler Beschluß. Außerdem sollen ein Waffen­embargo sowie ein Einfuhrverbot von Gegenständen verhängt werden, die zur Unterdrückung der Bevölkerung genutzt werden könnten. Die größten Waffenlieferer an Libyen waren in den vergangenen Jahren Rußland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Noch 2009 hatte die EU Exportlizenzen für Waffen nach Libyen im Wert von 344 Millionen Euro erteilt.

Großbritannien hat bereits Guthaben der Ghaddafi-Familie eingefroren, nach Informationen der Zeitung Telegraph soll es sich um etwa 23,4 Milliarden Euro handeln. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat eine Voruntersuchung gegen die libysche Regierung eingeleitet. Geprüft wird, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden.

US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete beim Treffen des UN-Menschenrechtsrates in Genf die Solidarität mit den Aufständen in der arabischen Welt als einen »strategischen Imperativ«. Ghaddafi müsse zurücktreten, so Clinton. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte, es sei »hilfreich«, wenn Ghaddafi ins Exil gehen würde. US-Präsident Barack Obama traf sich am Montag mit UN-Generalsekretär Ban KiMoon, um über die Einrichtung eines »humanitären Korridors« nach Tunesien und Ägypten zu sprechen, durch den Flüchtlinge Libyen verlassen könnten. Die größte Sorge der EU gilt einem Flüchtlingsstrom aus Libyen, der in Richtung EU über das Mittelmeer kommen könnte.

Wie die New York Times berichtet, beraten die USA und die EU die Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone im libyschen Luftraum. Großbritanniens Premierminister David Cameron bestätigte entsprechende Planungen. Parlamentsabgeordneten erklärte er auch, daß er »in keiner Weise« die Anwendung militärischer Gewalt ausschließe. Der Durchsetzung einer Flugverbotszone steht unter anderem ein Freundschafts- und Nichtangriffspakt Libyens mit Italien aus dem Jahr 2008 entgegen. Der italienische Außenminister Franco Frattini bezeichnete eine Flugverbotszone als »wirkliche Eskalation (zu) einer militärischen Intervention«, über die Italien »nachdenken« müsse.

Der bisherige Oberkommandierende der libyschen Spezialkräfte, General Fatih, wies ein Eingreifen europäischer oder US-Streitkräfte in seinem Land zurück. Wenn militärische Unterstützung von der Opposition gegen Ghaddafi gewünscht sein sollte, müsse diese das von einem befreundeten arabischen Land anfordern, sagte der General im Interview mit Al-Dschasira.

Während sich in Bengasi und anderen ostlibyschen Städten das Leben allmählich wieder normalisiert, sollen Protestgruppen in Tripolis von Sicherheitskräften mit Schüssen auseinandergetrieben worden sein. Die britische BBC berichtete von Menschenschlangen vor Banken und Bäckereien in der Hauptstadt. Die Menschen versuchten offenbar, das von Ghaddafi versprochene Geld abzuheben. Der hatte am Freitag in einem Versuch zur Eindämmung der Proteste die Zahlung von 500 Dinar (rund 300 Euro) pro Familie angekündigt.

Muammar Al-Ghaddafi bezeichnete derweil die UN-Sanktionen als »wertlos«. In einem am Sonntag abend (27. Feb.) vom serbischen Privatsender Pink TV ausgestrahlten Telefoninterview bestritt der Oberst zudem, daß es in Libyen Proteste gibt.

* Aus: junge Welt, 1. März 2011


Aktionismus

Säbelgerassel um Libyen **

Vier Militärflugzeuge, davon zwei der Bundeswehr, haben in einer Luftlandeaktion in der libyschen Wüste 132 Europäer aus dem Bürgerkriegsgebiet evakuiert. Der völkerrechtswidrige Einsatz könnte der Testlauf für eine – humanitär begründete – Militärintervention des Westens in Libyen gewesen sein. Der Auflösungsprozeß des Ghaddafi-Regimes hat die westlichen Hüter universeller Werte in eine aktionistische Hochstimmung versetzt. Galten die Aufstandsbewegungen in Tunesien und Ägypten sowie die Versuche, sie blutig niederzuschlagen, als innere Angelegenheit dieser Länder, so verspüren nun die Westmächte gegenüber Libyen extremen Handlungsbedarf. Damit soll auch die Peinlichkeit vergessen gemacht werden, die der Sturz prowestlicher Potentaten ihren Schutzherren bereitet hat.

Zwar handelt es sich in Libyen um einen bewaffneten Konflikt zwischen zwei Bürgerkriegsparteien und nicht um Gewalt gegen friedliche Demonstranten. Dennoch wollen die USA militärische Sanktionen inzwischen nicht mehr ausschließen, »sollte Ghaddafi weiter gewaltsam gegen sein Volk vorgehen«, wie man sich im Weißen Haus auszudrücken pflegt. Als erster Schritt wird ein Flugverbot über Libyen erwogen. In der ersten Reihe der Kriegstreiber marschieren auch die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Außenminister, dem der Spiegel deshalb auch bescheinigt, endlich in seinem Amt angekommen zu sein.

Die Durchsetzung einer Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Staat wären eine gewaltsame Verletzung libyscher Hoheitsrechte und damit ein Kriegsakt, wie das auch das illegale deutsch-britische Eindringen auf das Territorium eines (noch) souveränen Staates am Wochenende war. Libyen könnte zu einem weiteren Exerzierfeld zur Durchsetzung eines neuen »Völkerrechtes« werden, das nicht mehr auf der Staatensouveränität beruht. Das auf dem UNO-Gipfel 2005 sanktionierte, aber völkerrechtlich noch nicht verbindliche Prinzip der Schutzverantwortung (Responsability to protect) hebt die nationalen Souveränitätsrechte zugunsten einer höheren Verantwortung auf, deren Deutung den »höheren Mächten«, sprich USA und EU, überlassen bliebe. Die Hunderte Toten, die der Aufstandsbekämpfung in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern geschuldet sind, haben die Westmächte nicht zur Übernahme einer Schutzverantwortung bewegen können, wohl aber die Toten im libyschen Bürgerkrieg, der als ein von den »Ghaddafi-Schergen« verursachter Völkermord gedeutet wird.

Ob die libysche Bevölkerung die ihr vom Westen entgegengebrachte humanitäre Sorge auch wirklich zu schätzen weiß, sei dahingestellt. Ebenso, ob die radikalislamistischen Kämpfer, die im Osten des Landes eher ein Kalifat als eine Demokratie westlichen Vorbilds errichten wollen, den US-Vorstellungen eines neuen Nahen Ostens entsprechen. Auch in Libyen wird sich die Revolution wohl eher nicht zum westlichen Wertesystem hinbewegen.

** Aus: junge Welt, 1. März 2011


"Hilfe" aus Washington

Clinton bietet Aufständischen in Libyen Unterstützung an – die wollen davon aber nichts wissen. Straffreiheit für Ghaddafi-Söldner dank den USA

Von Rainer Rupp ***


Im Unterschied zu Ägypten und Tunesien hat Libyen viel zu bieten, nämlich Gas und Öl. Letzteres ist von der ganz besonders feinen und leichten, auf den internationalen Märkten entsprechend begehrten Sorte. Deshalb drängt sich die selbsternannte »internationale Gemeinschaft« der imperialistischen Länder Amerikas und Europas geradezu auf, den Revolutionären in Libyen zu »helfen« und den Entwicklungen dort eine ihnen genehme Richtung in die freie Raubwirtschaft zu geben.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat kurz vor ihrem Abflug am Sonntag nach Genf – zu Beratungen mit ­NATO- und EU-Ländern über das weitere Vorgehen gegen Ghaddafi – der libyschen Opposition »jede Art von Hilfe« angeboten, um den weiterhin amtierenden Staatschef zu stürzen. Ob sie damit auch militärische Unterstützng gemeint hat, wollte sie nicht spezifizieren. Dafür waren zwei hochrangige US-Politiker, die erzkonservativen Senatoren John McCain und Joe Lieberman, weniger zimperlich in ihrer Wortwahl. Die beiden bedingungslosen Unterstützer des israelischen Krieges gegen die Palästinenser im Gazastreifen 2008/2009 spielten sich während eines Besuchs in Kairo am Wochenende als militante Verfechter der Menschenrechte in Libyen auf. Von der Obama-Administration forderten sie, die libyschen Rebellen unverzüglich mit Waffen zu versorgen, offensichtlich, um sicherzustellen, daß amerikanisches Schießgerät und US-Berater von Anfang an dabei sind, falls es doch noch zu einem Bürgerkrieg im Land kommt.

Die Anführer der libyschen Oppositionsgruppen, die sich am Wochenende in Bengasi zum neuen Nationalen Rat Libyens zusammengeschlossen haben, bestanden vor der Presse jedoch darauf, daß sie bisher weder mit ausländischen Regierungen Kontakt aufgenommen noch diese um Hilfe gebeten haben. Der Sprecher des Rats erklärte, man habe die Lage weitgehend unter Kontrolle, und »der Rest des Landes« werde auch noch »durch das Volk befreit«. Eine Einmischung von außen sei dagegen »höchst unwillkommen«, zitiert das in London erscheinende arabische Nachrichtenportal Al-Arabya den Sprecher.

Zuvor hatte bereits Rußlands Ministerpräsident Wladimir Putin den Westen vor der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der arabischen Länder gewarnt, um denen ihre westliche Version von »Democracy« überzustülpen. Nach Gesprächen mit Spitzenfunktionären der EU am 25. Februar sagte er: »Es ist noch nicht lange her, als unsere Partner demokratische Wahlen in Palästina unterstützten. Und die Hamas gewann. Und sofort erklärten sie die Hamas zu einer terroristischen Organisation, um sie seither zu bekämpfen.« Und Putin fügte hinzu: »Wir müssen den Menschen eine Chance geben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, sie müssen ihren Weg gehen, ohne ausländische Einmischungen.«

Derweil hat der UN-Sicherheitsrat am Samstag (26. Feb.) einstimmig eine Reihe von Sanktionen gegen die Überreste des Ghaddafi-Regimes beschlossen sowie weitere Waffenlieferungen nach Libyen verboten. Als einziges Land in dem Gremium hatten die USA in der Resolution eine Passage abgelehnt und damit verhindert, derzufolge die Söldner Ghaddafis, die Kriegsverbrechen begangen haben, an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag hätten überstellt werden sollen. Aus Sorge, einen Präzedenzfall zu schaffen, der später zur Überstellung von US-Kriegsverbrechern an Den Haag hätte genutzt werden können, genießen die Ghaddafi-Schergen nun Straffreiheit.

*** Aus: junge Welt, 1. März 2011


Zurück zur Libyen-Seite

Zurück zur Homepage