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Libyens Rebellen in immer größerer Bedrängnis

Sicherheitsrat beriet / Gaddafi: Wir bezahlten Sarkozy-Wahlkampf *

Im erbitterten Kampf mit den Aufständischen gewinnen die Truppen von Libyens Staatschef Gaddafi weiter an Boden. Dem UN-Sicherheitsrat lag am Mittwoch ein Resolutionsentwurf von Frankreich, Großbritannien und Libanon für eine Flugverbotszone über Libyen vor.

Die Truppen von Staatschef Muammar el-Gaddafi kontrollierten nach eigenen Angaben die Stadt Adschdabija im Osten und kamen der Rebellenhochburg Bengasi am Mittwoch immer näher. Zuvor hatten die Rebellen erklärt, die libysche Armee habe die Stadt aus großer Entfernung bombardiert. Die Aufständischen sind im Gegensatz zu Gaddafis Truppen nur unzureichend bewaffnet.

Adschdabija liegt etwa 160 Kilometer südlich von Bengasi. Hunderte Zivilisten und Aufständische flohen inzwischen aus der Stadt Richtung Bengasi. Gaddafi sagte am Dienstagabend, er wolle die Feinde niederschlagen. »Wenn es sich um ein ausländisches Komplott handelt, werden wir es zerschmettern, und wenn es sich um ein Komplott im Inland handelt, werden wir es auch zerschmettern«, sagte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede.

In der Küstenstadt Misrata gelang es den Rebellen indes offenbar, eine Offensive von regierungstreuen Truppen zurückzuschlagen. Dabei wurden nach Angaben eines Sprechers der Aufständischen vier Personen getötet. Die Rebellen halten die rund 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Stadt. »Die Stadt wurde von allen Seiten angegriffen. Die Rebellen kontrollieren weiter die Stadt und haben den Einheiten Gaddafis zwei Panzer abnehmen können, als diese von Süden angriffen«, sagte der Sprecher.

Dem UN-Sicherheitsrat in New York lag am Mittwoch ein Resolutionsentwurf zur Debatte vor, der nach Angaben von Diplomaten »alle Flüge« über Libyen verbieten und »alle notwendigen Mittel, um dies durchzusetzen« erlauben sollte. Diplomaten rechneten aber nicht vor Donnerstag mit einer Abstimmung.

Der erste Teil des Entwurfs stammt von Libanon. Das Land agiert in dem UN-Gremium als Vertreter der Arabischen Liga, die am Samstag eine Flugverbotszone gefordert hatte. Der zweite Teil wurde von Großbritannien und Frankreich geschrieben, dabei geht es um härtere Sanktionen gegen Gaddafi und sein Umfeld. Allerdings hatte auch Frankreichs Außenminister Alain Juppé am Dienstag gesagt, er halte die Forderung nach einer Flugverbotszone inzwischen für »überholt«. Damit lasse sich Gaddafis Vormarsch nicht mehr stoppen. Dennoch müsse gegebenenfalls weiter um eine Flugverbotszone gerungen werden. Die USA und Deutschland zeigten sich bislang skeptisch angesichts einer Flugverbotszone.

Die libysche Führung hat nach Darstellung des Clans von Gaddafi den Wahlkampf des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bezahlt. »Wir waren es, die seinen Wahlkampf finanziert haben, und wir haben Beweise dafür«, sagte Gaddafis Sohn Seif el-Islam am Mittwoch im Fernsehsender Euronews. Libyen habe sich davon französische Hilfe für die Bevölkerung versprochen, »aber wir sind enttäuscht worden«. Sarkozy hatte sich in der vergangenen Woche als erster Staatschef offen auf die Seite der libyschen Opposition gestellt, die er als »rechtmäßige« Vertretung des Landes anerkannte.

Er werde seine Beweise wie Kontonummern und Überweisungsformulare demnächst offenlegen, kündigte Seif el-Islam an. »Das erste, was wir von diesem Clown verlangen, ist, dass er dem libyschen Volk sein Geld zurückgibt.« Das Pariser Präsidialamt wies die Anschuldigungen zurück.


Solidarität bis an die Staatsgrenzen

Regierungserklärung zu arabischen Ländern: Vorerst keine Flugverbotszone in Libyen

Von Regina Stötzel **

Was tun, wenn der Weg zur Demokratie noch weit ist? Außenminister Guido Westerwelle hat gestern im Bundestag eine Regierungserklärung zum Umbruch in der arabischen Welt abgegeben.

Seine »vergifteten Freundlichkeiten« würden Muammar al-Gaddafi nichts nützen, betont Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Es ist der von ihm vorgetragenen Regierungserklärung zur Lage in den arabischen Ländern anzumerken, dass man über das am Dienstag veröffentlichte Lob des libyschen Diktators für die deutsche Position gegenüber seinem Land nicht gerade erfreut war. Gaddafi habe angesichts seines »Krieges gegen das eigene Volk« jede Legitimation verwirkt, trägt Westerwelle vor, und müsse für seinen »Feldzug gegen das eigene Volk« zur Verantwortung gezogen werden. »Das wird Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs sein.« Auch will sich Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für umfassendere Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Libyen stark machen. Die Bundesregierung werbe in New York dafür, Geldflüsse in das »System Gaddafi« soweit wie möglich zu stoppen.

Mit großer Skepsis betrachtet die Bundesregierung nach den Worten Westerwelles jedoch eine kürzlich auch von der Arabischen Liga geforderte Flugverbotszone über Libyen. Es handele sich dabei nicht um das »Aufstellen eines Verkehrsschildes«, sagt er. Eine solche militärische Intervention werfe mehr Fragen und Probleme auf als sie zu lösen verspreche. »Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei eines Bürgerkriegs in Nordafrika werden.« Eine Intervention westlicher Mächte in Libyen könne zudem die demokratische Bewegung in ganz Nordafrika und der arabischen Welt schwächen.

Die verbale Entschlossenheit zur militärischen Zurückhaltung reichte aber nicht so weit, einem Entschließungsantrag der LINKEN zuzustimmen, der sich für die eindeutige Zurückweisung »aller Maßnahmen, die zu einer internationalen militärischen Auseinandersetzung führen könnten«, ausspricht. Ausdrücklich heißt es darin, die Einrichtung einer Flugverbotszone »könnte den Anfang einer militärischen Eskalation darstellen«.

Stattdessen fordert die Partei, »dass Deutschland als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen dafür eintritt, dass der Weg für eine friedliche, gewaltfreie Lösung« des Bürgerkriegs geöffnet werde. Was das bedeutet, erklärt der außenpolitische Sprecher der LINKEN, Wolfgang Gehrcke: keine Waffenexporte in die Region und Verhandlungen, auch mit »Schurken«. Und das wiederum, obwohl es in dem Antrag heißt: »Mittlerweile findet in Libyen ein Bürgerkrieg statt, in dem zivile Artikulationsformen keinen Raum mehr haben.«

Sprecher mehrerer Parteien betonten weiterhin die besonders heikle Situation in Bahrain. Ruprecht Polenz (CDU) sprach von einer interreligiösen, einer grenzüberschreitenden und einer internationalen Dimension, die der Konflikt dort bereits habe. Westerwelle kritisierte die Stationierung von Soldaten und Polizisten aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Bahrain. Eine weitere Eskalation müsse unbedingt vermieden werden, und eine politische Lösung könne nur aus dem Land selbst kommen.

Deutlich klang in der Regierungserklärung auch durch, dass Mitgefühl und Unterstützung für die Nordafrikaner Grenzen haben – und zwar an den jeweiligen Staatsgrenzen. »Wir können nicht alle Menschen aus Nordafrika aufnehmen«, sagte Westerwelle. »Jetzt vor Ort zu helfen« sei die beste Methode, »um die Flüchtlingsströme einzudämmen«.

* Aus: Neues Deutschland, 17. März 2011


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