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Gute und Böse

Vor einer Woche begannen die Luftschläge gegen Libyen. Auch in diesem neuen Krieg bleiben zuerst die Wahrheit auf der Strecke – dann die Zivilisten

Von Gerd Schumann *

Mittlerweile redet selbst die »Koalition der Willigen«, die seit vergangenen Samstag Libyen aus der Luft angreift, von einem »Krieg«. Auch in diesem stirbt, wie in jedem, die Wahrheit zuerst. Sich ansonsten selbst als »objektiv« – was immer das sei – bezeichnende Meinungsverbreiter aus Presse, Funk und Fernsehen lassen ad hoc nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, wo sie stehen. Diesmal also an der Seite des Aufstands. Den und die involvierte Zivilbevölkerung, so die Logik, gelte es zu schützen und zu stützen, sind sich Politik und bürgerlicher Mainstream einig. Partei ergreifen für die Guten ist Muß im »Krieg gegen Ghaddafi« (SZ, 21.3.2011).

Die Guten also. Bei denen handelt es sich um eine Gruppe von westlichen Staaten, die in grauer Vorzeit ihre Spuren nicht nur, aber insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent hinterlassen haben. Ehemalige Sklavenjäger und -käufer von diesseits und jenseits des Atlantiks. Die USA, Großbritannien und Frankreich vorneweg, Belgien, Dänemark, Italien, Spanien, unter ihnen alle ehemaligen Herrscher über die arabischen Staaten Nordafrikas. Sie verteidigen nun Zivilbevölkerung und Menschenrechte. »Odyssey Dawn« nennen sie ihre »Mission«, die ihnen ein aggressiver, nicht ansatzweise an diplomatischen Lösungen interessierter UN-Sicherheitsrat abgesegnet hat. Eine »Odyssee Morgendämmerung«? Jahrzehntelanges Umherirren auf dem Mittelmeer und im mediterranen Raum etwa – allzeit dabei, aufzuräumen? Unklar bleibt der Worte Sinn.

Klartext, was das eigentliche Ziel fernab aller Rhetorik um die Konsequenzen der Durchsetzung einer »Flugverbotszone« ist, redete Hillary Rodney Clinton. »Ghaddafi muß gehen« erklärte sie, noch bevor die US-Botschafterin im Unsicherheitsrat die Resolution 1973 zu Libyen am 17. März durchdrückte. Der Mann sei »ein skrupelloser Diktator, der kein Gewissen hat und jeden und alles zerstören wird, das sich ihm in den Weg stellt. Das ist seine Natur. Es gibt Kreaturen, die sind einfach so.« Das ist die Sprache der außenpolitischen Repräsentantin jenes Staatswesens, das bereits als fliegende Inquisition über Belgrads und Bagdads Himmel auftauchte.Damals war Slobodan Milosevic und Saddam Hussein, den dort ansässigen Präsidenten, ebenfalls der Stempel »Kreatur« aufgedrückt worden.

Das personifizierte Böse. Es wurde herausgefordert von den Sheriffs der freien Welt zum ungleichen Duell. »Shock and Awe« nannten sie ihre Raketenattacken aus großer Höhe gegen vorgeblich militärische Ziele in den Hauptstädten Jugoslawiens und Iraks – und die Menschen saßen in Bunkern, zitterten voller »Schrecken und Ehrfurcht« ob der ungeheuren Sprengkraft, mit der die Brücken und Straßen und Elektrizitätswerke und Wassertanks in Schutt fielen. Die traumatisierten Kinder blieben ungezählt.

Im Vergleich zu Milosevic und Saddam eignet sich Muammar Al-Ghaddafi, so scheint es, noch besser als Projektionsfläche für einen gerechten Angriffskrieg. Bunte Operettenuniformen, Model-Leibgarde, Beduinen-Zelt im Hof des Elysee-Palastes, Lockerbie-Drahtzieher, dunkle Sonnenbrille und immer grimmige Gesichtszüge. Oder gar arrogante? Ansonsten war wenig bekannt über das ölreiche Wüstenland, und manche registrierten, als der Aufstand der Geknechteten gegen ihren Unterdrücker begann, mit einiger Verwunderung Gutes. Offensichtlich existierten ein entwickeltes Sozial- und Bildungswesen sowie ein für die Region außergewöhnlich hoher materieller Lebensstandard. Die Ölindustrie war staatlich.

Andererseits schwenkten die Aufständischen auf ihrem Siegeszug durch den Osten des Landes Fahnen des alten Königreichs. Auch meldeten sich sonderbare Rebellen in geflecktem Grünoliv zu Wort, die stolz davon berichteten, daß Geheimdienstleute gelyncht worden seien. Und wie subsaharische Arbeitsmigranten, für die Libyen als Wohlstandsland galt, als »Ghaddafi-Söldner« durch die Straßen gejagt und an Kontrollposten massakriert wurden. Die »libysche Tea-Party« tauchte auf: So nennt der Großneffe des 1969 gestürzten Königs Idris seine reaktionäre Partei. »Die Opposition braucht westliche Hilfe sofort«, so Prinz Mohamed in der Washington Post (17.3.).

Wem kann getraut werden, wenn die Erscheinungsebene von Kriegspropaganda bestückt wird?

Die Frage ist einfach zu beantworten: niemandem. Aber erst recht nicht der NATO und »Willigen«. Raus aus dem aggressiven Militärbündnis, forderten früher sogar die Grünen. Damals, als noch massenhaft gegen die Stationierung von Marschflugkörpern demonstriert wurde. Heute koordiniert das US-Afrika-Kommando nahe Stuttgart die Angriffe mit Cruise Missiles auf nordafrikanischen Boden, Joseph Fischer reist als wohlbetuchter Wanderprediger eines ethischen Imperialismus durch die Lande, während Daniel Cohn-Bendit die Nähe des französischen Staatschefs sucht.

* Aus: junge Welt, 26. März 2011 (Fotoreportage in der Wochenendbeilage)


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