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Keine Einigung auf Flugverbotszone in Libyen

Westerwelle warnte erneut vor einer militärischen Lösung *

Die internationale Gemeinschaft kann sich weiter nicht auf eine Flugverbotszone über Libyen einigen. Die Truppen Gaddafis drängen die Aufständischen mit Luftangriffen zurück. Der Diktator gibt sich siegessicher.

Frankreich hat sich in der Gruppe der größten Industriestaaten (G-8) am Dienstag nicht mit seiner Forderung nach einer Flugverbotszone für Libyen durchgesetzt. In der Abschlusserklärung des G-8-Außenministertreffens war nur von einer »breiten Palette von Maßnahmen« zum Schutz der Bevölkerung die Rede. Die Bundesregierung sehe eine Flugverbotszone »sehr skeptisch», sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle.

Deutschland erreichte laut französischen Diplomatenkreisen, dass der Vorschlag einer Flugverbotszone nicht in die Abschlusserklärung des zweitägigen Treffens kam. Westerwelle warnte erneut vor einer militärischen Lösung. Es sei nicht sicher, dass eine Flugverbotszone ihr Ziel erreiche, die Angriffe auf die libyschen Aufständischen zu beenden. Dann wäre die Entsendung von Bodentruppen der nächste Schritt: »Das gilt es in jedem Fall zu verhindern«. Deutschland dürfe nicht in einen Krieg in Nordafrika dauerhaft hineingezogen werden, forderte der Minister.

Auch die UN-Vetomacht Russland sah zusätzlichen Gesprächsbedarf. »Wir hätten gerne mehr konkrete Informationen«, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Zuvor hatte bereits der russische UN-Botschafter im Sicherheitsrat darauf hingewiesen, dass »noch grundlegende Fragen« zur Flugverbotszone offen seien. Der Sicherheitsrat hatte sich am Montag ebenso uneinig gezeigt wie die G-8.

Das UN-Gremium soll nach dem Willen der G-8 nun härtere politische Sanktionen gegen den libyschen Machthaber Muammar el- Gaddafi ausarbeiten. Laut UN-Diplomaten wollten Frankreich, die USA und Großbritannien bereits am Dienstag (Ortszeit) einen Entwurf in New York vorlegen. Eine Abstimmung könne möglicherweise bereits vor dem Wochenende folgen, sagte der französische Außenminister Alain Juppé.

Die UNO hatte Ende Februar die Strafmaßnahmen verschärft und ein Einreiseverbot für die Gaddafi-Familie und das Einfrieren ihrer Auslandskonten beschlossen. Deutschland fordert weitere Maßnahmen wie den Stopp aller Zahlungen an die Gaddafi-Regierung.

Der französische Außenminister Alain Juppé hatte bereits am Montagabend eingeräumt, dass er seine G-8-Kollegen nicht von einer Flugverbotszone überzeugen konnte. Die internationale Gemeinschaft habe keine militärischen Mittel gegen die Truppen Gaddafis, die weiter auf die Rebellenhochburg Bengasi vorrückten, bedauerte Juppé im Radiosender Europe 1. »Die Panzer sind schneller als der Sicherheitsrat der UNO«, kritisierte auch der italienische Außenminister Franco Frattini. Er forderte einen Waffenstillstand und eine Schutzzone für die Zivilisten.

Gaddafis Truppen blockierten laut Rebellenangaben am Dienstag (15. März) die Hauptverkehrsstraße zwischen Bengasi und der ostlibyschen Stadt Adschdabija, einen wichtigen Nachschubweg für die Aufständischen. In Adschdabija, 160 Kilometer südlich von Bengasi, starben mindestens fünf Menschen bei Angriffen von Luftwaffe und Artillerie. Der UN-Sondergesandte Abdul Ilah Chatib forderte bei einem Treffen mit dem libyschen Außenminister Mussa Kussa ein sofortiges Ende der Gewalt.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat die USA und die Europäische Union vor der Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen gewarnt. Jegliches militärisches Eingreifen werde »die Situation noch verschlimmern«, sagte er dem spanischen Fernsehsender TVE am Dienstag. »Der Westen muss seine kolonialen Ambitionen über Bord werfen«, fügte er hinzu. Die USA und die EU sollten aus den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan lernen und das libysche Volk selbst über seine Zukunft entscheiden lassen.

Ahmadinedschad bekräftigte zugleich seine ablehnende Haltung gegenüber der Gewalt der regierungstreuen Truppen von Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi.

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2011


Entzweit über Libyen

Von Roland Etzel **

Selten haben die westlichen Staaten bei den jüngsten Konflikten in der arabischen Welt so viel Uneinigkeit an den Tag gelegt wie im Falle Libyens. Das – bisher – konsequente Nein von Kanzlerin Merkel wie auch Außenministers Westerwelle dürfte zumindest die Franzosen etwas düpiert haben. Sarkozy, der nach all seinen innenpolitischen Schlappen und Skandalen auf ein Schulterklopfen wenigstens der Verbündeten erpicht war, hat sich verrechnet. Von China und Russland war ohnehin nicht zu erwarten, dass sie sich mit fliegenden Fahnen in einen Krieg hineinziehen lassen, von dem sie absolut nichts zu erhoffen haben.

Es ist davon auszugehen, dass man sich in den westlichen Ländern eingestehen muss, dass sich ihre Hoffnungen auf einen ganz schnellen Abgang Gaddafis zerschlagen haben. Ob diese Nachdenklichkeit auch von einer gewissen Nachhaltigkeit untersetzt ist, bleibt offen; ebenso wie die Strategie des Weißen Hauses gegenüber Libyen. Die aggressiven Töne Hillary Clintons wurden zuletzt nicht wiederholt. Womöglich auch, weil sich südöstlich, in Bahrain, ein weiterer Konfliktherd für die USA auftut, bei dem sie bislang einen ratlosen Eindruck hinterlassen. Die plumpe Invasion Saudi-Arabiens decken, um einen verbündeten König zu retten? Das käme derzeit sehr schlecht an bei den Nachbarn.

** Aus: Neues Deutschland, 16. März 2011 (Kommentar)


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