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Krieg unter US-Führung

Pentagon spricht nach Luftangriffen gegen Libyen von »Mehrphasen-Operation«. Vermittlungsbemühungen lehnte der Westen von vornherein ab

Von Karin Leukefeld *

Am späten Samstag nachmittag (19. März) haben Frankreich und die USA den Luftkrieg gegen Libyen begonnen. Noch während der französische Präsident Nicolas Sarkozy der Presse in Paris das Ergebnis eines eilig einberufenen Gipfeltreffens verkündete, flogen schon die ersten französischen Rafale (»Windböe«)-Kampfjets Angriffe. In der ostlibyschen Hafenstadt Bengasi habe man vier Panzer der libyschen Truppen abgeschossen, erklärte ein Sprecher des französischen Verteidigungsministeriums. Die Piloten hätten sich zuvor davon überzeugt, daß »keine Zivilisten gefährdet« wurden. Der Angriff geschah fast zum gleichen Zeitpunkt, an dem vor acht Jahren, in der Nacht vom 19. auf den 20. März, die völkerrechtswidrige Invasion des Irak begann. Der Libyen-Angriff läuft unter dem Namen »Operation Odyssee Dämmerung«, mittlerweile haben die US-Streitkräfte die Führung übernommen. Präsident Barack Obama erklärte, man antworte »auf den Ruf eines bedrohten Volkes«.

Erste Phase

Aus Bengasi flohen am Wochenende Hunderttausende Menschen in Richtung Osten aus Angst vor einem Luftkrieg. In verschiedenen arabischen Medien waren Autostaus zu sehen. Dabei setzte die libysche Armee keine Kampfflugzeuge ein. Der Jet, der am Samstag morgen über Bengasi abgeschossen wurde, war von einem Piloten gesteuert, der zuvor zur Opposition übergelaufen war. Er starb durch »friendly fire«, doch vermittelten die Filmaufnahmen von dem Abschuß, die in allen deutschen Nachrichtensendungen wiederholt gezeigt wurden, den Eindruck, als habe sich die Regierung von Muammar Al-Ghaddafi nicht an das Flugverbot gehalten.

Das Pentagon bestätigte am Samstag abend, 110 Marschflugkörper seien auf 20 identifizierte Ziele in Libyen abgeschossen worden. Die Raketen seien von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer abgeschossen worden, auch U-Boote waren beteiligt. Vermutlich wurden Luftabwehrstellungen und Basen der libyschen Luftwaffe um Tripolis zerstört. Es handele sich um die »erste Phase« einer »Mehrphasen-Operation«, sagte der Pentagonsprecher, man werde später Drohnen einsetzen. Beteiligt seien europäische und arabische Staaten. Koordiniert wird der Angriff in der Nähe von Stuttgart, wo das US-Afrika-Kommando seinen Sitz hat. Als weiterer zentraler Ort für die Kriegskoordination dient Neapel, wo sich die 6.US-Flotte und das Südkommando der NATO befinden.

Nachrichtenagenturen berichteten, an der Operation beteiligten sich neben Frankreich, Großbritannien und den USA auch Kanada, Dänemark, Norwegen, Spanien, Italien und »arabische Partner«. Ziel ist, wie der britische Ministerpräsident David Cameron sagte, die UN-Sicherheitsratsresolution 1973 durchzusetzen und die Libyer vor ihrem »brutalen Diktator zu schützen«. Der Angriff sei »nötig, legal und richtig«.

Medienhetze

In Tripolis verurteilte Mohamed Al-Zawi, ein Sprecher der libyschen Volksversammlung, den Angriff. Er wies darauf hin, daß die libysche Regierung die UN-Resolution akzeptiert und einen Waffenstillstand mit der Opposition erklärt habe. Außerdem habe man Vertreter der internationalen Gemeinschaft sowie UN-Generalsekretär Ban KiMoon eingeladen, Beobachter nach Libyen zu entsenden, um den Waffenstillstand zu überprüfen. Statt dessen habe man Raketen nach Libyen geschickt.

Die Regierungen von Rußland und China erklärten, man bedauere den militärischen Angriff westlicher Staaten auf Libyen. Die beiden Vetomächte hatten sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ebenso wie Brasilien, Deutschland und Indien enthalten. Außenminister Guido Westerwelle, der am Freitag im Bundestag die Position der Bundesregierung erläutert hatte, erhielt seltenen Beifall der Linken, wurde aber sowohl von Grünen als auch von SPD-Mitgliedern scharf kritisiert. Anders als bei anderen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, war die öffentliche Meinung in Deutschland Umfragen zufolge mehrheitlich für ein militärisches Vorgehen gegen Libyen, allerdings nicht für eine deutsche Beteiligung. Auch der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, Tom Koenigs von den Grünen, kritisierte die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Der Schutz der Menschenrechte in Libyen müsse der Bundesregierung ein ernstes Anliegen sein. »Deutschland muß den nordafrikanischen Nachbarn klarmachen, daß wir für den Schutz der Zivilbevölkerung einstehen, auch wenn es schwierig wird.«

Ähnlich wie seinerzeit vor dem Krieg gegen den Irak hatten westliche Medien wesentlich dazu beigetragen, den libyschen Machthaber zum Abschuß freizugeben. Ähnlich wie damals Saddam Hussein wurde Muammar Al-Ghaddafi als »Hitler«, »Diktator« und »irrer Schlächter« beschrieben, für den »kein Völkerrecht« gelten dürfe, weil er »Tausende abschlachtet« (Zitate von Focus-Chefredakteur Uli Baur, 28. Februar, und Rolf Ehlers im »Social Media Blog Readers Edition«, 13. März).

Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des Konflikts in Libyen kamen in den meisten Medien nicht vor. So hatten sowohl die Oppositionellen als auch die Regierung Ghaddafi mehrfach einen Waffenstillstand und Verhandlungen ins Spiel gebracht, was aber durch ausländische Verbalattacken und Drohungen gegen Ghaddafi torpediert wurde. Ein Vermittlungsversuch von Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez war sowohl von Ghaddafi als auch von der Arabischen Liga begrüßt worden, wurde von der EU und den USA aber vom Tisch gewischt. Ähnlich erging es einer Vermittlungsinitiative der Afrikanischen Union.

Das Vorgehen der Regierungen von Irak, Bahrain oder Jemen gegen Massenproteste in ihren jeweiligen Staaten mit vielen Toten waren kein Thema im UN-Sicherheitsrat.

* Aus: junge Welt, 21. März 2011

US-Afrika-Kommando: Einsatzzentrale in Stuttgart

Deutschland hat zwar der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat die Zustimmung verweigert, die Fäden des internationalen Militäreinsatzes laufen aber im Südwesten der Bundesrepublik zusammen. Die Attacken von Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern gegen die libyschen Regierungstruppen werden zunächst vom Afrika-Kommando der US-Streitkräfte (AFRICOM) koordiniert, das sein Hauptquartier in Möhringen bei Stuttgart hat. Das Regionalkommando steuert alle militärischen Aktivitäten der USA auf dem afrikanischen Kontinent mit Ausnahme von Ägypten. Bis zur Schaffung einer dauerhaften Kommandostruktur soll es die Federführung beim Libyen-Einsatz »Odyssey Dawn« übernehmen.

AFRICOM ist das jüngste der insgesamt sechs US-Regionalkommandos. Da nach Schätzungen bis 2015 ungefähr 25 Prozent des US-amerikanischen Öls aus Afrika kommen werden, arbeiten Lobbyisten seit 2002 daran, die Regierung in Washington zu bewegen, eine militärische Präsenz in Afrika, hier vor allem im Golf von Guinea, aufzustellen, um gegen Wirtschaftskontrahenten – allen voran China – einen Vorteil zu erlangen bzw. neue Erdölfördergebiete für die US-Ölindustrie zu sichern. Die Debatte um die Aufstellung des Africa Command drehte sich daher zunächst darum, ob die geschätzten fünf Milliarden US-Dollar, die jährlich für diese Kommandoeinrichtung aufgewendet werden, gerechtfertigt sind. Präsident George W. Bush verkündete im Februar 2007 die Gründung des Kommandos, gut anderthalb Jahre später war das Hauptquartier in den Kelley Barracks in Möhringen voll einsatzbereit. Zuvor war das ebenfalls bei Stuttgart ansässige Regionalkommando Europa (EUCOM) für die militärischen Beziehungen mit den meisten afrikanischen Staaten zuständig. Der Schwerpunkt von AFRICOM liegt auf dem Kampf gegen den Terrorismus, der militärischen Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern und sogenannten humanitären Einsätzen. Oberkommandierender ist seit knapp zwei Wochen der US-General Carter F. Ham.

Derzeit sind laut AFRICOM rund 1500 Soldaten und zivile Mitarbeiter der US-Armee in den Kelley Barracks stationiert. Das Gelände wurde erstmals 1938 von der Wehrmacht als Hellenen-Kaserne militärisch genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die US-Streitkräfte ein, die Kaserne wurde nach dem Kriegshelden Jonah E. Kelley benannt. Während des Kalten Krieges hatte das VII. Korps der US-Armee hier sein Hauptquartier. (AFP/jW)

Quelle: junge Welt, 21. März 2011




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