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Hände weg von Libyen

Flugverbotszone bedeutet Krieg: Deutsche Friedensbewegung warnt eindringlich vor NATO-Intervention in Nordafrika

Von Rüdiger Göbel *

Die Friedensbewegung in Deutschland warnt vor einer Kriegseskalation in Libyen im Fall einer NATO-Intervention. Der Bundesausschuß Friedensratschlag forderte am Dienstag (8. März) die Bundesregierung auf, sowohl in der NATO und in der EU als auch im UN-Sicherheitsrat allen Bestrebungen entgegenzutreten, die ein militärisches Eingreifen in dem nordafrikanischen Land zum Ziel haben. »Was die Bevölkerung in Libyen am dringendsten braucht, sind ein Waffenstillstand und internationale Bemühungen – vor allem von seiten der Afrikanischen Union – um eine neutrale Vermittlung zwischen den Konfliktparteien«, heißt es einer Stellungnahme des wohl wichtigsten und größten Zusammenschlusses von Antikriegsgruppen in der BRD. Es sei »unverständlich«, so Peter Strutynski vom Friedensratschlag, weshalb der kürzlich vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez entworfene Friedensplan vom Westen übergangen wurde. Solange in den USA und in der EU einseitig auf den Sturz von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi gesetzt werde, rücke eine Lösung des Konflikts in weite Ferne. Die libysche Regierung selbst lud am Dienstag (8. März) EU und UNO ein, Beobachter zu entsenden, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Die Einrichtung einer Flugverbotszone (»No-Fly-Zone«) stellt eine »Kriegshandlung« dar, so der Friedensratschlag. Allein die diesbezüglichen NATO-Planungen hätten schon jetzt dazu beigetragen, den Konflikt weiter anzuheizen. »Das Ghaddafi-Regime kann sich dadurch zum Verteidiger der nationalen Ölinteressen aufspielen, und der ›Nationalrat‹ der Opposition sieht keine Veranlassung zurückzustecken, weil er sich in der Hoffnung wähnt, die NATO käme ihm aus der Luft zur Hilfe.« Gegenwärtig deute vieles auf einen »zähen und langwierigen Bürgerkrieg« hin. Beide Seiten beanspruchen für sich, jeweils für das ganze Land zu sprechen, aber keine Seite kann der anderen einen entscheidenden Schlag versetzen. Jedes militärische Eingreifen von außen würde zusätzliches Öl ins Feuer gießen. »Interventionsplanspielen der NATO oder der EU muß entschieden entgegengetreten werden«, so der Friedensratschlag.

Ähnlich äußerte sich die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner). Verbandssprecher Monty Schädel warnte am Dienstag vor einer Eskalation des Konflikts. Anstelle einen weiteren Krieg verbal und durch Truppenkonzentrationen direkt vorzubereiten, sollten die reichen Länder ihre zivile humanitäre Verantwortung wahrnehmen.

NATO und EU beraten am Donnerstag und Freitag (10. und 11. März) das weitere Vorgehen. Das Völkerrechts wird dabei– wie schon bei den Interventionen in Jugoslawien und im Irak – offensichtlich als nachrangig erachtet. Aus westlichen Regierungskreisen wurde am Dienstag bereits an die Medien die Lüge durchgesteckt, ein UN-Mandat für eine Flugverbotszone sei zwar »wünschenswert, jedoch nicht zwingend notwendig«. Die Arabische Liga widersprach inzwischen Berichten aus Frankreich, ein Flugverbot zu befürworten. »Wir werden kein unilaterales Vorgehen unterstützen, und wir werden keine Einmischung des Auslands in die inneren Angelegenheiten Libyens tolerieren«, sagte Liga-Sprecher Hescham Jussef am Montag abend. Voll auf NATO-Interventionskurs ist dagegen der sogenannte Golfkooperationsrat, in dem die reaktionären Regime Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman zusammengeschlossen sind.

* Aus: junge Welt, 9. März 2011


Der Countdown läuft

Von Roland Etzel **

Eine peinliche Angelegenheit war das für London; erstens weil »das kleine diplomatische Team« der Briten von den libyschen Rebellen in Bengasi für unerwünscht erklärt wurde und zweitens weil diese das auch noch aller Welt mitteilten. Die Gaddafi-Gegner fürchteten, bei ihren Landsleuten in schlechtes Licht zu geraten, da das angeblich »diplomatische Team« aus London bis auf eine Person ausschließlich aus Militärangehörigen bestand. Die britische Mitteilung ließ dagegen keinerlei Unrechtsbewusstsein erkennen. Dabei hatte man Soldaten unerlaubt in einem fremden Land abgesetzt. Völkerrechtswidrig? Ja.

Aber nur noch eigentlich. Die Neigung, Libyen noch als anerkanntes Völkerrechts-Subjekt zu betrachten und seiner Regierung entsprechende hoheitliche Rechte zuzubilligen, schwindet in EU und NATO von Tag zu Tag. Während die UNO nach den von ihr verhängten Sanktionen gegen Libyen eine Delegation in das Land schickt, die dort »so bald wie möglich« mit Gaddafi reden will, glaubt die EU schon, darauf verzichten zu können. Das von ihr entsandte »Experten-Team« sei ein rein technisches und müsse deshalb keinen Kontakt zur Regierung aufnehmen, sagte ein Sprecher in Brüssel. Es gehe um die Situation der Flüchtlinge. Mit der Regierung auch nur reden will man nicht.

Mit diplomatisch verbrämter Sprache halten sich die USA nicht auf. Der Kongress streitet nur noch darüber, ob erst noch die Rebellen mit Waffen versorgt werden oder gleich eine Flugverbotszone verhängt wird, was Krieg zur Folge haben wird. Das weiß man natürlich auch in Brüssel. Der Countdown läuft, aber man wagt nicht, ihn zu stoppen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. März 2011 (Kommentar)

AWACS jetzt 24 Stunden im Einsatz

NATO-Flugzeuge überwachen Libyen ***

Aufklärungsflugzeuge der NATO überwachen jetzt rund um die Uhr die militärischen Aktionen des Gaddafi-Regimes in Libyen. Man habe die Entscheidung getroffen, den Einsatz von AWACS-Maschinen im Mittelmeerraum von bislang 10 auf 24 Stunden täglich auszudehnen, sagte der US-amerikanische NATO-Botschafter Ivo Daalder. Ziel sei, »ein besseres Bild davon zu bekommen, was wirklich in diesem Teil der Welt vor sich geht«. Die AWACS im Mittelmeergebiet fliegen allerdings nicht in den libyschen Luftraum.

Mit den AWACS-Flugzeugen verfügt die NATO über ein ausgeklügeltes Aufklärungs- und Frühwarnsystem. Über ihren pilzförmigen Radaraufbau können die Maschinen Objekte in bis zu 400 Kilometern Entfernung orten und identifizieren. Das elektronische Auge kann ein Gebiet von mehr als 312 000 Quadratkilometern überblicken – das ist fast die Fläche Deutschlands. Die Abkürzung AWACS steht für »Airborne Warning And Control System« (luftgestütztes Warn- und Überwachungssystem).

US-Botschafter Daalder wies darauf hin, dass die derzeit diskutierte Flugverbotszone nur eine »begrenzte Wirkung« auf tieffliegende Hubschrauber habe könnte, die von den Streitkräften Gaddafis eingesetzt werden. »Die Aktivität in der Luft ist nicht der entscheidende Faktor bei den Unruhen«, sagte er. »Es sind andere Dinge, die für die Vorgänge am Boden verantwortlich sind.«

*** Aus Neues Deutschland, 9. März 2011




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