In Libyen geht es nicht nur um Geld
Konferenz in Paris über Hilfe für demokratische Zukunft / Westen will seine Interessen sichern
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Am Amtssitz des französischen Präsidenten im Pariser Elysée-Palais findet heute eine Konferenz
der Staats- und Regierungschefs jener Staaten statt, die Libyen beim Neuanfang als demokratischer
Staat unterstützen wollen.
Eingeladen wurden mehr als 60 Länder, vor allem die europäischen EU- und NATO-Mitglieder und
die USA, die arabischen Länder, aber auch Russland, China, Indien und Brasilien. Deutschland ist
durch Bundeskanzlerin Angela Merkel vertreten. Die Repräsentanten des libyschen
»Übergangsrates« werden ihre Vorstellungen über die künftige Entwicklung des Landes darlegen
und ihre Wünsche an die ausländischen Partner unterbreiten. Diese wollen darüber diskutieren und
möglicherweise auch schon konkrete Angebote machen. Dabei soll es sich aber ausdrücklich
weniger um Wirtschafts- und Finanzhilfe als um Unterstützung beim Aufbau demokratischer
Strukturen und der Herstellung von Recht und Ordnung im Land handeln.
Libyen sei ein reiches Land, hat der Übergangsrat in den vergangenen Tagen immer wieder betont.
Es würde vollauf genügen, wenn die per UNO-Beschluss im Ausland eingefrorenen staatlichen
Guthaben freigegeben werden. Sie werden von Experten auf 160 Milliarden Dollar geschätzt, davon
allein 38 Milliarden in den USA. Bisher sind als »humanitäre Geste« kaum mehr als eine Milliarde
Dollar freigegeben worden.
In der ersten Phase geht es in Libyen darum, die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Strom
zu sichern, die Transport- und Kommunikationsnetze wiederherzustellen und eine elementare
medizinische Betreuung zu gewährleisten. Dabei werden ausländische Helfer sowie technische und
organisatorische Unterstützung willkommen sein. Problematischer ist schon die Wiederherstellung
der Sicherheit und in diesem Zusammenhang das Einsammeln der Waffen, schon um unkontrollierte
»Strafexpeditionen« und Racheakte zu verhindern.
Ob dazu ausländische »Ordnungskräfte« angefordert werden sollen, ist offenbar noch ein
Streitpunkt im Übergangsrat, der selbst nicht mehr als ein Zweckbündnis verschiedenster Stämme
und Interessengruppen ist und erst noch seine Fähigkeit unter Beweis stellen muss, den friedlichen
Übergang zu einem neuen demokratischen Regime zu gewährleisten. Schließlich hat der Rat keine
natürliche Legitimation im Land selbst und bezieht seine Macht weitestgehend aus der politischen
und militärischen Unterstützung durch Frankreich und andere Staaten, die im Aufstand in Libyen die
Chance sahen, mit Muammar al-Gaddafi einen unangenehmen und unbequemen Partner
loszuwerden und nach vier Jahrzehnten wieder Einfluss auf das Land zu gewinnen.
Allerdings ist im westlichen Ausland die Furcht groß, dass der Übergangsrat zerfallen und radikalislamistische
Kräfte einen übergroßen Einfluss gewinnen könnten. Dann könnte statt eines
parlamentarischen Systems und einer unabhängigen Justiz ein »Gottesstaat« mit islamischem
Rechtssystem, der Scharia, entstehen. Um dem vorzubeugen, will vor allem Frankreich, das die UNResolution
und die militärischen Angriffe der NATO initiiert hat und das bei den neuen Kräften in
Libyen hohes Ansehen genießt, diese Position nutzen, um in Tripolis Weichen zu stellen.
Die Konzerne, die sich vom Wiederaufbau und der Modernisierung Libyens sowie von neuen
Ölkonzessionen ein gutes Geschäft versprechen, werden sich vorläufig noch zurückhalten müssen,
denn die Sicherung der politischen Grundlagen geht vor. Als Vorteil wird gewertet, dass die
westlichen Staaten zwar zum Sturz des Gaddafi-Regimes mehr als 20 000 Lufteinsätze geflogen
sind, aber keine regulären Bodentruppen ins Land geschickt haben. Dadurch sei eine andere
Situation gegeben als in Irak, wo die USA-Truppen als Besatzer angesehen werden und der Kampf
zwischen pro- und anti-amerikanischen Kräften seit acht Jahren einen blutigen Bürgerkrieg anheizt,
der das Land nicht zur Ruhe kommen lässt.
* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011
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