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Gaddafis Strafgericht

Den Haag ermittelt

Von Olaf Standke *

Der in Den Haag ansässige Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Ermittlungen gegen Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi und seine Führungsriege wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen.

Für den Göttinger Völkerrechtler Kai Ambos ist klar: Schon die jüngsten Reden von Muammar al-Gaddafi oder seinem Sohn Saif, in denen sie ihren Gegnern mit Gewalt und Tod drohten, würden für den »dringenden Tatverdacht der Anstiftung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit« reichen. Er hält einen schnellen Haftbefehl durch den Strafgerichtshof in Den Haag für möglich, nachdem der IStGH Ermittlungen eingeleitet hat. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hatte Anfang der Woche Zeugen um Beweismaterial gebeten, vor allem um Fotos und Videoaufnahmen. Am Donnerstag erklärte er, man verfüge nun über Berichte, wonach die Bevölkerung seit dem 15. Februar in mindestens neun Städten angegriffen worden sei. So werde auch gegen Kommandeure der Sicherheitskräfte ermittelt.

Vorausgegangen war ein einstimmig beschlossener Auftrag des UN-Sicherheitsrats, die gewaltsame Unterdrückung der Proteste in Libyen zu untersuchen. Ambos hätte »nicht damit gerechnet, dass China und Russland das mittragen«, und sieht darin einen »großen Fortschritt für das Völkerrecht«. Das ist nicht ohne Pikanterie, haben die ständigen Ratsmitglieder China, Russland und USA doch das Römische Statut des Gerichtshofes, das am 1. Juli 2002 in Kraft trat, selbst bisher nicht anerkannt. Auch Libyen gehört nicht zu den inzwischen 114 Mitgliedstaaten des »Weltstrafgerichts«.

»Staatsführer, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, müssen verstehen, dass sie keine Immunität genießen«, betonte Moreno Ocampo mit Blick auf Gaddafi. Bemühungen von Friedensaktivisten, USA-Präsident George W. Bush oder den britischen Premier Tony Blair wegen Kriegsverbrechen juristisch zur Verantwortung ziehen zu lassen, scheiterten allerdings bislang.

Der IStGH ist der erste ständige Gerichtshof, der länderübergreifend Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord ahndet. Er urteilt immer über die Taten Einzelner, nicht über Staaten. Und der Gerichtshof kann eigentlich nur in Teilnehmerstaaten aktiv werden. Um Verbrechen in Staaten zu untersuchen, die sein Statut nicht ratifiziert haben, muss ihn der UN-Sicherheitsrat anrufen, so wie es auch im Falle Libyens geschah.

Die erste Anklage erhob das Gericht im August 2006 gegen den ehemaligen kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga. Im März 2009 erließ es Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir wegen Verbrechen in Darfur und damit das erste Mal gegen einen amtierenden Staatschef. Doch konnte er sich sogar bei Auslandsreisen einer Festnahme entziehen, weil selbst einige IStGH-Mitgliedstaaten in Afrika nicht zur Vollstreckung bereit sind.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2011


Schlichtung – jetzt!

Von Roland Etzel **

Chavez will in Libyen, wie er sagt, noch größeres Blutvergießen verhindern und deshalb zwischen Gaddafi und der Opposition vermitteln. Das ist nicht gut angekommen in der westlichen Wertegemeinschaft. »Warum ausgerechnet der?« rümpft man pikiert die Nase über den umtriebigen Venezolaner und fühlt sich in seiner demokratischen Führungsrolle beschädigt. Wenn man aber obiger Frage Berechtigung zugesteht, kann die Antwort nur lauten: weil international außer Chavez kein anderer mit einem Schlichtungsversuch an die Öffentlichkeit getreten ist. Dabei hätte es dafür durchaus Kandidaten auch im Westen gegeben; Politiker, die bis vor kurzem noch gut mit Gaddafi im Gespräch waren – Berlusconi, Sarkozy, auch Gerhard Schröder. Warum schweigen sie jetzt?

Die libysche Opposition ist kein monolithischer Block, und vielleicht würden dem Vermittlungsversuch – analog zur Arabischen Liga – einige ihrer Vertreter eine Chance geben. Aber kennen sie ihn überhaupt? Wir wissen nur von den Rebellen in Bengasi, dass sie den Vorschlag abgelehnt hätten. Das verwundert, weil eben jene Aufständischen in Bengasi zuvor ihre Befürchtung geäußert hatten, Gaddafi wolle Massaker unter ihnen anrichten. Warum also ein Alles-oder-nichts statt Vermittlung?

Gerade weil Obamas jüngste Libyen-Erklärung eher nach Kriegserklärung als nach Nobelpreisrede klang: Was die USA mit einem Krieg zu gewinnen glauben, können sie wohl kaum vernünftig definieren. Sehr leicht dagegen sollte den Europäern die Erkenntnis fallen, dass sie dabei mit großer Sicherheit zu den Verlierern zählen werden. Für weitere Vorschläge zu Vermittlungslösungen ist es noch nicht zu spät.

** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2011 (Kommentar)


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